Im Corona-Flow
Illustration: Petra Dufkova / Die Illustratoren
Mikael Krogerus beobachtet den Einfluss von Corona auf den gesellschaftlichen Smalltalk. Neu fangen Gespräche an mit: «Wie hattest du’s so im Lockdown?».
Die meisten Gespräche mit Bekannten, von denen man lange nichts gehört hat, beginnt man heute so: Und, wie hattet ihr’s im Lockdown? Man hört die unglaublichsten Geschichten. Einer stellte sich den Wecker eine Stunde früher, um wenigsten für 60 Minuten seine Ruhe vor der Familie zu haben. Eine Freundin berichtete, wie sie nach zwei Wochen alle Regeln über den Haufen warf und ihre Jungs Fortnite spielen liess, bis sie nicht mehr konnten und in eine Art Wachkoma fielen. Wieder andere haben eine merkwürdige Ruhe in den Monaten gefunden und ihr komplettes bisheriges Leben in Frage gestellt. Alle sind an ihre Grenzen gekommen.
Die Antworten meiner Bekannten kann man grob in zwei Kategorien teilen. Die einen beginnen so: Also uns hat es fast noch gefallen … Die anderen so: Also wir haben noch nicht die Scheidung eingereicht, aber …
Wie kommt es, dass die einen den Ausnahmezustand eher positiv erleben, andere fast wahnsinnig wurden? Oder sind die einen bloss unehrlich?
Die Frage ist wissenschaftlich unter die Lupe genommen worden: 5000 Menschen, die in China in Quarantäne waren, wurden nach ihrem Wohlergehen befragt. Das Ergebnis: Personen, die weniger unter dem Lockdown litten, waren nicht sonderlich optimistisch. Auch machten sie keine Achtsamkeitsübungen. Nein, den besten Schutz vor Corona-Koller bot: Beschäftigung. Diejenigen, die über einen längeren Zeitraum vertieft einer Aufgabe nachgehen konnten, die «im Flow» waren, erlebten den kleinsten Stress.
Wie kommt es, dass die einen den Ausnahmezustand eher positiv erleben, andere fast wahnsinnig wurden? Oder sind die einen bloss unehrlich?
Der US-Psychologe Mihály Csíkszentmihályi erfand 1961 den Begriff «Flow» für den Zustand, in dem wir Glück verspüren. Er stellte fest, dass, wer «im Flow» ist, neben einer tiefen Befriedigung auch den Verlust des Zeitgefühls und der Selbstwahrnehmung verspürt – man geht in seiner Tätigkeit auf. In Interviews mit über tausend Menschen fand er fünf gemeinsame Faktoren, die alle Befragten beschrieben, wenn sie von «glücklich» sprachen: Glück, oder eben «Flow», stellt sich ein, wenn man
a) vertieft einer Aktivität nachgeht, die man
b) selbst bestimmt, die einen
c) weder unterfordert noch überfordert, die ein
d) klares Ziel hat und auf die es
e) unmittelbares Feedback gibt.
Vertieft einer Aktivität nachgehen? Die man selbst bestimmt hat? Schon diese zwei Sätze beantworten die Fragen, warum die Corona-Zeit mit der Familie die Hölle war. Kinder sind von ihrem Wesen darauf ausgerichtet, dich und deine Selbstbestimmtheit zu dekonstruieren. Aber, auch das sagte Csíkszentmihályi, Flow ist eh eine Seltenheit in der Familie. Die Gehirnstruktur der Kinder sind auf der Suche nach Input und Stimulanz – das Gegenteil von einem Flowprozess.
Die gute Nachricht? Die meisten Menschen fokussieren im Jetzt stärker auf das Negative, erinnern sich aber später nur noch an das Positive.
Mikael Krogerus ist Autor und Redaktor des «Magazin». Der Vater einer Tochter und eines Sohnes lebt mit seiner Familie in Basel.
Neu schreibt er einmal pro Woche eine Kolumne zum Thema Corona.
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