Warum träumt mein Kind so intensiv? - Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
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Warum träumt mein Kind so intensiv?

Lesedauer: 10 Minuten

Kinder und Jugendliche erleben in ihren Träumen oft grosse Abenteuer oder wähnen angsteinflössende Monster unter ihrem Bett. Was bedeuten diese Träume? Wie sollen Eltern auf einen Albtraum reagieren und wann fachliche Hilfe beiziehen?

Jeden Mittwoch kommen die Soldaten. Sie nehmen einen Menschen nach dem anderen gefangen. Nur Sophia vergessen sie. Sie bleibt alleine in der Welt zurück. Für dieses Vergehen werden die Soldaten bestraft. Sophia zückt die Schere und schneidet ihnen lustige Frisuren. Ohne Pardon. Dazu verpasst sie ihnen noch eine zünftige Bartpflege.

Diese Mittwochs-Serie träumte Sophia mit fünf Jahren. Mittlerweile ist sie zwölf und erzählt den Soldaten-Traum so lebhaft, dass man als Zuhörerin das Bartöl zu riechen glaubt. Träumen ist Sophias Leidenschaft. Sie legt sich abends hin, denkt sich eine Geschichte aus und träumt sie schlafend weiter. Manchmal vergisst sie, was sie träumt, oder erinnert sich nur an Teile davon. Und oft erfindet sie zum Erinnerten noch «ein bisschen etwas dazu, damit der Traum verstanden wird».

Wo beginnt ein Traum?

Sophia denkt also, träumt, erinnert, vergisst und erfindet. Das wirft Fragen auf, die den Menschen seit Jahrtausenden beschäftigen. Was ist ein Traum? Wo beginnt er, wo hört er auf? Und: Was bedeutet er? Vor allem wenn das Traumgebilde in einer Schreckensgestalt daherkommt, wird das Wissen über Träume drängend. Nicht alle haben die Leichtigkeit, wie sie dem Dichter Georg Heym vorschwebt: «Wenn die Abende sinken und wir schlafen ein, gehen die Träume, die schönen, mit leichten Füssen herein.»

Zwar werden laut Studien mehr als zwei Drittel der Kinderträume von fröhlichen oder neutralen Gefühlen begleitet. Dennoch können Träume so beängstigend sein, dass nicht nur die träumenden Kinder, sondern auch ihre Eltern Angst bekommen und sich fragen: Ist mein Kind krank? Wie reagiere ich auf den Traum? Wer hilft?

Das Wesentliche bleibt unsichtbar

Im Schlummerland, so schreibt Michael Ende, hilft das Traumfresserchen. Das stachelige Kerlchen mit glitzernden Sternenaugen befreit die Leute von den bösen Träumen, damit sie wieder ein freundliches Gemüt und einen klaren Kopf haben. In der Antike waren es Propheten und Priester, die im Traum die verborgene Weissagung und Zukunftsvorhersage suchten.

Spätestens seit der Psychoanalytiker Sigmund Freud 1900 sein berühmtes Werk «Die Traumdeutung» veröffentlichte, finden der Traum und dessen Deutung zunehmendes Interesse, nicht nur in esoterischen Kreisen, sondern auch in der Wissenschaft.

Von allen Seiten werden das menschliche Gehirn und die darin stattfindenden nächtlichen Aktivitäten erforscht. Die zusammengetragenen Erkenntnisse ergeben ein immer differenzierteres Bild über das Wesen des Traums.

Die Menschen beschäftigen sich seit Jahrtausenden mit der Traumforschung.
Die Menschen beschäftigen sich seit Jahrtausenden mit der Traumforschung.

Und doch: Das Wesentliche bleibt den Forschenden vorenthalten – der Traum selbst. Er ist einzig dem Träumenden zugänglich.

Was unterscheidet den nächtlichen von einem Tagtraum?

Als «subjektives Erleben während des Schlafes» definiert Michael Schredl, Leiter des Schlaflabors am Zentralinstitut für Seelische Gesund­ heit in Mannheim, den nächtlichen Traum. Er grenzt ihn ab vom Tagtraum: «Das Traumerleben ist zwar ver­gleichbar, aber physiologisch sind Gehirnareale unterschiedlich aktiv und unterschiedlich stark miteinander verbunden.»

Beim Tagträumen ist der Träumende wach. In der Regel weiss er, dass er tagträumt. Spätestens wenn ihn aber etwa der Lehrer beim Namen ruft, ist er wie­ der präsent für Aussenreize. Im Schlaf schirmen wir uns ab vor Aussenreizen. «Die Übergänge sind jedoch fliessend», sagt Michael Schredl.

Seit über 30 Jahren erforscht er Träume. Der fehlende Zugriff auf den Traum nennt er die grösste Hürde: «Wir sind auf den Traumbericht angewiesen. Dies setzt voraus, dass sich die Träumerin oder der Träumer nach dem Aufwachen an den Traum erinnert.»

Das Gehirn hat keinen Ein- und Ausschaltknopf.

Michael Schredl erforscht seit über 30 Jahren Träume.

Und diese Erinnerung – das kennen viele – ist nicht einfach. Vielleicht ist nach dem Aufwachen noch eine vage Ahnung vorhanden, die aber im nächsten Moment schon wieder verblasst. «Ich habe nichts geträumt», heisst es dann.

Michael Schredl ist skeptisch: «Es gibt keinen Grund, warum das Gehirn das Produzieren einer subjektiven Erfahrungswelt einstellen sollte. Das Gehirn hat keinen Ein- und Ausschaltknopf.» Werden Menschen aus dem REM-Schlaf geweckt, erinnern sie sich fast immer an Träume. Aus den anderen Schlafphasen geweckt, werden nur noch deren 50 bis 60 Prozent erinnert, «aber da braucht es auch länger, um wach zu werden», so Schredl.

Wo wohnt der Traum?

Die Schlafphasen haben also Einfluss auf Traumerlebnisse und -erinnerungen. Von der «Schlafarchitektur» – quasi dem Haus der Träume – spricht der Schlafmediziner Johannes Mathis. Er führt als Co-Leiter das Schlaf-Wach-Epilepsie-Zentrum (SWEZ) am Inselspital in Bern. Hier untersucht er Schlafstörungen jeder Art. Je nach Störung sind andere Schlafphasen betroffen. 

Träume aus der REM-Phase werden gefühlsintensiver, bunter und lebhafter wahrgenommen.

Johannes Mathis, Schlafmediziner

Anhand eines Hypnogramms beschreibt er den idealtypischen Schlafzyklus. Dieser beginnt mit einer Wachphase, nach etwa fünf Minuten steigen gute Schläfer die Schlaftreppe hinunter in den oberflächlichen Schlaf (Non-REM 1 und 2), dann weiter hinunter in den Tiefschlaf (Non-REM 3 und 4), von dort wieder hoch in den oberflächlichen Schlaf, bevor dann nach rund 90 Minuten der REM-Schlaf eintritt. Dieser Zyklus wiederholt sich vier bis fünf Mal pro Nacht, wobei der REM-Schlaf immer länger und der Tiefschlaf immer kürzer wird.

«Der Träumer ist in der Regel selbst Akteur, kämpft, schreit und interagiert», sagt Schlafmediziner Johannes Matis.
«Der Träumer ist in der Regel selbst Akteur, kämpft, schreit und interagiert», sagt Schlafmediziner Johannes Matis.

«Träume aus der REM-Phase werden gefühlsintensiver, bunter und lebhafter wahrgenommen», sagt Johannes Mathis. «Der Träumer ist in der Regel selbst Akteur, kämpft, schreit und interagiert. Gefühlsstarke Erlebnisse können leichter erinnert werden.»

Weniger erinnert werden Non-REM-Träume. Hier sei der Träumer mehr Zuschauer denn Akteur. Er beobachtet das Geschehen aus einer gewissen Distanz, «als sässe er im Kino».

Ein Blick ins Schlaflabor

Wie im Kino muss sich auch die Laborantin fühlen, die im Kontrollzentrum des Schlaf-Wach-Zentrums sitzt und Nacht für Nacht den Schlaf der Patientinnen und Patienten über Monitore mitverfolgt. Hier wird geschnarcht, geschlafwandelt, geschwatzt, geweint, geschrien oder schlicht gewacht.

Der Schlafraum für Kinder ist grösser als die restlichen drei Räume, denn in der Regel ist ein Elternteil mit dabei. Mit seinen Betten und den Vorhängen vor den Fenstern wirkt er wie ein normales Schlafzimmer. Einzig zwei kleine Spione an der Decke sowie unzählige Elektroden erinnern an ein Labor.

Wer hier untersucht wird, tritt abends ein, erhält alle wichtigen Informationen und wird verkabelt, bevor die Lichter gelöscht werden – bei Kindern etwa um 21 Uhr. Über die zwei Kameras erfährt die Laborantin, was das Kind sagt und tut. Sie betritt das Zimmer nur, wenn etwas nicht in Ordnung ist.

Aus den Aufzeichnungen der Gehirnströme, der Atmung sowie der Muskel- und Augenbewegungen kann Johannes Mathis am nächsten Tag Auffälligkeiten erschliessen. Zwei davon werden gerne mit Albträumen verwechselt.

Nachtschreck: Wenn das Kind schreit und schlafwandelt

Eine dieser Auffälligkeiten ist der Pavor nocturnus – auch Nachtangst oder Nachtschreck genannt, berichtet Mathis: «Das Kind schreit zetermordio. Mütter haben keine Chance, es zu beruhigen.» Im Gegensatz zum Albtraum findet der Nachtschreck im Tiefschlaf statt – «was nicht heisst, dass er nicht durch einen Traum ausgelöst werden kann. Das Kind erinnert sich einfach nicht mehr daran.»

Der Auslöser des Schlafwandelns und des Nachtschrecks ist ein Weckreiz aus einem besonders tiefen Schlaf.

Johannes Mathis, Schlafmediziner

Ebenso verhält es sich beim Schlafwandeln – quasi der Weiterführung des Nachtschrecks. 20 bis 30 Prozent aller Kinder schlafwandeln regelmässig. Schlafwandler sind schwierig zu wecken und tun mitunter seltsame Dinge. «Viele verunfallen, weil sie die Treppe hinunter- oder zum Fenster hinausfallen», sagt Johannes Mathis. «Die schlafwandlerische Sicherheit gibt es nicht.»

Eltern können ihr Kind schützen, indem sie sanft, aber bestimmt mit ihm reden, es an der Hand nehmen und zum Bett zurückführen. Sie sollten es aber weder wecken noch ihm widersprechen. «Sonst», so Mathis, «kann es aggressiv werden.»

Den beschriebenen Phänomenen vorzubeugen ist schwierig, aber nicht unmöglich. Der Auslöser des Schlafwandelns und des Nachtschrecks ist ein Weckreiz aus einem besonders tiefen Schlaf. Der häufigste Grund für einen sehr tiefen Schlaf ist Schlafmangel in der vorangegangenen Nacht. Es kann helfen, wenn Kinder jede Nacht ihre individuelle Schlafdauer einhalten.

Weiter hilft eine halbe Stunde Schlaf vor dem Abendessen, um Schlafdruck abzubauen. Und schliesslich gilt es Weckreize zu minimieren wie jegliche Form von Lärm im Zimmer, eine volle Blase oder ein zu reichliches Nachtessen. Schwieriger ist es mit den psychologischen Faktoren: Sorgen wecken auf. Nicht beeinflussbar sind genetische Faktoren oder Fieber – beide begünstigen das Schlafwandeln. 

Für den Fall, dass Kinder eine Therapie brauchen, arbeitet Johannes Mathis eng mit Psychiatern und Psychologen zusammen. Vor allem wenn der Trauminhalt selbst zur Belastung wird, überweist er das Kind seinen Fachkollegen: Hier kommt der Neurologe an seine Grenzen.

Was träumen Kinder?

Was Kinder träumen, so zeigte die bisherige Kindertraumforschung, hängt nebst ihrer individuellen Erfahrungswelt auch von ihrem Geschlecht und Entwicklungsstand ab. Je grösser die verbale Ausdrucksmöglichkeit, desto länger und differenzierter sind die Traumberichte. Michael Schredl geht davon aus, dass alltägliche Erfahrungen die Träume beeinflussen.

Jüngere Kinder träumen häufiger als ältere von Tieren, Bezugspersonen und Fantasiegestalten.

Dazu gehören auch Filme, wie bei der achtjährigen Lilou. Sie will im Traum ihre Freundin vor einem Feuer retten. Dazu fällt ihr der erste Yakari-Film ein: «Yakari sass in einem Waldbrand fest. Da kam der kleine Donner, sprang über das Feuer und befreite ihn.»

Studien zeigen, dass jüngere Kinder häufiger als ältere von Tieren, Bezugspersonen und Fantasiegestalten träumen. All das gehört zu ihrer Alltagserfahrung. Bei Jugendlichen treten hingegen Interaktionen und Peers in den Vordergrund wie beim elfjährigen Luis, der im Traum mit Kollegen eislaufen geht. Das sei sein Hobby. Von Hobbys träumen Buben laut Studien häufiger als Mädchen.

Mädchen erinnern sich mehr an einen Traum, als Buben.
Mädchen erinnern sich mehr an einen Traum, als Buben.

Luis blättert in einem Büchlein, in welchem er Träume der vergangenen Nächte festgehalten hat. Seine Mutter zeigt auf eine Seite. «Willst du den erzählen?», fragt sie. Luis schüttelt den Kopf. Reden über Träume fällt nicht immer leicht. Damit Kinder so etwas Intimes wie einen Traum preisgeben, brauchen sie von den Erwachsenen die Gewissheit: Es ist normal zu träumen. Viele Menschen träumen, und manchmal die komischsten Dinge.

Mädchen erinnern sich etwas mehr an Träume als Buben, weil sie auch mehr über Träume berichten – vielleicht, weil sie aus Sozialisierungsgründen mehr über ihre Innenwelt reden. Aber letztlich sei das Erinnern eine Frage des Interesses, sagt Traumexperte Michael Schredl. «Wird in der Familie viel über Träume geredet, steigt die Erinnerung an sie.»

Kinder haben nicht nur schöne Träume…

Besonders gut in Erinnerung bleiben Albträume – zum Leidwesen der Betroffenen. Kinder von sechs bis zehn Jahren sind besonders häufig davon betroffen, ab zehn Jahren überwiegend Mädchen. Zu den häufigen Inhalten gehört der Tod nahestehender Personen.

Bei Lilou sterben Freundinnen, bei Luis stirbt der Vater und bei Sophia ihre Puppe Nina. «Sie war für mich so echt», sagt Sophia. Bei Familienreisen war sie immer dabei.

Räuber-und-Poli-Spielen vertreibt Albträume

In der Frage nach den auslösenden Faktoren für Albträume berufen sich Psychologen gerne auf das Anlage-Stress-Modell. Das heisst: Genetik und Persönlichkeit haben einen grossen Einfluss, dazu kann auch Stress Albträume begünstigen, ebenso Medikamente oder traumatische Erlebnisse.

Lilous zwölfjähriger Bruder Thierry zum Beispiel wurde mit sechs Jahren Zeuge davon, wie seine Eltern und Grosseltern nachts überfallen wurden. «Geht weg!», habe die Grossmutter gerufen. «Geht weg!», rief danach auch Thierry im Schlaf. Bis vor einem Jahr. Daran erinnert er sich aber nicht mehr: Das wiederholte Räuber-und-Poli-Spielen verschaffte Thierry Abhilfe.

Wichtig ist, zu zeigen, dass man das Kind ernst nimmt.

Albträume bei Kindern sind vorerst einmal normal. Sind sie jedoch wiederkehrend und verursachen sie Leiden, dann ist es ratsam, mit Unterstützung Dritter gegen die Angst vorzugehen. Eine gute Schlafhygiene kann helfen, ebenso elterlicher Trost und das Vermitteln von Sicherheit nach dem Aufwachen. 

Als Sophia weinend aufwachte, nachdem ihre Puppe Nina im Traum geschmolzen war, fragte ihre Mutter nach dem Trauminhalt. Sie tröstete Sophia und zeigte ihr die noch intakte Puppe. Auf diese Weise signalisierte sie ihrer Tochter, dass sie sie ernst nimmt.

«Ich war erleichtert, als ich sah, dass Papa da war»

Luis verschaffte sich selber Sicherheit. Nach seinem Traum, in dem der Vater im verschneiten Urwald verunfallte, schaute er nach, ob er noch lebt. «Ich war erleichtert, als ich sah, dass Papa da war», sagt Luis.

Lilou nahm dem Traum den Schrecken, indem sie die verstorbenen Freundinnen im Traum selbst oder nachträglich beim Erzählen wieder zum Leben erweckte. Diese Reaktion wie auch das Räuber-und-Poli- Spiel von Thierry ähneln der Imagery-Rehearsal-Theory-Methode (IRT), bei der Kinder ihre Angst angehen, indem sie den Traum zeichnend umgestalten.

Klarträume statt Albträume?

Auch mit luziden Träumen, also Klarträumen, lassen sich Albträume behandeln. 20 Prozent der Bevölkerung erleben mindestens einen und 1 Prozent mehrere Klarträume pro Monat. Bei Kindern von sechs bis acht Jahren ist die Auftretenswahrscheinlichkeit höher als bei Erwachsenen. In Klarträumen ist sich die Träumerin bewusst, dass sie träumt – das heisst, sie kann theoretisch den Traum kontrollieren und in eine weniger bedrohliche Richtung lenken.

Mit Klarträumen befasst sich der Sportwissenschaftler Daniel Erlacher. Er untersucht an der Universität Bern, ob mit Klarträumen Bewegungsabläufe optimiert werden können. Sein Interesse wurde geweckt, als er sich im Traum dabei ertappte, wie er in der Küche Basketball spielte.

«Ich zweifelte, weil es seltsam ist, in der Küche Basketball zu spielen. Ich sagte mir: Wenn ich den nächsten Wurf treffe, weiss ich, dass ich träume.» Er traf daneben. Und dennoch liess ihn das Thema nicht mehr los.

Klarträume können Albträume verschwinden lassen.
Klarträume können Albträume verschwinden lassen.

Mit Klarträumen liessen sich Bewegungen mental einüben, Probleme lösen, kreative Einfälle fördern, aber «das Wichtigste», so Daniel Erlacher, «ist der Spassfaktor». Und ja: Es gebe Studien, die für eine Anwendung der Klarträume in der Albtraumtherapie sprechen.

In einem Programm versuchten Probanden über vier Wochen hinweg mittels Klarträumen Zugang zu ihren Albträumen zu finden. Und tatsächlich: «Die Albträume verschwanden – aber schon bevor die Probanden klarträumen konnten», sagt Daniel Erlacher. Offenbar reichen dazu bereits die Auseinandersetzung mit dem Albtraum sowie das Wissen, dass man eingreifen könnte.

Mit Sprechstunden gegen Albträume

Anders gesagt: Über Albträume reden hilft. «Schon eine Sitzung kann zu einer deutlichen Verbesserung führen», weiss Michael Schredl aus seiner Albtraumsprechstunde in Mannheim. Auch die bereits erwähnte IRT-Methode ist wirksam. Sie gehört zu den verhaltenstherapeutischen Methoden, bei denen – vereinfacht gesagt – Symptome durch das Erlernen neu­er Denkmuster und Verhaltens­ weisen therapiert werden.

Ein Traum ist wie eine Rose

Manchmal sind Gedanken und Wünsche in Träumen explizit dar­ gestellt. So träumte Lilous 14­-jähri­ge Schwester Zoé mit sechs Jahren, dass sie Hunger hatte: «Ich träumte, dass auf dem Nachttischchen ein Zopf lag, der so gut roch. Ich biss rein.» Sie wachte auf – und realisier­te, dass sie nicht in einen Zopf, son­dern in ihren Finger gebissen hatte. 

Manchmal verweist der Traum aber auf etwas, das nicht explizit darge­stellt ist. Dann fängt die Deutungs­arbeit an, wie sie der Kinder­ und Jugendpsychiater Dieter Bürgin in seiner Praxis durchführt.

Ein Traum hat unendlich viele Bedeutungen.

Dieter Bürgen, Kinder und Jugendpsychiater

Unabhängig von der Behand­lungsform – wichtig sind Reden und offenes Hinhören. Vielleicht verhält es sich bei der Behandlung und Erforschung des Traums in den Worten von Dieter Bürgin wie bei einer Rose: «Man kann sie aus ver­schiedenen Blickwinkeln betrachten – aus einem botanischen, einem genetischen – oder man fragt nach ihrer Bedeutung.» Nur sei es bei der Traumdeutung wie oft bei Sinn­ fragen: «Ein Traum hat unendlich viele Bedeutungen.»

Wäre ja noch schöner, wenn das Rätsel des Traums nach Jahrtausen­den des Suchens plötzlich einfach so gelöst wäre.

Sarah King
ist Journalistin und betreibt Gesprächsforschung. Ihr Fokus: Sprachbilder, Körperbilder, alles im und rund um den Menschen. Ihre Leidenschaften: Schreiben und Musik.

Alle Artikel von Sarah King

Tipps und Links:

  • Für eine ruhige Nacht: Michael Ende und Annegert Fuchshuber: Das Traum­fresserchen. Thienemann Verlag 2010.
  • Für die Praxis: Reinhard Pietrowsky und Johanna Thünker: Ratgeber Alpträume. Hogrefe 2015.
  • Aus der Forschung: Michael Schredl: Die nächtliche Traumwelt. Eine Einführung
    in die psychologische Traum­ forschung. Kohlhammer 1999.
  • Aus den Anfängen: Sigmund Freud (1900): Die Traumdeutung. In Studien­ ausgabe, Bd. II, Fischer 1972.
  • www.schlafmedizin.ch; www.klartraum.de