«Ich wollte lieber Mama als Schwester sein»
Wie ist es, wenn man mit sechs Jahren eine Schwester bekommt? Tina Z., 17, über Liebe, Rivalität und Eifersucht unter Geschwistern.
Ich war mächtig stolz. Endlich war ich ein Schulkind und hatte jetzt zusätzlich die Ehre, mich «grosse Schwester» zu nennen. Ohne dass es mir irgendwer aufgetragen hätte, habe ich mir sofort grosse Verantwortung zugeschrieben. Diesem kleinen Wesen, das immer gut verpackt und fest eingewickelt in Hunderte Tücher und Windeln auf unserem Sofa lag, fühlte ich mich auf eine besondere Weise verpflichtet. Ich wollte es besser behandeln als meine allerliebsten Puppen und ihm alle wichtigen Dinge beibringen: Ich wollte wie eine zweite Mama sein.
Wirklich verändert hat sich auch mein Zimmer, und das nahm ich alles andere als gelassen. Sobald das Gitterbett aus dem Schlafzimmer meiner Eltern in mein Zimmer verfrachtet wurde, offenbarte sich mir zum ersten Mal das kleine Teufelchen Katja. Als die Kleine «zahnte», schrie sie sich jede Nacht den Leib aus der Seele – und mich aus dem Schlaf. Auch meine sorgfältig aufgestellten Barbiepuppen und Playmobil-Städte waren zum Tode verurteilt, als sie zu krabbeln begann. Ich – als Ordnungsfreak – merkte sofort, wenn meine Mutter versucht hatte, die Verwüstung wieder in Ordnung zu bringen. Ja, meine Schwester bedeutete Arbeit, das wurde mir schnell bewusst.
Sie die Quirlige, ich der Denker – wir könnten unterschiedlicher nicht sein.
Der einzige Unterschied: Da, wo ich Katja vor nicht allzu langer Zeit unsere Spielzeug-Kasse erklärt habe, lernt sie heute den Gebrauch von iPad, Smartphone & Co von mir, und dort, wo ich sie früher mit Tiernamen beeindrucken konnte, sprechen wir heute lieber über Lady Gaga. Da, wo ich sie vor ein paar Jahren noch vor lebensgefährlichen Murmeln und Steckperlen beschützen musste, halte ich heute auf dem Schulhof eingebildete Zicken und fiese Jungs von ihr fern.
Bei den (fiesen) Jungs kann sie mir übrigens auch behilflich sein. Neben all den kleinen und grossen Leiden und Freuden in unserer «kleine Schwester – grosse Schwester»-Beziehung hat sie für mich einen weiteren, unglaublich praktischen Nutzen: Eine kleine Schwester ist die perfekte Ausrede, um lästige Dates abzusagen. Egal, wie alt sie mittlerweile tatsächlich ist – sie ist immer «klein» genug, um «Babysitten» als glaubwürdige Ausrede für eine Absage zu verwenden.
Katja war immer meine Kleine, ist meine Kleine und wird immer meine Kleine sein. Kleine Schwester bleibt kleine Schwester – für immer.