Depression: Unser Thema im Oktober - Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
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Depression: Unser Thema im Oktober

Lesedauer: 1 Minuten

Chefredaktor Nik Niethammer stellt im Zoom-Interview seine persönlichen Lese-Tipps der neuen Ausgabe vor. 

Liebe Leserin, lieber Leser

Mein Vater mochte Fritz+Fränzi. Er war ein ebenso liebevoller wie strenger Kritiker unserer Texte und Bilder. Zuletzt sass ich an seinem Krankenbett und wir blätterten gemeinsam in den Heften. Seinem geübten Auge als gelernter Schriftsetzer entging nichts.

Während ich diese Zeilen schreibe, denke ich an meinen Vater. Er war das jüngste von zehn Kindern. Vor der Schule trug er Brote aus. Oft ging er barfuss, weil das Geld für Schuhe nicht reichte. Er war nie in Amerika, sprach keine Fremdsprache, hatte nie Schwimmen gelernt. Sein grösster Wunsch war, dass es uns Kindern einmal besser geht.

Er war ein feiner, humorvoller Mensch und wunderbarer Vater. Wir haben ihn geliebt, weil er herrlich unvernünftig sein konnte. Wir durften als Kinder mitten in der Nacht aufstehen und Boxkämpfe schauen. Oder die Mondlandung. Er nahm uns am verregneten Wochenende mit zum Motocross. Wir stapften mit Schlamm an den Stiefeln und einer Wurst in der Hand durch den Matsch. Wir wanderten in den Bergen, stundenlang, von Hütte zu Hütte, kamen abends müde und glücklich nach Hause. Später begleitete er meine Geschwister und mich aufmerksam und besonnen auf unseren privaten und beruflichen Wegen.

Mein Vater war stolz auf das, was das kleine Fritz+Fränzi-Team im fernen Zürich jeden Monat zustande brachte. Auch wenn es oft keine leichte Kost ist, die wir Ihnen, liebe Leserin, lieber Leser, zumuten: Ihm hätte auch diese Ausgabe gefallen. Weil sie Fragen mitten aus dem Leben aufgreift: Wie entstehen bei jungen Menschen psychische Erkrankungen oder Essstörungen? Und wie können wir helfen? Was müssen Eltern beachten, wenn sie ihr Schulkind therapieren lassen? Wie können Lehrpersonen das Verhältnis zu den Eltern ihrer Schützlinge verbessern?

Während der Produktion dieses Heftes ist mein Vater friedlich eingeschlafen. Er wurde 85 Jahre alt. Er musste nicht leiden. Dafür sind wir unendlich dankbar. Ich hielt lange seine Hand, erzählte von früher und sagte ihm, wie viel es mir bedeutet, dass er so war, wie er war. Auch wenn er nicht mehr antworten konnte, weiss ich, dass er gespürt hat, dass ich in den letzten Stunden bei ihm war.

Wie nie zuvor in meinem Leben hat mir der Tod meines Vaters die Endlichkeit unseres Daseins vor Augen geführt. Und wie sehr wir Sorge tragen sollten, stets im Frieden mit uns und ­unseren Mitmenschen zu leben.

Der Tod des Grosspapi hat auch meine Familie getroffen. «Warum müssen Menschen sterben?», fragte mein 11-jähriger Sohn. Ich wusste nicht sofort eine Antwort. Und meine Tochter, 9, erkundigte sich besorgt: «Papi, müssen wir ab jetzt immer traurig sein?»

Ich danke Ihnen, liebe Leserin, lieber Leser, dass ich diese persönlichen Gedanken mit Ihnen teilen darf. Dieses Heft widme ich meinem Vater, der mir stets Vorbild und Wegbegleiter war.

Danke für alles, lieber Papi.
Und eine gute Reise ins Licht.

Herzlichst,
Ihr Nik Niethammer

«Nichts hat einen stärkeren psychischen Einfluss auf die Kinder als das ungelebte Leben der Eltern.»

Carl Gustav Jung (1875–1961),
Schweizer Psychiater und Begründer 
der analytischen Psychologie