Mit dem Kind ein echtes Abenteuer erleben -
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Mit dem Kind ein echtes Abenteuer erleben

Lesedauer: 2 Minuten

Wie muss die Zeit mit Kindern verbracht werden, damit diese lange daran zurückdenken? Das hat sich unser Kolumnist gefragt – und sich von einem Buch inspirieren lassen.

Text: Mikael Krogerus
Illustration: Petra Dufkova / Die Illustratoren

Ich weiss nicht genau, warum sie immer wieder hören wollten, wie ich als Kind mal mit dem Kanu kenterte und fast ertrank. Wieso sie nicht genug bekommen konnten von der Geschichte, als wir mit dem Luftgewehr auf Bücher schossen, um zu schauen, wessen Kugel es zu welcher Seitenzahl schaffte.

Vielleicht gefiel es ihnen, dass ihr Vater auch mal verbotenes getan hatte, dass er auch mal war wie sie: ein Abenteurer. Wie dem auch sei, ich habe die Geschichten immer gern erzählt, weil sie auch etwas mit mir machten: Beim Erzählen kehrte dieses spezielle Kindheitsgefühl zurück.

Eine Nachtwanderung im Wald ist für den fünfjährigen Sohn ein grosses Abenteuer voller Gefahren.

Sven Wehde

Jene sonderbare Mischung aus Angst und Neugierde, für die es keinen Namen gibt, die aber ein ständiger Begleiter in der Kindheit war. Ein Gefühl, das ich, wenn ich ehrlich bin, heute eher selten erlebe. Und genau darum geht es in einem kürzlich erschienenen Buch. Es trägt den Titel «Abenteuer mit Kindern», geschrieben hat es der deutsche Journalist Sven Wehde.

Am Anfang des Buches steht eine Krise: Der Autor ist gestresst, das Telefon klingelt ununterbrochen, er hat im Büro massenhaft Termine und zu Hause familiäre Verpflichtungen – und wird beidem nicht gerecht. Er will mehr Zeit mit seinen Kindern verbringen, kann aber seine Arbeit nicht vernachlässigen.

Also fragt er sich: Wie kann ich die Zeit mit meiner Familie intensiver nutzen? Wie können wir Dinge erleben, an die sich meine Kinder erinnern werden? Die Antwort ist das Buch. Der Vater entschied sich, mit seinen Kindern – 13, 8, 5 Jahre alt – Abenteuer zu erleben. Echte Abenteuer.

Was ist ein echtes Abenteuer? Das definiert die Sicht des Betrachters. Eine Nachtwanderung im Wald, schreibt Wehde, «ist wohl für die meisten Erwachsenen ein Spaziergang, für meinen fünfjährigen Sohn Mats aber ein grosses Abenteuer voller Gefahren».

Für echte Abenteuer braucht man weder viel Ahnung noch Geld, aber reichlich Fantasie und ein bisschen Mut.

Nachtwanderungen, nicht alpine Passwanderungen: Das ist die Flug­höhe des Buches. Naheliegende Abenteuer also, im Wortsinn, für die man weder viel Ahnung noch viel Geld braucht, aber reichlich Fantasie und auch ein bisschen Mut. Die Kapitel tragen so wunderbare Titel wie «Vor der Haustür», «Barfuss gehen», «Im Auto schlafen» oder «Das Zehn-Minuten-November-Abenteuer». 

Das Schönste am Buch aber ist, dass der Autor sich selber als lächerlichsten Helden durch die Geschichte schickt (anfangs beschreibt er sich so: «Selbstbild: verwegener Abenteurer und topfit. Liebevolle Kritiker würden sagen: grosses Kind mit Übergewicht»). Wehde scheint verinnerlicht zu haben, dass im Schreiben wie im Leben gilt, sich selbst nicht allzu ernst zu nehmen.

Am Ende der schnell gelesenen 241 Seiten kroch eine Stimmung in mir hoch, von der ich nie dachte, dass ich sie fühlen würde: Ich war ein wenig wehmütig, dass ich keine kleinen Kinder mehr habe. Dass ich dieses Buch nicht schon früher gelesen hatte. Dass ich nicht ein Abenteuer-Vater gewesen war wie Wehde. Und dann dachte ich, dass ich ja vielleicht irgendwann mal Grossvater bin. 

Mikael Krogerus
ist Autor und Journalist. Der Finne ist Vater einer Tochter ­und eines Sohnes und lebt in Basel. Von 2013 bis 2023 war er Kolumnist für das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi.

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