Einer für alle, alle für einen!
Warum es für unseren Kolumnisten Mikael Krogerus wichtig war, dass seine Kinder Teamsport betreiben – und dann richtig, dass sie damit aufhörten.
Was einem wichtig ist im Leben, erkennt man oft erst, wenn man Kinder hat. Dann bahnt sich plötzlich ein Wertekanon seinen Weg, der sich zuvor gut versteckt hatte, in den innersten Kammern des Unterbewusstseins. Mir zum Beispiel war es wichtig, dass meine Kinder Sport treiben. Und zwar Mannschaftssport. «Aber warum?», fragte meine Frau. (Ginge es nach ihr, sollten unsere Kinder lieber dreimal die Woche zu den Jungsozialisten als ins Training.)
Ja, warum Sport? Liebäugele ich heimlich mit einer Spitzensportkarriere meiner Sprösslinge? Gehöre ich zu jenen, die Körperertüchtigung für charakterbildend halten? Oder übertrage ich am Ende gar meine eigene eher überschaubare Sportkarriere auf meine Kinder?
Während für viele die Pubertät einem nicht enden wollenden Albtraum gleichkam, genoss ich meine Zeit als Heranwachsender.
Ein wenig von all dem, denke ich, aber da ist noch ein Grund, warum ich meine Kinder zu Teamsport zwinge; die Erinnerung an die in vielerlei Hinsicht beste Zeit meines Lebens: meine Jugend. Während für viele die Pubertät einem nicht enden wollenden Albtraum gleichkam, genoss ich meine Zeit als Heranwachsender.
Das hatte auch mit meinem Handballklub zu tun. Jeden Montag, jeden Mittwoch und jedes Wochenende betrat ich eine Parallelwelt, ohne Mitschüler, ohne Hausaufgaben, ohne Eltern.
Eine Welt, in der ich mich zugleich aufgehoben und herausgefordert fühlte. Aufgehoben, weil wir ein Team waren, das fehlendes Talent durch Aufopferung und Mannschaftsgeist wettmachte. Herausgefordert, weil wir gegen Mannschaften spielten, die uns früh der Illusion beraubten, jemals über die Kreisklasse hinauszukommen.
Unsere Trainer – «Raini» und «Zacki» – hatten wenig Ahnung von moderner Trainingslehre, aber sie hatten Humor, und sie hatten Herzen so gross wie Elefanten. Die Stunden in der Sporthalle waren zenartige Momente der totalen Hingabe. Keinen Gedanken verschwendete ich an Kurvendiskussionen, Französischvokabeln oder missratene Annäherungsversuche an Klassenkameradinnen.
Ich war – obwohl talentfrei – ganz nah bei mir und zugleich aufgehoben in einem sozialen Gebilde namens Mannschaft. Eine Gruppe Halbbegabter, in Zusammensetzung, Herzlichkeit und ruppigem Ton ein Abbild des Arbeiterquartiers, in dem ich aufwuchs.
Ich muss gestehen, dass ich in den Jahren in der Halle kein guter Handballer wurde, aber ich war an einem Ort jenseits der Schule, an dem ich Spass hatte, aber auch etwas lernte. Übers Leben zum Beispiel.«Was lernt man beim Sport ausser toxische Männlichkeit?», fragte meine Frau spitz. «Einiges», antwortete ich. Zum Beispiel, dass du alleine nichts bist. Dass gemeinsam gewinnen mehr Spass macht und gemeinsam verlieren weniger weh tut. Meine Kinder haben übrigens beide nach vielversprechenden Ansätzen ihre Karrieren im Fussball beziehungsweise Basketball vorzeitig beendet und sich anderen Hobbys zugewandt.
Eine der grossen Aufgaben im Leben, denke ich heute, ist, herauszufinden, was dir – und nicht deinen Eltern – wirklich wichtig ist.