«Schüler profitieren, wenn sie mehr Verantwortung erhalten» - Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Merken
Drucken

«Schüler profitieren, wenn sie mehr Verantwortung erhalten»

Lesedauer: 3 Minuten

Teenager könnten viel von Gleichaltrigen lernen und Lehrpersonen müssten lernen, sich zurückzuhalten, sagt Lehrerin Renée Lechner im Interview.

Interview: Caroline Smrstik Gentner
Bild: Rawpixel.com

Was hat Sie dazu bewogen, Ihre Schülerinnen Workshops für jüngere Schüler anbieten zu lassen?

Während meines Sabbaticals bei Microsoft in den USA wurde mir klar, wie rückständig wir in der Schweiz bezüglich der Anwendung digitaler Technologien sind. Meine Schülerinnen bereiten sich auf eine Berufskarriere vor. Es spielt keine Rolle, wohin sie nach ihrem Schulabschluss gehen, sie werden überall direkt oder indirekt mit Digitalisierung zu tun haben. Aus der Entwicklungspsychologie wissen wir, dass Teenager eher auf Gleichaltrige hören und von ihnen lernen, als von Erwachsenen. Vor diesem Hintergrund schien es mir sinnvoll, meine Schüler Workshops zu Themen der Digitalisierung für leicht jüngere Schülerinnen organisieren zu lassen.

Wie passt das in den Lehrplan?

Als Schule, die die Schüler auf eine Karriere in der Wirtschaft vorbereitet, bieten wir die Möglichkeit, praktische Erfahrungen mit der Gründung eines Unternehmens zu sammeln. Früher mussten unsere Schülerinnen ihre eigenen kleinen Unternehmen gründen, Produkte herstellen und diese an ihre Mitschüler verkaufen. Doch das hat mit der realen Wirtschaft wenig zu tun. Dieses Projekt verlangt von meinen Schülerinnen, dass sie sich mit anderen Menschen auseinandersetzen und ihnen helfen, Fähigkeiten für das Berufsleben zu entwickeln.

Renée Lechner unterrichtet an der Kantonsschule am Brühl in St. Gallen. Zusammen mit zwei weiteren Lehrpersonen bloggt sie über digitale Unterrichtstools auf Web2. Sie ist ausserdem eine der Gewinnerinnen des Educreators-2020-Preises. Die Kantonsschule am Brühl, St. Gallen, bietet einen Lehrgang Wirtschaftsmittelschule für die Sekundarstufe II (Altersklasse 16 bis 18) an. Der Lehrgang besteht aus drei Jahren Vollzeitschule, gefolgt von einem kaufmännischen Praktikum von einem Jahr.

Es ist nützlich für sie, nicht nur von Lehrpersonen zu lernen, sondern von anderen Menschen. Über das Start-up-Netzwerk Startfeld in St. Gallen konnten die Schüler bei der Planung ihrer Workshops mit anderen Leuten zusammenarbeiten. Mit Leuten, die zum Beispiel ein Smart-Home-Start-up hatten oder über Erfahrung in Robotik verfügten.

Die Schülerinnen nutzten auch digitale Kanäle und professionelle Tools und eigneten sich das Wissen über die entsprechenden Programme an. Sie entwickelten einen Businessplan, fanden Möglichkeiten, ihre Workshops zu bewerben und entwarfen Flyer und Werbematerial.

Wir gründeten eine Gesellschaft nach Schweizer Recht, unter deren Namen die Workshops durchgeführt wurden. Damit erhielten die Schüler Einblick in die entsprechenden Gesetze und die Strukturen, die es zur Gründung einer solchen Gesellschaft braucht.

Gut zu wissen

Im Projekt «Digitalisierung: Peer-to-Peer-Learning» haben die Schüler mit Beraterinnen aus Start-ups zusammengearbeitet, um die Workshops über digitale Technologien wie «Smart Home», Robotik und die Geschichte der Informationstechnologie zu entwickeln. Die Schüler budgetierten, vermarkteten und präsentierten ihre Workshops an Schülerinnen der 6. bis 9. Klasse.

«Digitalisierung: Peer-to-Peer-Learning» ist eines von zehn Projekten in der Schweiz, die von der Stiftung Educreators in der Ausschreibung «Shapers of the Future 2020» prämiert wurden. Die Siegerprojekte nutzen die digitale Transformation als Gelegenheit, um inspirierende Lernumgebungen zu schaffen. Die Initiative ist eine Zusammenarbeit zwischen der Gebert Rüf Stiftung, der Jacobs Foundation, der Stiftung Mercator Schweiz, der Beisheim Stiftung und Movetia.

Wie ist die erste Serie von Workshops gelaufen?

Wir starteten das Projekt vor zwei Jahren als Pilotprojekt ohne jede Finanzierung. Meine Klasse mit 19 Schülerinnen bekam sechs Monate Zeit, um die Workshops von null aufzubauen. Sie mussten zuerst die Ideen entwickeln, Ratschläge von Experten einholen und ein Budget für das benötigte Material erstellen.

Sie vermarkteten die einzelnen Veranstaltungen, schrieben zum Teil hunderte E-Mails an Lehrpersonen, hielten Testveranstaltungen ab und überarbeiteten die Inhalte. Das Interesse war riesig: Wir boten zehn Workshops über zehn Wochen an und waren nach zwei Wochen komplett ausgebucht.

Dann kam die Covid-19-Pandemie, welche meine Schülerinnen vor enorme Herausforderungen stellte. Sie mussten ihre Workshops auf ein Online-Format umstellen und Material für den Versand an die Schulen vorbereiten. Wie wir alle waren sie in dieser schwierigen Zeit frustriert, wenn die Workshops wegen technischer Probleme nicht perfekt waren. Doch wir haben es geschafft, und die Schüler haben wirklich einen grossartigen Job gemacht.

Zwei unserer Klassen mit insgesamt 38 Schülerinnen organisierten Workshops für das Schuljahr 2020/2021, die allerdings wegen der anhaltenden Pandemie nicht einfach waren. Es gab Beschränkungen hinsichtlich der Schülerzahl pro Raum, und die Workshops waren jeden Tag anders. Aber so lernten die Schülerinnen, flexibel zu sein, was eine gute Erfahrung für sie war.

Dieses Schuljahr werden wir nun endlich das Programm so durchführen, wie es ursprünglich geplant war. Die Workshops werden als Teil des regionalen Programms von Smartfeld zur Förderung der digitalen Bildung angeboten. Interessierte Lehrpersonen können für ihre Klassen bei meinen Schülern einen Workshop bestellen.

Was nehmen Ihre Schülerinnen aus dieser Erfahrung mit?

Zu Beginn der Ausbildung habe ich sehr positive Rückmeldungen von Arbeitgebern erhalten. Die Schülerinnen, die am Projekt «Peer-to-Peer-Learning» teilgenommen haben, können viel besser mit Menschen umgehen, als diejenigen, die nicht teilgenommen haben. Im Alter von 16 oder 18 sind sie es bereits gewohnt, sich mit Erwachsenen auszutauschen, und sie sind selbstsicherer geworden. Sie werden als Partner betrachtet und haben die nötigen Fähigkeiten erworben, ihre Arbeit wirkungsvoll zu präsentieren.

BOLD Blog

Der BOLD Blog, eine Initiative der Jacobs ­Foundation, hat sich zum Ziel gesetzt, einer weltweiten und breiten Leserschaft näherzubringen, wie Kinder und Jugendliche lernen. ­Spitzenforscherinnen wie auch Nachwuchswissenschaftler teilen ihr Expertenwissen und diskutieren mit einer wissbegierigen Leserschaft, wie sich Kinder und Jugendliche im 21. Jahrhundert entwickeln und ­entfalten, womit sie zu kämpfen haben, wie sie spielen und wie sie Technologien nutzen. 

Mehr lesen: www.boldblog.org

Lesen Sie mehr zum Thema Schule:

Eine Klasse auf einem Steg am See
Schule
«Ich will nicht mit meiner Klasse ins Lager gehen»
In der Klasse der zwölfjährigen Alina steht bald ein Lager bevor. Doch sie will nicht mitfahren, weil sie auswärts schlecht schlafen kann.
Musik ist unbeschreiblich
Lernen
Warum Musik unbeschreiblich bleibt
Im Musikunterricht von Sibylle Dubs kommt die Frage auf, ob Musik wie Mathe ist. Dabei gelangt die Klasse zu einer wertvollen Erkenntnis.
Legoland Deutschland Header
Advertorial
LEGOLAND® Deutschland 2025: kreativ, gemeinsam, unvergesslich
Seid dabei, wenn am 5. April das LEGOLAND® Deutschland Resort und der PEPPA PIG Park im bayerischen Günzburg in die neue Saison starten!
Passende Schule finden: Teenagerin lernt draussen und lehnt sich an einen Baumstamm
Lernen
Endlich eine passende Schule gefunden
Nach einer langen Odyssee findet unsere Autorin die perfekte Schule für ihre Töchter. Was ihr dort gefällt und worauf Eltern achten sollten.
Stress: Wie schafft man ein gutes Klima an der Schule?
Gesellschaft
So bleiben an der Schule alle gesund
Stress und Druck gehören längst zum Schulalltag – mit teils schwerwiegenden Folgen. Was Lehrpersonen und Eltern dagegen tun können.
Wenn der Störenfried den Unterricht rettet: Zeichnung einer Schülerin
Lernen
Wie der Störenfried den Unterricht rettet
Sibylle Dubs hat für schwierige Situationen im Unterricht Strategien erarbeitet, um angemessen zu reagieren. Doch manchmal gelingt ihr dies nicht.
Eine Mutter und ein Vater vor dem Elterngespräch
Erziehung
Wie bereite ich mich auf ein Elterngespräch vor?
Vor einem Elterngespräch ist man vielleicht geneigt, der Lehrperson seines Kindes alles an den Kopf zu werfen, was einen nervt oder ärgert.
Singen macht Freude
Lernen
Wie Miauen die Kopfstimme fördert
Je länger Sibylle Dubs Musiklehrerin ist, umso mehr feiert sie mit ihren Schülerinnen und Schülern den Moment, in dem sie ihre Kopfstimme finden.
Neophyten: Bub betrachtet kritisch einen Sommerflieder
Gesellschaft
Von diesem gemeinnützigen Einsatz profitieren alle
Win-Win: Wie Schulklassen im Kanton Bern mit dem Ausreissen invasiver Neophyten Sinnvolles tun und gleichzeitig die Lagerkassen füllen.
Musik vermitteln: Humor ist der Schlüssel
Lernen
Humor bringt den Unterricht auf ein neues Level
Am Anfang hatte Sybille Dubs Mühe, ihre Klasse von der Musik zu begeistern. Doch nach einem lustigen Erlebnis weiss sie: Humor ist der Schlüssel.
Ein Mädchen beim Lernen am Schreibtisch
Lernen
Geht individualisiertes Lernen an der Volksschule überhaupt?
Ein Kind seinen Fähigkeiten entsprechend fördern: Was heisst das und kann der Lehrplan 21 individualisiertes Lernen ermöglichen?
Musikunterricht macht den Unterschied
Lernen
Musikunterricht: Beziehung geht über alles
Passionata – Musikunterricht macht den Unterschied: Sibylle Dubs berichtet von einem Erlebnis mit einem Schüler, das sie heute noch berührt.
In der Schule steht das Kind im Zentrum.
Lernen
In der Schule steht das Kind im Zentrum, nicht die Eltern
Grundsätzlich ist es gut, wenn Eltern den Austausch mit der Schule suchen – solange sie dabei nicht ihre Kompetenzen überschreiten.