Chindsgi oder Kindergarten? Die Mundart bringt keinen Nachteil

Bilder: Kyla Ewert
Sollen Kindergartenkinder im Dialekt oder in Hochdeutsch unterrichtet werden? Das ist eine Frage, die in der Schweiz oft zu hitzigen Diskussionen führt. Jetzt hat eine Studie gezeigt, dass der Dialekt keinen negativen Einfluss auf den Erwerb der Schriftsprache hat.
Das Ja im Aargau hatte Folgen: Seit Inkrafttreten der Regelung im Schuljahr 2016/17 verwendet die Kindergartenlehrperson wieder Begriffe wie «Hitzgi», «Znüni» und «Finkli». Auf Hochdeutsch sind nur noch kurze Unterrichtssequenzen wie Vorlesen oder Singen erlaubt.
Gestritten wird meist darüber, ob fremdsprachige Kinder zu wenig gefördert würden, wenn nur Mundart gesprochen wird.
Zusammen mit der Hochschule für Logopädie Rorschach und den Pädagogischen Hochschulen Graubünden, Weingarten (Deutschland) und Vorarlberg (Österreich) erforschte die Pädagogische Hochschule St. Gallen drei Jahre lang, welche Auswirkungen Dialekt und Hochdeutsch als Unterrichtssprachen auf die Sprachentwicklung von Kindern haben.
200 Fachpersonen und 849 Kinder in 117 Kindergärten machten bei «Sprikids» mit. In der Schweiz waren Kindergärten aus Zürich, St. allen, Graubünden und dem Aargau beteiligt. Im Kanton Zürich wird in Kindergärten seit 2011 nur noch Dialekt gesprochen. Im Kanton St. allen gibt es keine Vorgabe und in Graubünden wird ein ausgewogenes Verhältnis empfohlen.
Kaum Fortschritte beim Schreiben im Kindergarten
Die Kinder machten für die «Sprikids»-Studie zweimal im Kindergarten und einmal im Frühling der 1. Klasse einen Schreib- und einen Sprachtest: Sie mussten einerseits zu Bildern das richtige Wort hinschreiben und machten andererseits einen Test, bei dem sie Laute hören, Reime erkennen und Silben klatschen mussten.
Beim Schreibtest zeigte sich, dass im Kindergarten bereits 36 Prozent der Kinder, respektive beim zweiten Test am Ende der Kindergartenzeit 38 Prozent, einzelne oder mehrere Laute der in Bildern dargestellten Wörter richtig verschriften können. Am Ende der ersten Klasse sind 82 rozent der Kinder in der Lage, die Laute der Wörter annähernd oder vollständig korrekt zu schreiben. Der Sprachtest deckte sich weitgehend mit dem Schreibtest: Jene Kinder, die Mühe mit dem Erkennen von Lauten hatten, schnitten auch beim Schreibtest schlechter ab.

Studienleiterin Vogt macht auf eine Besonderheit der Befragung aufmerksam: Von den 849 Kindern wurden nur 120 ausschliesslich in Hochdeutsch unterrichtet. «Dies ist eine zu kleine Zahl, um abschätzen zu können, welchen Einfluss der ausschliessliche Gebrauch von Hochdeutsch haben könnte», so Vogt.
Dass Kindergartenlehrpersonen ausschliesslich Hochdeutsch sprechen, ist in der Schweiz ohnehin nicht die Regel. Gestritten wird meist darüber, ob fremdsprachige Kinder nicht genug gefördert würden, wenn nur Mundart gesprochen wird.
Dazu haben die Forscherinnen eine klare Meinung: «Es ergibt keinen Sinn, im Unterricht Dialekt zu sprechen, aber ein fremdsprachiges Kind Hochdeutsch anzusprechen», sagt Vogt. «Kurze Wechsel sind für Kinder mit Deutsch als Zweitsprache nicht nachvollziehbar.»
Fremdsprachige brauchen klare Wechsel
Wenn im Kindergarten regelmässig Hochdeutsch gesprochen wird, fällt den Kindern der Übergang in die Schule leichter.
Die Kindergärtnerinnen und Kindergärtner können die Schreibkompetenz zwar nicht mit ihrer Sprache, aber doch mit dem Gebrauch beeinflussen: Die Studie ergab, dass die Kinder am Ende des Kindergartens besser schreiben, wenn die Lehrperson die Kinder im Freispiel beispielsweise bewusst zum Dialog animiert hat. Spezielle Laut- oder Reimförderprogramme zeigten jedoch keine Wirkung.
Schweizer Kinder konnten Vorsprung nicht halten
Ist es denn überhaupt sinnvoll, das Schreiben schon im Kindergarten zu fördern? «Der Schrifterwerb ist in unserer Gesellschaft sehr wichtig», sagt Vogt, «wir eignen uns viel Wissen übers Lesen an. Wer bereits im Kindergarten schreiben kann, hat einen Startvorteil.»
Stabile Schweizer Mundart
Während sich der Sprachgebrauch in Deutschland gewandelt hat, scheint die Schweiz im Vergleich eine Insel der Stabilität: «Hierzulande gab es zwar auch Verschiebungen von Mundartbegriffen, beispielsweise der Begriff Bütschgi für den Apfelrest, der sich von Zürich aus in verschiedenste Richtungen ausbreitet. Insgesamt aber ist die Mundart in der Schweiz im Vergleich zum restlichen deutschsprachigen Europa relativ stabil», sagt Adrian Leemann von der Uni Bern. Grund sei, dass der Dialekt in der Schweiz als Alltagssprache einen viel höheren Stellenwert geniesse als in Deutschland, wo man bei Jobinterviews teilweise sogar im Nachteil sei, wenn man kein reines Hochdeutsch spreche. «Die Situation in der Schweiz ist im deutschsprachigen Raum einzigartig», so Leemann.
Quelle: SDA

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