Stress, lass nach!

Illustration: Petra Dufkova / Die Illustratoren
Wie wir uns in Krisensituationen verhalten, ist sehr unterschiedlich. Manche lesen alles, was sie zu dem Thema finden können, während andere Informationen regelrecht von sich fernhalten. Das kann in Familien zu Konflikten führen.
«Was machst du da?», frage ich, während mein Mann die Ärmel seines Hemds nach oben krempelt und unter dem Tisch aus seinen Schuhen schlüpft. «Mir ist warm, und schau wie gemütlich, alle sind barfuss.»
«Wusstest du, dass es hierzulande Hakenwürmer im Sand gibt? Fiese Parasiten, ich habe gelesen, die bohren sich durch die Fusssohle und dann entzündet sich alles», murmle ich, während ich in meiner Tasche nach dem Insektenschutzmittel krame. Warm ist mir auch mit meinen langen Ärmeln und dem leichten, hellen Schal, wie in der Reiseempfehlung beschrieben. Schliesslich sind die Malariamücken jetzt in der Dämmerung besonders aktiv! Und dann die Frage, die ich mir besser gespart hätte: «Ähm, Schatz, willst du dich vielleicht auch noch einsprühen, da an den Armen? Weil die Malariamücken …» Schweigen. «Das ist jetzt aber nicht dein Ernst?»
Wir alle werden immer wieder mit Unsicherheiten oder potenziellen Bedrohungen konfrontiert: ob mögliche Gefahren bei einer Reise, eine frisch diagnostizierte Erkrankung, Medienberichte über Kriminalität oder ein neues Virus in unserer Umgebung, Artikel über «Erziehungsfehler, die uns in 20 Jahren teuer zu stehen kommen» oder eine Empfehlung der Schule, das eigene Kind abklären zu lassen.
«Jetzt lass es doch auf dich zukommen»
Dem gegenüber stehen Menschen, die eher informationsvermeidend sind. Sie ziehen es in angespannten oder potenziell bedrohlichen Situationen vor, das Thema auszublenden, sich abzulenken und zu entspannen.
Viele Konflikte in der Familie oder in Freundschaften entzünden sich an diesen gegensätzlichen Tendenzen. Wie ist das bei Ihnen? Anhand der folgenden «Beispielvorwürfe» wird Ihnen die Einschätzung leichtfallen.
Sind Sie ein Informationssuchender oder ein Informationsvermeider? Machen Sie den Test.
- «Das scheint dich überhaupt nicht zu interessieren – das kann ja wohl nicht wahr sein!»
- «Man kommt gar nicht zu ihm durch. Er ist total verstockt.»
- «Immer machst du alles mit dir alleine aus.»
- «Nur weil du so tust, als wäre das Problem nicht da, geht es auch nicht weg.»
- «Du lässt mich total allein damit. Ich will doch auch nur vorbereitet sein und keine bösen Überraschungen!»
Im umgekehrten Fall stören Sie sich an der offenbar unendlichen Problemseziererei Ihres Gegenübers:
- «Jetzt kommst du schon wieder mit diesem Thema. Darf man sich auch einfach mal entspannen?»
- «Lass es doch einfach auf dich zukommen!»
- «Jetzt entspann dich mal und beschäftige dich nicht dauernd damit.»
- «Muss man alles zerreden? Das bringt doch jetzt auch nichts, sich darüber Gedanken zu machen, es kommt, wie es kommt.»
- «Das hatten wir doch besprochen, was ist denn jetzt schon wieder?»
Wenn der Partner doch nur ein bisschen anders wäre
Grundsätzlich sind beide Tendenzen in der Extremvariante problematisch. Während exzessives Informationensuchen und Beredenwollen das Risiko birgt, zu viel zu grübeln, von einer Sorge zur nächsten zu springen und mit der Zeit Depressionen und Ängste zu entwickeln, gehen Menschen, die Bedrohungen und Unsicherheiten systematisch ausblenden, oft zu spät zum Arzt, schützen sich nicht ausreichend oder erkennen Beziehungsprobleme erst an, wenn der Partner ausgezogen ist.
Wir sind unterschiedlich – wie gehen wir damit um?
Anstatt sich nun darin zu versuchen, den Partner «umzuerziehen», wäre es oft hilfreicher, Unterschiede zuzulassen und anzuerkennen. Es ist befreiend, wenn man sagen darf: In diesem Punkt funktionieren wir unterschiedlich – und das darf sein!
Vieles wird leichter, wenn wir uns in diesem Aspekt besser kennenlernen und mehr Toleranz entwickeln. Vielleicht mithilfe von Fragen der folgenden Art: Was hilft dir, wenn du gestresst bist? Was wünschst du dir dann von mir? Wann fühlst du dich am meisten von mir unterstützt? Wann glaubst du, nicht ernst genommen oder alleingelassen zu werden? Wo wird meine Reaktion für dich zu einer zusätzlichen Belastung?
Es kostet Überwindung, dem Gegenüber das zu geben, was ihm hilft, und nicht das, was man selber als hilfreich empfindet.
Und so reibt sich mein Mann das stinkende Insektenschutzmittel auf die Arme, während er über sein «overprepared girlfriend» schmunzelt. Ich wiederum beschliesse tags darauf, ihm das Ergebnis meiner soeben beendeten Recherche über die Verbreitung des Zikavirus vorzuenthalten, das Handy auszuschalten und endlich das Paradies zu geniessen.
Zur Autorin:
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