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Hilfe, mein Kind mag keine Tiere

Lesedauer: 4 Minuten

Alle Kinder lieben Tiere, heisst es. Umso besorgter sind Eltern, wenn der Nachwuchs kein Faible für Vierbeiner zeigt oder gar Angst hat. Warum sind Kinder in puncto Tierliebe unterschiedlich? Und sollte man Kindern gar beibringen Tiere zu lieben, weil diese ihnen gut tun?

Text: Regina Röttgen
Bilder: Pexel

Der 6-jährige Luka ist begeistert: «Darf Thea hinten bei mir sitzen?» Es geht zu einem Sonntagsausflug ins Grüne, der Familienhund soll natürlich mit. Sein älterer Bruder Leon rümpft die Nase. «Wenn die hinten sitzt, fahre ich aber nicht mit!» Die beiden Buben wachsen im selben Haushalt auf, haben die gleichen Freunde, gehen zur selben Schule und sind doch völlig verschieden, wenn es um Tiere geht.

So wie Leon sind viele Kinder. Gerade Eltern mit Mehrfachnachwuchs können ein Lied davon singen. Während das eine Kind jeden Welpen und jedes Kätzchen umgehend adoptieren möchte und sich über die tierische Begrüssung freut, schimpft das andere Kind bereits über ein einzelnes Tierhaar.

Nicht jedes Kind will mit Tieren kuscheln. Warum eigentlich nicht? Bilder: Pexels
Nicht jedes Kind will mit Tieren kuscheln. Warum eigentlich nicht?

Tierliebe: eine Mischung aus Erbgut und Erfahrung

Lange Zeit grübelte man darüber nach, ob Tierliebe angeboren oder anerzogen sei. Die Zwillingsforschung konnte letztlich Aufschluss geben. Laut einer vietnamesischen Langzeit-Zwillings-Studie bekommen Kinder Tierliebe erst einmal genetisch in die Wiege gelegt – sie ist vererbbar. Ob Kinder in ihrem späteren Leben jedoch tierlieb bleiben, hängt nicht davon ab, ob sie in der gleichen Umwelt – also zum Beispiel der gleichen Familie aufwachsen, sondern davon, ob sie negative Erfahrung mit Tieren machen.

Wenn also trotz gleichem Erbgut ein eineiiger Zwilling gerade mit dem Familien-Retriever knuddelt, während sein Bruder beim Dreiradfahren von Nachbars Hund über die Einfahrt gejagt wird, kann dies der Grundstein für sich unterschiedlich entwickelnde Tierliebe sein. Für Barbara Rufer ist jedes Kind erst mal wie ein weisses Blatt, «offen für die Welt und neugierig».

Die diplomierte Fachfrau und Dozentin für Tiergestützte Therapie und Pädagogik aus dem Kanton Bern führt dies auf die menschliche Affinität zur Natur zurück: «Irgendwie zieht es uns immer in die Natur. Das Lebendige im Speziellen fasziniert Kinder – und wenn es nur eine Schnecke ist.»

Die enge Beziehung zwischen Mensch und Tier wurde durch den US-Soziobiologen Edward O. Wilson auch als Biophilie-Hypothese bekannt. Laut Wilson entwickelte sich im Laufe der Evolution eine Affinität von Menschen zu den vielen Formen des Lebens, den Habitaten und Ökosystemen.

Nur Schlangen seien die Ausnahme, erkläutert Rufer: «Diese Angst ist ein urzeitlicher Angstreflex, den manche Leute noch in sich haben.» Ansonsten sei Angst vor Tieren nicht angeboren, sondern entstünde durch verschiedene Einflüsse.

Eltern, die Angst vor Tieren haben, können das vor ihren Kindern kaum verbergen.

Der Boden für eine Abneigung gegenüber bestimmten Tieren würde in den ersten Lebensjahren gelegt, erklärt Rufer. In ihren Therapiestunden arbeitet die Fachfrau mit den Kindern alleine, da Eltern einen zu grossen Einfluss auf das Verhalten ihrer Sprösslinge haben. «Grundsätzlich ist es gut zu sehen, ob die Eltern ebenso Angst haben.» Denn Angst sei vor allem anerzogen und abgeschaut.

Gerade Eltern, die selber Angst vor Tieren hätten, könnten dies kaum verbergen und ihr Kind nicht offen halten. Schon Babys mit drei Monaten würden ihre Eltern studieren und «am Modell lernen». «Dasselbe gilt natürlich für das soziale Umfeld», so Rufer. Sind Kinder erst mal im schulpflichtigen Alter, ist das Urteil  über Tiere meist gefällt.

Umso trauriger sind Eltern, wenn Kinder kein Faible für Tiere haben. Denn über die Vorzüge von Tieren in jungen Kinderjahren ist sich die Fachwelt einig: Von der persönlichen Entwicklung über Sozialkompetenz und Gefühlswelt, bis hin zu Lernen und Gesundheit, Haustiere sind einfach für alles gut.

Der Umgang mit Tieren ist gut fürs Kind

Gerade die Sozialkompetenz von Kindern wird stark durch Tiere gefördert, sagt David Naef vom Schweizer Tierschutz STS und dem dortigen Jugendclub Krax: «Tiere sind für Kinder sehr wichtig. Zum einen weiss man, dass Kinder, die mit Tieren aufwachsen, ein ganz anderes Sozialverhalten entwickeln.»

Zum anderen würden Kinder gewisse ethische Aspekte lernen. «Wenn es dem Tier gut oder schlecht geht, können Kinder sich damit identifizieren», so Naef. Durch Haustiere würden Kinder ausserdem lernen, für ein anderes Lebewesen Verantwortung zu übernehmen.

David Naeff antwortet in unserer Serie Haustiere und Familie auf die Frage: Wie wichtig sind Tiere für Kinder? Weitere Fragen und Antworten auf unserem Youtube-Kanal.

Die gesundheitlichen Aspekte sind ebenfalls nicht von der Hand zu weisen: Beim Streicheln von Tieren wird durch den Ausschuss des sogenannten Kuschelhormons Oxytocin nicht nur Herzfrequenz und Blutdruck gesenkt, der Umgang mit Tieren mindert zudem Angst und Stress.

So können typische Stresssituationen wie ein Referat zu halten oder im Unterricht das Wort zu ergreifen durch Haustiere erleichtert werden. Bei Anwesenheit von Tieren fällt übergewichtigen Kindern das Abnehmen leichter, selbst ein Allergierisiko kann durch Hunde- und Katzenhaltung gesenkt werden.

Soll ich meinen Tiermuffel überreden?

In Anbetracht so vieler Vorteile: Was sollen Eltern tun, wenn der Nachwuchs keine Haustiere mag? Man dürfe kein Kind dazu zwingen, Kontakt zu Tieren zu haben, warnt Rufer. «Das muss immer freiwillig geschehen.» In diesem Zusammenhang ist der Fachfrau vor allem die Selbstbestimmung des Kindes wichtig: «Etwas ändern würde ich nur, wenn das Kind das Bedürfnis dazu hat.» Ohne intrinsische Motivation würde die Basis fehlen.

Ist der Wunsch das Thema anzugehen da, dann sei ganz wichtig, «dass man sich dafür Zeit lässt, keinen Druck ausübt und das in Ruhe angeht.» Bei Rufer bestimmen daher die Kinder das Tempo. Ferner habe jedes Kind andere Vorlieben. «Es muss ja nicht immer dasselbe Tier sein», meint Rufer.

Manchmal zwingen vorhandenen Allergien oder andere Gründe die Familie sich gegen ein Haustier zu entscheiden. Naef ist ebenfalls der Meinung, dass eine Haustierhaltung nicht gezwungenermassen sein muss.

Es gäbe genügend Alternativen, um das Kind trotzdem an die Vorteile von Tieren heranzuführen. Auf einem Bauernhof oder im Tierheim zu helfen, würde das Verantwortungsbewusstsein ebenfalls schulen, in der Natur Wildtiere zu beobachten den Forschergeist wecken.

Tierschützer David Naeff antwortet in unserer Serie Haustiere und Familie auf die Frage: Welche Alternativen gibt es zum Haustier? Weitere Fragen und Antworten auf unserem Youtube-Kanal.

Auch Leon findet es viel interessanter Schildkröten, Frösche und Spinnen zu beobachten, als sich mit dem Familienhund zu beschäftigen. Kein Grund zur Sorge also.

Regina Röttgen

Regina Röttgen
Die Autorin lebt auf einem Bauernhof in der Türkei. Kinder und Tiere sind sowohl privat als auch beruflich die Hauptthemen im Leben der freiberuflichen Journalistin.