11 Fragen zum Thema Medienkonsum - Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
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11 Fragen zum Thema Medienkonsum

Lesedauer: 7 Minuten

Darf ich mein Kind per GPS orten? Ist Handy-Entzug als Bestrafung sinnvoll? Diese und weitere Fragen beantworten Expertinnen und Experten in unserem grossen Dossier zum Thema Medien & Medienkonsum. 

Ab wann braucht mein Kind ein Handy? 

Ein Kind braucht wohl dann ein Handy, wenn es verschiedene der Funktionen, die ein Handy anbietet, auch nutzen würde, verantwortungsvoll mit einem solchen Kleincomputer umgehen kann und wenn Kind und Eltern gleichermassen froh sind, über das Handy miteinander in Kontakt zu stehen. Das heisst: Wenn eine Erstklässlerin nach einem Handy fragt und damit nur fotografieren möchte, gibt man ihr besser eine alte Digitalkamera. Fragt der Zweitklässler nach einem Handy, um damit auf einer App spielen zu können, kann er das auch auf dem Tablet zu Hause tun. Aber möchte eine Viertklässlerin mit ihren Kolleginnen und Kollegen bereits über digitale Medien kommunizieren, mit dem Handy telefonieren, fotografieren und weitere Funktionen nutzen, dann lohnt sich ein Gespräch über ein eigenes Gerät.
Es zeigt sich in der Praxis, dass der Wunsch nach einem eigenen Handy sehr stark von der Peergroup der Kinder abhängig ist. Und dass der Wunsch in immer jüngeren Jahren auf tritt, das Alter für den Erstbesitz immer weiter nach unten rückt. Ich persönlich würde aber nicht dazu raten, einem Kind ohne besondere Gründe vor der 4. oder 5. Klasse ein eigenes Smartphone in die Hand zu geben. Selbst wenn Kinder dann bereits ein eigenes Gerät besitzen, müssen noch nicht alle Funktionen freigeschaltet werden.

Eveline Hipeli, Kommunikationswissenschaftlerin und promovierte Medien­pädagogin an der Pädagogischen Hochschule Zürich

Soll ich mit meinem Kind einen Vertrag über die Handy-Nutzung abschliessen?

Hat der Sohn oder die Tochter neu ein Handy, ist das Wichtigste, ein Gespräch zu führen über den verantwortungsbewussten Umgang mit dem Gerät, mit den eigenen (und fremden) Daten sowie den Handy­-Regeln, die zu Hause für Kinder und Eltern gleichermassen gelten sollten. Manche Eltern verfassen dafür sogenannte Handy-Verträge, in denen die Kinder sich verpflichten, bestimmte Regeln einzuhalten. Das ist in einem jüngeren Alter sicher sinnvoll, weil es die Verbindlichkeit der Regeln signalisiert und konkretisiert.
Aber man muss sich bewusst sein, dass diese Verträge keine 100-prozentige Garantie dafür geben, wie die Kinder die digitalen Geräte tatsächlich nutzen – sie werden sie mit Sicherheit auch einmal anders nutzen, als die Eltern das gerne hätten. Mit zunehmendem Alter nimmt die elterliche Kontrolle naturgemäss ab, und in der Pubertät sind solche Handy-Verträge tendenziell schwierig, weil Kinder auf zu viele Regeln eher mit Widerstand reagieren. Hier kann es sinnvoll sein, sich vor Augen zu führen, dass wir Eltern in erster Linie Ratgeber, Begleiter und Unterstützer unserer Kinder sind, aber keine Polizisten.

Eveline Hipeli, Medienpädagogin

Mit der Juni-Ausgabe ist das umfangreichste Dossier in der Geschichte des Schweizer ElternMagazins Fritz+Fränzi entstanden: 29 namhafte Expertinnen und Experten – Jesper Juul Fabian Grolimund, Margrit Stamm, Philipp Ramming, Allan Guggenbühl, Eveline Hipeli und viele mehr – beantworten die 100 wichtigsten Fragen zur Erziehung und zum Familienleben.   Das komplette Heft können Sie als Einzelausgabe hier bestellen. 
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Ist Handy-Entzug als Bestrafung sinnvoll?

Eltern sollten einen Handy-Entzug grundsätzlich nicht als Mittel zur Erziehung und damit auch nicht zur Bestrafung einsetzen – umgekehrt darf die Handy-Nutzung aber auch keine Belohnung sein. Bricht ein Kind ständig die abgemachten Regeln für die Handy-Nutzung, könnten die Eltern das Gerät kurzzeitig an sich nehmen – bis eine Lösung gefunden ist. Im Grossen und Ganzen ist es wichtig, den Jugendlichen einen sinnvollen Umgang mit dem Smartphone vorzuleben. Ganz abgesehen davon haben vier Fünftel der Teenies ihre Internet-Nutzung im Griff. Knapp 9 Prozent zeigen ein problematisches Online-Verhalten, 12 Prozent ein risikohaftes.

Daniel Süss, Medienpsychologe an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften

Dürfen Eltern das Handy ihres Kindes kontrollieren? 

Es gibt Eltern, die lesen die Tagebücher ihrer Kinder, und es gibt Eltern, die kontrollieren die Whats­app-Chats. Einige Eltern haben solche Abmachungen mit ihren Kindern, und andere tun dies heimlich. Ich persönlich würde eine solche Strategie eher nicht empfehlen, da dies doch sehr stark in die Privatsphäre des Kindes eingreift. Zudem gelten Kinder mit 14 Jahren aus rechtlicher Sicht als urteilsfähig. Das bedeutet nicht, dass sie sämtliche Konsequenzen ihres Handelns bereits abschätzen können, aber es bedeutet, dass sie auch Freiräume haben müssen, in denen sie unbeobachtet agieren und ihre eigenen Erfahrungen machen können.

Eveline Hipeli, Medienpädagogin

Darf ich mein Kind per GPS orten?

Das kommt ganz auf Ihr Sicherheitsbedürfnis an. Grundsätzlich ist es nichts Schlimmes, wissen zu wollen, wo sich das eigene Kind gerade aufhält. Dahinter steckt aber auch die Frage: Überwache ich mein Kind heimlich oder spreche ich das mit meinem Kind ab? Je jünger das Kind, desto verständlicher ist das elterliche Bedürfnis, wissen zu wollen, wo sich das Kind aufhält und bewegt. Den Nachwuchs im Jugendalter aber womöglich sogar heimlich zu orten und so zu kontrollieren, ist wenig empfehlenswert und kein Zeugnis einer Vertrauenskultur. Zudem ist aus der Forschung bekannt, dass es die Entwicklung hin zur Selbständigkeit negativ beeinflusst, wenn Kinder nie völlig unabhängig und unbeobachtet Sozialräume erfahren können. Es gilt daher, eine gesunde Balance zu finden und unbedingt mit den Kindern über Tracking-Apps zu sprechen.

Eveline Hipeli, Medienpädagogin

«Unter 14-Jährige sind nicht in der Lage, sich beim Gamen selbst zu begrenzen – Eltern müssen quasi den fehlenden Frontalkortex ersetzen.»

Lutz Jäncke, Neuropsychologe

Muss ich selbst Social-Media-Experte sein, um mein Kind auf die digitale Zukunft vorzubereiten? 

Nein, sicher nicht. Natürlich sollte man sich als Mutter oder Vater dafür interessieren, welche Dinge im Leben des Kindes gerade wichtig sind, auch in Bezug auf die Medien. Aber man muss keineswegs alle Apps und Spiele so oft nutzen wie das Kind, um up to date zu sein. Viel relevanter ist es, die Motive zu kennen, warum Kinder und Jugendliche diese oder jene Anwendung gerne nutzen. Und wenn Eltern über diese Dinge mit ihren Kindern sprechen, bleiben sie auch am Ball.

Eveline Hipeli, Medienpädagogin

Soll ich meinem Kind das Gamen verbieten?

Gamen sollte man nicht grundsätzlich verteufeln. Es gibt mittlerweile einige Studien, die belegen, dass Gamen die Fingerfertigkeit erhöht. Auch haben Computergames positive Auswirkungen auf die Ausbildung einer Identität und die soziale und kognitive Entwicklung. Andere Studien belegten wiederum, dass bei Kindern, die täglich spielen, das Belohnungszentrum im Hirn deutlich vergrössert ist. Das Belohnungszentrum ist für Lustempfindungen jeglicher Art zuständig. Vielspielern fällt es umso schwerer, sich einem Computerspiel zu entziehen. Wenn ein Kind zwei Stunden an einer Konsole gespielt hat und man es dort wegholen will, erlebt man häufig ein Phänomen, das dem Entzug bei Drogensüchtigen ähnelt: Das Kind wehrt sich, wird bockig und schreit. Das habe ich bei meinen eigenen Kindern erlebt. Ich empfehle daher zeitliche Begrenzungen – erst recht bei Kindern und Jugendlichen zwischen 11 und 14 Jahren, deren Gehirn gerade total umgebaut wird. Sie sind von ihrer Hirnentwicklung her gar nicht in der Lage, sich selbst effektiv zu begrenzen, darum müssen Eltern quasi den fehlenden Frontalkortex, das Stirnhirn, ersetzen, bis dieses ausgereift ist. Das ist Erziehung.

Lutz Jäncke, Neuropsychologe

Wie sinnvoll sind feste Bildschirm­zeiten?

«Feste» Bildschirmzeiten kann man durchaus einführen, wobei es zweierlei zu bedenken gibt: Erstens, dass es immer wieder Tage gibt, an denen man gar keine Bildschirme nutzen muss. Zweitens, dass man mitunter für Hausaufgaben und Prüfungsvorbereitung auch Computer, Tablet oder Handy braucht – über die vereinbarte Zeit hinaus. Daher sollte man den Kindern eine gewisse Flexibilität zugestehen und gemeinsam aushandeln, wie man diese Bildschirmzeiten genau gestalten möchte. Je älter die Kinder sind, desto grösser sollte ihr Mitspracherecht sein. Am besten diskutiert man solche Regeln daher situativ oder in einem definierten Zeitabstand. Ebenso wichtig wie über den Umgang mit Medien zu sprechen ist das Gespräch über positive Dinge – den Film, das Video, welches das Kind gerade gesehen hat, oder andere Facetten rund um dieses Thema. Es sollte nicht der Eindruck entstehen, dass man nur über Medien spricht, wenn es um Regeln und Gefahren geht.

Eveline Hipeli, Medienpädagogin

Was lernt ein Kind im Fach Medien und Informatik, was ich ihm als Mutter nicht selbst vermitteln kann?

Zu Hause nehmen Kinder hauptsächlich die Rolle des Medienkonsumenten ein. In der Schule werden sie zum Medienproduzenten. Im Idealfall lernt das Kind ab Kindergartenalter, langsam zu verstehen, was Medien überhaupt vermögen, wie sie ticken und wie sie uns unterhalten und beeinflussen. In der Informatik lernen sie informatisches Denken und das Verständnis, wie die programmierte Welt, in der sie aufwachsen, tickt: Die Ampeln, die Schalttafeln am Bahnhof, die Kaffeemaschinen – wie funktionieren die eigentlich? Das ist streng genommen nichts anderes als das, was wir Eltern im Physikunterricht lernen konnten: warum das Licht angeht, wenn wir einen Lichtschalter betätigen.

Eveline Hipeli, Medienpädagogin


Dieser Artikel gehört zu unserem
Dieser Artikel gehört zu unserem Online-Dossier zum Thema Medienkonsum. Erfahren mSie mehr darüber, worauf Eltern bei der Medienerziehung achten müssen und informieren Sie sich zu den aktuellsten Erkenntnissen.


Eltern beklagen das hohe Suchtpotenzial von Smartphones und Konsolen. Wie kann man als Mutter oder Vater Gegensteuer geben?

Lesen hatte für uns früher genau das gleiche Suchtpotenzial. Ich habe als Kind nächtelang im Schein der Taschenlampe Bücher unter der Bettdecke gelesen. Ich sehe daher keinen Unterschied zwischen Gamen und Lesen. Es geht hier um das, was gerade als moralisch besser gilt. Das Problem vieler Eltern besteht darin, dass sie die elektronischen Geräte als fremd wahrnehmen. Sie können die Inhalte nicht kontrollieren, welche die Aufmerksamkeit der Kinder absorbieren. Für die Erwachsenen sind sie ein Gegner. Was hilft, ist ein klarer Deal mit den Kindern, was die Medienzeit betrifft. Wenn wir über den Handy-­Gebrauch sprechen, geht es immer darum, den Kindern gewisse Anpassungsleistungen abzuverlangen.

Philipp Ramming, Kinder- und Jugendpsychologe

Wie wichtig ist Lesen im digitalen Zeitalter?

Es ist noch immer genauso essenziell, vor allem das Lesen längerer Texte und das Erfassen von grösseren Zusammenhängen. Durch soziale Medien und News über Hyperlinks sind wir es immer mehr gewohnt, Informationen in Häppchen aufzunehmen. Die Geduld aufzubringen, sich auch einmal durch einen längeren Text zu mühen und diesen als Ganzes wahrzunehmen, ist daher richtig und wichtig. Ausserdem bedeutet das Vorhandensein von Tablet und Co. nicht zwingend, dass das gute alte Buch ausgedient hat. Im Gegenteil: Ein Buch zu lesen, ohne durch eintreffende Benachrichtigungen abgelenkt zu sein, und so ungestört in eine spannende Geschichte einzutauchen, kann ein grosses Genusserlebnis sein. Das wissen Kinder.

Eveline Hipeli, Medienpädagogin


100 Fragen und Antworten zu Erziehung, Familie und Schule

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  • 19 Fragen zum Thema Elternsein und Paarleben
    Ist es eigentlich in Ordnung, wenn man sich für sein Kind schämt? Soll man den Paar-Streit von Kindern fernhalten? Und wie findet man Zeit für sich, damit es gar nicht erst zu schwierigen Trennungsfragen kommt? 

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