Die eigenen vier Wände sind ein Spiegelbild unserer Seele. Unser Autor hat sich in Wohnungen und Häusern umgesehen, sie auf Kinderfreundlichkeit geprüft, mit Experten gesprochen. Wie wohnen Schweizer Familien? Und wie wohnen wir in Zukunft?
Wie sieht es bei Ihnen zu Hause aus – aufgeräumt? Oder herrscht das kreative Chaos? Wer dominiert das Bild Ihrer Wohnung oder Ihres Hauses? Sie, die Eltern, die für die Einrichtung zuständig sind? Oder sind es Ihre Kinder, die immer mehr Räume bespielen? Was hängt an der Wand? Kunst, Kinderzeichnungen, Familienfotos oder Erinnerungen an Ihre wilde Jugend? Wie viel Platz haben Sie? Mieten Sie oder gehört Ihnen das Haus, in dem Sie wohnen? Wie wir wohnen, sagt viel darüber aus, was uns wichtig ist, was wir schön finden, aber auch, wie wir uns organisieren und wie viel Geld wir zur Verfügung haben. «Die Menschen haben ihre Bedürfnisse, ihre Wünsche und ihr Budget. Die entscheidende Frage ist, ob das Angebot an Wohnungen diese Bedürfnisse befriedigen kann und zu welchem Preis» sagt Ernst Hauri, Direktor des Bundesamtes für Wohnungswesen. Die gute Nachricht: Die grosse Mehrheit der Schweizer Bevölkerung fühlt sich in ihren vier Wänden wohl. Das hat die Zürcher Beratungsagentur Wüest & Partner im Auftrag der NZZ ermittelt (Immo- Barometer 2015). Für das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi hat Wüest & Partner seine Befragungsdaten auf Familien eingegrenzt. Das wichtigste Resultat: 97 Prozent der 782 befragten Familien gefällt es «ziemlich gut» oder «sehr gut» in ihrem Zuhause.
Wohnträume und Lebenspläne
Spätestens wenn Kinder unterwegs sind, beginnen sich die meisten Paare zu überlegen, ob ihre aktuelle Wohnsituation den neuen Bedürfnissen entspricht. Die Wohnungs- oder Haussuche mischt sich mit der allgemeinen Lebensplanung. In welchem Umfeld sollen die Kinder aufwachsen? Wie kommen sie zur Schule, wo können sie mit ihren Freundinnen und Freunden spielen? Wie weit ist es zur Arbeit und welche Betreuungsmöglichkeiten gibt es, wenn Vater und Mutter ausser Haus arbeiten? Klar, es soll schön sein zu Hause, man will sich wohlfühlen.
«Vielleicht zieht einmal ein Elternteil zu uns». Die Familie Nigg wohnt in einem Hausteil.
Es gibt aber auch eine Reihe praktischer und organisatorischer Überlegungen, die bestimmen, wo man sich schliesslich niederlässt. Wer das Angebot an Einrichtungskatalogen, Wohn-Blogs und TV-Sendungen zum Thema Bauen und Wohnen studiert, gewinnt rasch den Eindruck, das Wohnen und besonders die Wohnästhetik seien wichtiger denn je. Ernst Hauri, promovierter Ethnologe, glaubt das nicht. «Das Wohnen hatte schon immer einen hohen Stellenwert. Nur haben sich die Ansprüche und das Angebot verändert. War früher manche Familie mit einer Dreizimmerwohnung zufrieden, müssen es heute mindestens vier Zimmer sein.»
Für dieses Dossier haben wir drei Familien in der Deutschschweiz besucht. Allen ist gemeinsam, dass ihre Wohnung oder ihr Haus nicht zufällig ihr Zuhause geworden ist:
Die Familie Nigg suchte ein Haus zum Kauf und wurde im Zürcher Oberland fündig
Die Familie Sommer Häller wollte vom Land zurück in die Stadt, hatte von Anfang an eine Wohnbaugenossenschaft in Luzern im Auge, deren Mieterin sie schliesslich wurde.
Die Patchwork-Familie Chantal Portenier/Fausto Cartillone in Uitikon ZH malte und dekorierte mit viel Engagement, bis ihre Mietwohnung zu ihnen passte. Und das zweimal, weil sie unerwartet doch noch eine grössere Wohnung beziehen konnte.
Die Schweizer Haushalte beanspruchen seit den Siebzigerjahren stetig mehr Wohnfläche: Waren es 1980 noch 34 Quadratmeter pro Person, stieg die Zahl bis 2013 auf 45 Quadratmeter. Ein grosser Teil des Anstiegs liegt allerdings daran, dass immer mehr Menschen alleine oder zu zweit ohne Kinder leben. Dennoch stehen wir bezüglich Wohnungsgrösse an einem Wendepunkt, vermutet Hauri: «Der Anstieg hat sich deutlich verlangsamt und vielleicht geht es demnächst in die andere Richtung.» Schon heute stehen viele sehr grosse und teure Appartements leer und werden teilweise zu mehreren kleineren Einheiten umgebaut.
Der Preis des Wohnens
Das Häuschen im Grünen mit Garten bleibt der Traum vieler Familien. Ökologisch war das Einfamilienhaus noch nie sinnvoll, doch langsam wird auch der Platz dafür knapp. Hinzu kommt, dass heute immer mehr Familien die Mittel fehlen, um sich ein Haus zu kaufen, wie eine Studie der Credit Suisse über den Schweizer Immobilienmarkt 2016 zeigte. Laut Wüest & Partner sank die Zahl der neu gebauten Einfamilienhäuser zwischen 2000 und 2015 von 15 000 Wohneinheiten auf 7500. Gestiegen ist hingegen das Interesse an Eigentumswohnungen. Auch immer mehr Elternpaare kaufen heute eine Wohnung statt ein ganzes Hauses – nicht zuletzt deshalb, weil in Städten praktisch keine Einfamilienhäuser zum Verkauf stehen. Trotzdem leben noch immer 55 von 100 in der Schweiz wohnhaften Familien in einem Einfamilienhaus, sagt das Immo-Barometer. Damit liegen sie deutlich über dem Schnitt der Gesamtbevölkerung, von der nur 20 von 100 Personen ohne Nachbarn unter dem gleichen Dach wohnen. Besteht der Familienhaushalt aus vier Personen, stehen 54 von 100 Familien fünf bis sechseinhalb Zimmer zur Verfügung; bei 33 von 100 Familien sind es vier bis viereinhalb Zimmer. Wie die Familien in der Schweiz wohnen wollen, zeigt sich bei jenen, die auf der Suche nach einer Wohnung oder einem Haus sind: Knapp 28 Prozent suchen eine Mietwohnung, 37 Prozent ein Haus. Ob man mietet oder kauft, ist zuerst eine Frage der Mittel, die man zur Verfügung hat.
Das Häuschen im Grünen mit Garten bleibt der Traum vieler Familien.
Die tiefen Hypothekarzinsen sorgen seit Jahren dafür, dass die Wohnkosten der Eigentümer tiefer sind als jene der Mieter. Trotzdem braucht man ein gewisses Vermögen und Einkommen, um für einen Wohnkredit überhaupt in Frage zu kommen. Die Preise für Eigenheime wie auch die Mietzinse steigen seit dem Immobilien-Crash Anfang der Neunzigerjahre an. Allein zwischen 2000 und 2015 stieg der Preis für ein Einfamilienhaus in der Schweiz um durchschnittlich 60 Prozent, Eigentumswohnungen wurden über 90 Prozent teurer. Die Mieten stiegen in der gleichen Zeit um 50 Prozent. Trotzdem nahm laut einer Analyse des Bundesamtes für Statistik zwischen 1998 und 2011 der Anteil am Einkommen kaum zu, der für die Miete ausgegeben wird. Während der Mittelstand knapp 19 Prozent des Bruttoeinkommens für die Miete ausgibt, sind es bei tiefen Einkommen über 30 Prozent. Das Bundesamt für Wohnungswesen schreibt auf seiner Website, dass bei tiefen Einkommen ab einer Mietbelastung von 25 Prozent die Befriedigung anderer Grundbedürfnisse gefährdet sei.
Wohnort und Wege
Noch immer ziehen viele junge Familien aufs Land oder zumindest in die etwas grünere Agglomeration. Doch auch die Städte sind attraktiver geworden und bieten familienfreundlichen Wohnraum. «Die Verkehrsberuhigung, Wohnstrassen und Tempo-30-Zonen haben ganze Stadtteile wohnlicher gemacht », ist Ernst Hauri überzeugt. Er vermutet auch, dass heute mehr Eltern dort bleiben wollen, wo etwas los ist. Wo wohnen die meisten Familien in der Schweiz: in Städten, Dörfern oder der Agglomeration? Sieht man sich die Statistik der Haushaltsgrössen an, fällt auf, dass der Anteil von Haushalten mit drei und mehr Personen in den grossen Städten kleiner ist als in Gemeinden mit wenigen Tausend Einwohnern. Allerdings sind auch viele kleine Gemeinden Teil einer städtischen Agglomeration. Laut Bundesamt für Statistik leben 84 Prozent der Schweizer Bevölkerung in einem städtischen Umfeld. In dieser deutlichen Mehrheit ist auch die Mehrheit der Familien enthalten. Ein wichtiges Kriterium für die Wahl des Wohnorts sind die Arbeitsorte der Eltern und die Schulwege der Kinder.
Die Patchwork-Familie Chantal Portenier/Fausto Cartillone in Uitikon ZH
Während der Arbeitsweg einfach nicht allzu lange dauern soll, wünschen sich nach wie vor die meisten Eltern, dass ihre Kinder zu Fuss zur Schule gehen können – was auf sieben von zehn Schülerinnen und Schüler der Unterstufe zutrifft. Ausserhalb der Wohngemeinde zu arbeiten, ist hingegen für sieben von zehn Berufstätigen Realität. Die durchschnittliche Distanz des Arbeitswegs liegt bei 14,4 Kilometer. Der durchschnittliche Schulweg in der Schweiz ist 1,6 Kilometer lang, mehr als zwei Drittel aller Schülerinnen und Schüler legen auf dem Weg zur Schule weniger als einen Kilometer zurück. Pädagoge Marco Hüttenmoser warnt Eltern davor, einzig die Distanz bis zur Schule zu beachten. Genauso wichtig sei die Erreichbarkeit der Orte, an denen die Kinder mit anderen Kindern spielen können. Wer will, dass seine Kinder viel Zeit im Freien mit Gleichaltrigen verbringen, sollte sich eine Wohnung suchen, die in einer verkehrsarmen Umgebung liegt. Muss die Mutter oder der Vater jedesmal mit, wenn die Kinder nach draussen wollen, sinkt die Zeit massiv, die sie ausserhalb der Wohnung verbringen.
Vom Wert der Nachbarschaft
Damit Kinder gerne draussen sind, braucht es in aller Regel Spielkameraden. Hier punkten nicht zuletzt grosse Wohnüberbauungen. Das verdichtete Bauen – auf relativ wenig Fläche wird Wohnraum für viele Menschen geschaffen – ist für Familien und speziell Kinder attraktiv, sofern die Aussenräume der Wohnsiedlung grosszügig und mit Platz für Kinderspiele angelegt werden. Viele Eltern schätzen es zudem, dass sie ihren Nachwuchs vom Balkon aus unter Kontrolle haben. Das Schicksal vieler familienfreundlicher Wohnsiedlungen ist jedoch, dass am Anfang Familien mit kleinen Kindern einziehen, welche dann gemeinsam heranwachsen und ihre Elternhäuser schliesslich verlassen, während ihre Erzeuger noch jahrelang in der Familienwohnung bleiben. Ziehen neue Familien mit kleinen Kindern ein, kann es sein, dass diese kaum gleichaltrige Nachbarskinder finden. Für Marco Hüttenmoser ist klar: Ein kinderfreundliches Wohn- umfeld ist auch ein familienfreundliches. Wo Kinder sich wohlfühlen, leben auch ihre Eltern gut. Nicht zuletzt sorgen Kinder für Kontakt in der Nachbarschaft – manch gemütlicher Grillabend ergibt sich, weil die Kinder am Nachmittag miteinander spielten.
Laut Immo-Barometer ist die Familienfreundlichkeit der Umgebung für 41 Prozent der befragten Familien entscheidende für die Wahl des Domizils. Wo Familien gerne wohnen, ist auch eine Frage der Vorlieben und der Lebensgestaltung. Die Nähe zu Betreuungseinrichtungen ist vor allem für Familien wichtig, in denen beide Elternteile ausser Haus arbeiten. «Familien mit kleinen Kindern haben ganz andere Bedürfnisse als Familien mit Teenagern», sagt Ernst Hauri. Werden die Kinder älter, ändern sich die Anforderungen ans Wohnen wie auch an den Wohnort. Das kinderfreundliche Quartier kann dann furchtbar langweilig, die Distanz zur Stadt zum Frust für Jugendliche werden. Wenn die Kinder nicht mehr gemeinsam in einem Zimmer schlafen wollen, werden Umstellungen nötig. Manche Eltern müssen dann ihr geliebtes «Büro», das Musik oder TV-Zimmer hergeben. In der Pubertät wollen viele Jugendliche noch mehr Privatsphäre, mit einem eigenen Zugang nach draussen oder einer Etage für sich allein.
Wohnstrassen, Tempo 30: Viele Städte sind für Familien attraktiver geworden.
Auf solche Wünsche eingehen kann nur, wer Platz dafür hat oder die Möglichkeit, baulich etwas zu verändern. Während die Zukunft der grösser und selbständiger werdenden Kinder auf jede Familie unweigerlich zurollt, gibt es gesellschaftliche Veränderungen, die sich ebenfalls aufs Wohnen auswirken. Geschiedene Eltern und Patchwork-Familien etwa sind an flexibel nutzbaren Wohnungen interessiert, wenn entweder die Kinder, Vater oder Mutter zwischen zwei Wohnsitzen pendeln. Laut einer Studie der ETH wohnen bereits 28 Prozent der Schweizer Bevölkerung an mindestens zwei Orten, darunter viele, die zwischen Arbeitsort und Familienwohnsitz pendeln. Aufgrund des «multilokalen Wohnens» wird insgesamt noch mehr Wohnraum beansprucht, der dafür regelmässig für ein paar Tage leer steht. Gut möglich, dass der Immobilienmarkt in absehbarer Zeit diese Klientel mit speziellen Wohnobjekten bedient. Es wird interessant zu beobachten sein, welche Auswirkungen der Rückgang der Haushalte mit drei und mehr Personen hat. Wird es in Zukunft einfacher, eine Familienwohnung zu finden, weil es weniger Familien gibt? Oder werden die grossen Appartements flugs von Paaren und Singles in Beschlag genommen, die sich über mehr Platz freuen? Fest steht: Auch die Wohnbedürfnisse der Zukunft werden grösstenteils mit dem Wohnungsangebot der Gegenwart gedeckt. «Jährlich wird ein Prozent des Wohnungsbestandes erneuert», sagt Ernst Hauri. Die meisten Häuser, in denen Familien in zehn oder zwanzig Jahren wohnen werden, stehen also bereits.
Wie geht «kindergerechtes Wohnen»?
Kinder spielen überall – es ist deshalb auch wichtig, wie der Raum vor der Wohnungs- respektive Haustüre gestaltet ist. Wie sieht dieser Raum aus? Gibt es Landschaften, Pflanzen, Spielgeräte? Treff- und Bewegungsorte sowie ein Gemeinschaftsbereich sind wichtig (Sandkasten, Baumhäuser, Versteckmöglichkeiten). Kinder lieben es, Strukturen zu verändern, zu graben, zu bauen. Lose Rohmaterialien wie Äste, Steine, aber auch Wasser eignen sich besonders dafür. Kinder müssen sich draussen frei bewegen können. Der Zugang zum Aussenwohnraum muss für Kinder jeden Alters möglich sein. Kinder werden grösser. Ein vierjähriges Kind hat einen anderen Aktionsradius als ein zwölfjähriges. Auch das gilt es zu beachten.
97 Prozent der Familien in der Schweiz sind zufrieden mit ihrem Zuhause. 90 Prozent sind zufrieden mit der Kinderfreundlichkeit der Umgebung und 94 Prozent mit der Nähe zu Schulen, Kindergärten und Kindertagesstätten.
Umzugsabsichten 36 Prozent der Befragten würden gerne umziehen oder sind aktiv auf der Suche nach einem neuen Zuhause. 82 Prozent der Umzugswilligen aus familiären Gründen, 79 Prozent suchen eine grössere Wohnung und 69 Prozent sind unzufrieden mit dem Umfeld, der Lage oder dem Quartier.
Gefragte Wohnobjekte 37 Prozent der umzugswilligen Familien suchen ein Haus zum Kauf, 28 Prozent eine Mietwohnung. 30 Prozent suchen 4 bis 4,5 Zimmer, 55 Prozent 5 bis 6,5 Zimmer und 75 Prozent wollen mindestens 110 Quadratmeter Wohnfläche. Die Kinderfreundlichkeit der Umgebung ist für 39 Prozent der Umzugswilligen ausschlaggebend und für 47 Prozent «auch noch wichtig».
Quelle: Studie 2015 Immo-Barometer NZZ Wüest & Partner für Fritz+Fränzi
Zum Autor
Stephan Michel, 43, zog mit seiner Partnerin vom Zürcher Kreis 3 in ein Mehrfamilienhaus am Rand des Blüemliquartiers, einer alten Einfamilienhaussiedlung unweit des Uetlibergs. Hier leben sie mit ihren zwei Kindern, 5 Jahre und 9 Monate, wie im Dorf, es gilt Höchstgeschwindigkeit 20, man spielt auf den Quartierstrassen und hält einen Schwatz am Gartenzaun. Urban fühlt es sich nur an, wenn der FCZ im nahen Letzigrund aufläuft.