«Man muss mit allem rechnen, auch mit dem Guten!» - Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
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«Man muss mit allem rechnen, auch mit dem Guten!»

Lesedauer: 4 Minuten

Als Schulpsychologe unterstützt Benedikt Joos Lernende, Eltern sowie Lehrpersonen und bildet Beratungslehrkräfte aus. Im Interview erklärt er, wie sich Eltern am besten auf schulische Standortgespräche vorbereiten und eine konstruktive Zusammenarbeit mit der Lehrperson begünstigen.

Interview: Stefanie Rietzler und Fabian Grolimund
Bild: Rawpixel.com

Herr Joos, viele Eltern blicken ­schulischen Standortgesprächen mit gemischten Gefühlen entgegen. Was hilft, um die eigene Anspannung in den Griff zu bekommen?

Für mich sind eine gute Vorbereitung und eine angemessene Rahmung eines solchen Gesprächs unverzichtbar, denn das schafft Sicherheit für alle Beteiligten. Jeder sollte wissen: Warum trifft man sich, wer nimmt teil, welche Themen sollen besprochen werden, welches Ziel hat das Gespräch und welcher zeitliche Rahmen steht zur Verfügung? Eltern ermutige ich, diese Rahmenbedingungen im Vorfeld bei der einladenden Lehrkraft zu erfragen. 

Und wie bereite ich mich als Mutter beziehungsweise Vater vor?

Als Vorbereitung empfehle ich Eltern, sich aufzuschreiben, welche Inhalte sie im Gespräch auf jeden Fall ansprechen wollen und was sie sich von der Schule beziehungs­weise der Lehrkraft für ihr Kind wünschen. Dieser «Spickzettel» wirkt beruhigend, da man ihn jederzeit im Gespräch als Erinnerungshilfe benutzen kann. Für manche ist es eine Erleichterung, wenn der Partner oder die Partnerin oder eine vertraute Person auch am Gespräch teilnimmt. Ich empfehle die Teilnahme im Voraus mit der Lehrkraft abzustimmen. Und zu guter Letzt ist meine Erfahrung, dass mit einer möglichst positiven Grundhaltung am meisten zu erreichen ist, getreu dem Motto «Man muss mit allem rechnen, auch mit dem Guten!». Glauben die Gesprächsteilnehmer daran, dass das Gegenüber auch an einer konstruktiven Lösung interessiert ist, herrscht eine andere Stimmung, die sowohl angenehmer als auch zielführender ist – gerade, wenn Probleme zur Sprache kommen.

Benedikt Joos ist Diplom-Psychologe und Systemischer Therapeut (DGSF). Er arbeitet an der Schulpsychologischen Beratungsstelle in Aalen (D). Schwerpunkte seiner Tätigkeit sind die Unterstützung von Schülerinnen und Schülern, Eltern und Lehrkräften innerhalb der Einzelfallberatung und die Ausbildung von Beratungslehr­personen.

Angenommen, die Schule fällt meinem Kind schwer, weil es sich beispielsweise schlecht konzentrieren kann oder eine Lese-Rechtschreib-Schwäche hat. Was kann ich tun, damit die Lehrkraft auf meine Anliegen diesbezüglich eingeht?

Ein guter Draht zur Klassen- oder Fachlehrperson ist natürlich immer hilfreich. Es lohnt sich daher, möglichst frühzeitig den Kontakt zu suchen und um ein Gespräch zu bitten. Um die Lehrkraft mit ins Boot zu holen, ist es in meinen Augen wichtig, sich anhand folgender Fragen auf das Gespräch vorzubereiten: Wie können wir unsere Beobachtungen bezüglich unseres Kindes möglichst anschaulich und prägnant schildern? Wo sehen wir Stärken und Schwächen unseres Kindes? Gibt es Situationen, in welchen die Schwächen weniger oder gar nicht ins Gewicht fallen? Wie versuchen wir zu Hause, diese Problematik zu lösen? Was hat sich aus unserer Sicht bewährt? Inwiefern wären diese Lösungen übertragbar auf die Schulsituation? Was wünschen wir uns als Eltern von der Schule für unser Kind?

Worauf sollten Mütter und Väter ­während des Gesprächs achten?

Es ist wichtig, offen zu sein für die Beobachtungen und Einschätzungen der Lehrkraft und – auch bei unterschiedlichen Sichtweisen – darüber in einen Austausch miteinander zu kommen. Eine hilfreiche Formulierung könnte lauten: «Wir bemerken im Alltag, dass unser Sohn beziehungsweise unsere Tochter in diesen Situationen Schwierigkeiten hat. Haben Sie in der Schule einen ähnlichen Eindruck?» Sollten bereits Diagnosen beziehungsweise Einschätzungen von Dritten wie Ärztinnen oder Logopäden vorliegen, rate ich Eltern, diese zum Gespräch mitzubringen oder den Lehrkräften sogar im Vorfeld zur Verfügung zu stellen. Oftmals erübrigen sich dann Diskussionen über die Ursache der Schwäche und der Fokus kann auf die Lösungsfindung gerichtet werden. Gelingt es Lehrkräften und Eltern, zusammen möglichst viele Lösungsideen zu generieren, wie gezielte Unterstützung im Unterricht und zu Hause, Lerntherapie, veränderte Rahmenbedingungen bei Prüfungen für das Kind, steigt die Chance, dass sich ein gemeinsamer Weg herauskristallisiert.

Manchmal verlaufen Eltern- Lehrpersonen-Gespräche auch sehr unproduktiv und es kommt zu gegenseitigen Schuldzuweisungen.

Ja. Leider neigen wir Menschen dazu, die Ursache von Problemen beziehungsweise das Problem selbst innerhalb von Personen zu suchen und zu verorten, anstatt situative Faktoren wie die Umwelt und den Kontext in die Beurteilung miteinzubeziehen. So werden beispielsweise störendes Verhalten im Unterricht, schlechte Schulleistungen oder auch Schulabsentismus meistens als Eigenschaft des Kindes ­gesehen und dieses damit als «Problemschüler, Problemschülerin» ab­gestempelt – oder die Lehrperson und die Eltern machen sich durch Schuldzuweisungen wechselseitig für das Problem verantwortlich. Diese Sichtweise wird der Komple­x­ität der meisten Schulprobleme nicht gerecht und führt häufig sogar zu einer Verschlechterung der Situation.

Was wäre die Alternative?

Aus meiner Erfahrung heraus kann ich sagen, dass bei der Lösung von Schulproblemen die Beziehungsebene Eltern – Lehrkraft eine entscheidende Rolle spielt. Wird die Schuld gegenseitig hin- und hergeschoben oder die Autorität des anderen infrage gestellt, kommt es meist zu keiner positiven Veränderung. Das Kind fühlt sich in diesem Fall entweder von beiden im Stich gelassen oder fängt an, sie gegeneinander auszuspielen. Gelingt es Eltern und Lehrkraft jedoch, gemeinsam an einem Strang zu ziehen und das Wohl des Kindes in den Mittelpunkt zu stellen, indem sie ihm Halt und Orientierung geben, können neue Lösungswege gefunden und gegangen werden. Dazu ist es nötig, die Verantwortung für das Problem auf mehrere Schultern zu verteilen.

Was ist eine gute Schule, was ein guter Lehrer? Wie können Kinder am besten lernen? «Wie Schule gelingt»: Über dieses Thema hat Psychologe und Lerncoach Fabian Grolimund 2019 mit Nik Niethammer gesprochen. Hier können Sie das Gespräch im Kulturpark als Video anschauen und die wichtigsten Punkte nachlesen.

Stefanie Rietzler und Fabian Grolimund
sind Psychologen und leiten die Akademie für Lerncoaching in Zürich. Die beiden eint der Wunsch, dass Kindergarten und Schule Orte sind, wo sich Kinder, Eltern und Lehrpersonen wohl fühlen und voneinander lernen können.

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