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Glaubenssätze sind keine Wahrheitssätze

Lesedauer: 2 Minuten

Einfache Leitsätze können praktische Hilfsmittel für den Alltag sein. Sie können uns bei dessen Bewältigung aber auch im Weg stehen.

Text: Sandra Markert
Bild: Lucas Ziegler/13 Photo

Autobahnen sind etwas Praktisches. Sie bringen einen auf ziemlich geraden Wegen schnell ans Ziel. In konstanter Geschwindigkeit lassen sich die breiten, gut beschilderten Strassen fast wie im Autopilot befahren. Das spart Zeit und Nerven, bringt Sicherheit und Orientierung. Deswegen bauen wir uns auch im Alltag gern solche persönlichen Autobahnen, bestehend aus Glaubenssätzen, Lebensprämissen, Leitgedanken.

Zum Beispiel Hausaufgaben: Man könnte jeden Tag sehr viel Zeit und Nerven damit verlieren, mit den Kindern auszudiskutieren, wann diese gemacht werden und wie viel Hilfe vonseiten der Eltern angebracht ist. Macht man aber nicht, denn sowohl Zeit als auch Nerven sind kostbare Ressourcen.

Also beruft man sich lieber auf eigene Erfahrungen («Wie lief das eigentlich bei mir früher ab?»), spricht mit Lehrern oder anderen Eltern. Dabei tauchen dann – ausgesprochen oder auch nur implizit – Glaubenssätze und Lebensregeln auf wie «Erst die Arbeit, dann das Vergnügen» oder «Hausaufgaben sind nicht Sache der Eltern».

Solche Glaubenssätze trägt jeder in sich, häufig unbewusst. Viele wurden von den eigenen Eltern oder Lehrern übernommen und bilden das Grundgerüst unserer Überzeugungen, Einstellungen, Meinungen. Vor allem aber helfen sie uns dabei, im Alltag schnell einen Weg zum Ziel einschlagen zu können, ohne uns jedes Mal Gedanken über die geeignete Route machen zu müssen. Autobahnen eben.

Was aber, wenn man merkt, dass einen eine solche Autobahn zwar ans Ziel führt, den Mitfahrern unterwegs aber schlecht oder langweilig wird? Oder einem mitten auf der Autobahn auffällt, dass man heute ja eigentlich mal ein anderes Ziel ansteuern wollte? Und dass nun nicht mehr die eigenen Eltern am Steuer sitzen, sondern man selbst die Verantwortung trägt? Dann wird es höchste Zeit, mal eine Raststätte anzufahren. Und sich klarzumachen: Glaubenssätze sind keine Wahrheitssätze. Sie geben zwar Sicherheit und Orientierung. Aber das braucht nicht jeder in jeder Situation gleichermassen.

Es gibt Kinder, für die es gut ist, zuerst ihre Hausaufgaben zu erledigen und dann Fussball spielen zu gehen. Andere können sich besser konzentrieren, wenn sie erst eine Weile an der frischen Luft waren. Ein Glaubenssatz wie «Erst die Arbeit, dann das Vergnügen» ist für die einen durchaus eine positive Lebensprämisse. Andere dagegen kommen damit zwar vielleicht auch zum Ziel – aber auf unnötig beschwerlichem Weg. Und fragen sich dabei: «Wenn immer erst die Arbeit erledigt werden muss, bleibt dann überhaupt noch Zeit fürs Vergnügen?»

Möchte ich meine Kinder wirklich so erziehen?

Der eine wird nach so einer Pause auf der Raststätte zum Schluss kommen: Ich fahre auch künftig auf der Autobahn weiter, weil meine Leitgedanken für mich stimmen. Ein anderer möchte lieber abfahren, weil er merkt: Der Glaubenssatz, den ich aus meinem Elternhaus mitgenommen habe, passt nicht zu der Art, wie ich meine eigenen Kinder erziehen möchte. Er zieht mich im Alltag runter, statt mich zu bestärken.

Jeder, der schon mal auf einer Autobahn unterwegs war, weiss: Das mit dem Abfahren ist nicht von jetzt auf gleich möglich, das kann ein bisschen dauern. Und wenn man die Ausfahrt erreicht hat, gilt es, sich neu zu orientieren. Einen anderen Weg zu suchen. Vielleicht verfährt man sich. Vielleicht dauert es auf der neuen Strasse ein bisschen länger, es gibt mehr Kurven, es geht holpriger voran. Und vielleicht verirrt man sich aus Gewohnheit sogar nochmals zurück auf die Autobahn. Aber es ist einem klar geworden: Es gibt auch andere Wege und es lohnt sich, diese zu entdecken.

Sandra Markert
ist freie Journalistin und Mutter von drei Kindern im Kindergarten- und Primarschulalter. Sie lebt mit ihrer Familie am Bodensee.

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