Kinderlose argumentieren falsch
Fans von Kinderlosigkeit beschreiben ihr Leben ohne Nachwuchs so, als würden sie auf Zucker oder Alkohol verzichten. Sie argumentieren am Kern der Sache vorbei, findet Michèle Binswanger.
Man liest gerade wieder viel von Frauen, die in Essays und Artikeln darüber aufklären, warum es sich lohnt, keine Kinder zu haben. Etwa, weil das Leben ohne Kinder ein viel besseres sei. Das denken auch jene Autorinnen, die unter dem Genrebegriff «Regretting Motherhood» dem kinderlosen Leben nachtrauern.
Demnach ist Mutterschaft, so liest man, der schlimmste Job, öde und langweilig: Die Entscheidung für Kinder bedeutet, auf eine Karriere zu verzichten, auf endlose Reisen und Abenteuer, das mondäne Leben voller Freiheit, Kultur und Restaurantbesuchen.
Über Elternschaft kann man so viel nachdenken, wie man will; was Mutterschaft wirklich bedeutet, erschliesst sich erst durch Erfahrung.
Stattdessen verbringt man seine Zeit mit Windelnwechseln und Organisation. Ganz zu schweigen von all den körperlichen Flurschäden, die Geburt und Stillen hinterlassen. Und man denke nur an die verheerende Klimabilanz, die ein Kind mit sich bringt!
Alles Gründe, sich dazu zu gratulieren, sich so etwas nicht angetan zu haben. Könnte man meinen. Was will man dagegen schon sagen? Sicher wäre ein Leben ohne Kinder anders, vielleicht wäre es ein besseres Leben. Wissen kann ich es nicht, denn ich habe mich dagegen entschieden, als ich mich für Kinder entschied. Ohne viel über die weitläufigen Konsequenzen nachzudenken, sagte ich ja, weil der Vater ja sagte und ich auch und weil wir uns liebten. Weil es sich richtig anfühlte.
Das mag man vielleicht etwas naiv finden, oder auch effizient. Denn über Elternschaft kann man so viel nachdenken, wie man will; was Mutterschaft wirklich bedeutet, erschliesst sich erst durch Erfahrung. Und als mein erstes Kind, mein Töchterchen, mir zum ersten Mal in die Augen schaute, verliebte ich mich unheilbar, sodass andere mögliche Lebensrealitäten plötzlich keine Rolle mehr spielten.
Vom Bündel, zum Kleinkind, zum Teenie
Alles reduziert sich auf die Aufgabe, dieses Wesen grosszuziehen. Darüber nachzudenken, welchen Lebensweg ich andernfalls gemacht hätte, ist höchstens eine intellektuelle Spielerei. Und nun kommen also diese Frauen, die über ihr Leben ohne Kinder so schreiben wie über den Verzicht auf Zucker oder Alkohol, eine Lifestyle-Möglichkeit unter anderen, die für strahlendere Haut und bessere Gesundheit sorgt und erst noch die Umwelt schont.
Und sie haben ja recht: Der Schlaf ist mit Sicherheit besser, die Gesundheit stabiler ohne Kinder. Dass diese Frauen zuweilen gefragt werden, warum sie keine Kinder haben, wird als Zumutung, ja Grobheit empfunden.
Lustigerweise erklären sie sich trotzdem in ganzen Büchern, warum das Leben ohne dem Leben mit Kindern vorzuziehen ist. Auch das kann man ihnen nicht verdenken, wenn es auch ein bisschen anmassend ist. Schliesslich haben sie ja auch keine Ahnung, welches Leben sie führen würden, hätten sie selber Kinder.
Was es bedeutet, sie grosszuziehen, ihnen dabei zuzuschauen, wie sie vom Bündel zum Kleinkind, dann zum Teenie und schliesslich zum Erwachsenen werden. Wie tiefgreifend diese Erfahrung die eigene Existenz bereichert. Es liegt jenseits von Worten. Und ich zumindest würde es für nichts in der Welt missen wollen.