«Eine frühe Unterstützung ist für die weitere Entwicklung sehr wertvoll»
Kinder, die grosse Probleme beim Erlernen des Lesens und der Rechtschreibung haben, durchlaufen oft eine schwierige Schulzeit. Die Forschungsarbeit von Silvia Brem, die sich auch im Vorstand des Verbandes Dyslexie Schweiz engagiert, zielt unter anderem darauf ab, die Besonderheiten bei Dyslexie im Gehirn besser zu verstehen und Trainingsprogramme für betroffene Kinder zu entwickeln.
Professorin Brem, wie entsteht eine Lese- und Rechtschreibstörung?
Bei der sogenannten LRS oder auch Dyslexie handelt es sich um ein komplexes und heterogenes Störungsbild. Über ihre Ursachen und Entstehung ist vieles noch unbekannt, aber man geht von multifaktoriellen Ursachen aus. Das heisst: Verschiedene Faktoren tragen dazu bei, dass Kinder eine LRS entwickeln. Zum einen spielen die Gene eine grosse Rolle: Studien zeigen, dass sogenannte Kandidatengene in Interaktion mit anderen Faktoren die frühe Hirnentwicklung und damit auch die Ausbildung von Hirnnetzwerken für die Verarbeitung von Sprache beeinflussen. Solche Veränderungen in Hirnnetzwerken wiederum können dazu führen, dass Sprache und Schrift weniger effizient verarbeitet wird. Andere Faktoren – wie zum Beispiel die Lesesozialisation in der Familie und die generelle Sprachentwicklung im Kindesalter – tragen ebenfalls zur Schriftsprachentwicklung bei.
Ist die LRS vererbbar?
Ja, man weiss aus vielen Studien, dass für Kinder, deren Eltern oder Geschwister von einer LRS betroffen sind, das Risiko für Probleme in der Schriftsprachentwicklung sehr viel höher ist. 40 bis 60 Prozent der Kinder, deren Mutter oder Vater eine LRS haben, sind selbst auch betroffen. Insofern ist es gerade bei solchen Familien besonders wichtig, die Schriftsprachentwicklung der Kinder zu beobachten und sie gegebenenfalls sehr früh zu unterstützen.
Kann man eine LRS-Problematik schon im Vorschulalter erkennen?
Per Definition kann man eine LRS erst dann diagnostizieren, wenn das Lesen und die Rechtschreibung geprüft werden kann – in der Regel also etwa ab Mitte des zweiten Schuljahres. Allerdings weiss man, dass bereits im Kindergartenalter Anzeichen für eine LRS vorhanden sein können, die die Vorläuferfertigkeiten des Lesens betreffen. Schwierigkeiten treten zum Beispiel im Bereich der phonologischen Bewusstheit auf – etwa bei Reimspielen oder Silbenklatschen. Auch Aufgaben, bei denen Kinder Objekte möglichst schnell benennen sollen, oder ihre vorschulischen Buchstabenkenntnisse haben einen Vorhersagewert über die weitere Schriftsprachentwicklung. Insbesondere, wenn auch familiär bedingt ein erhöhtes Risiko für eine LRS besteht, ist eine frühe Abklärung sinnvoll. Wir wissen aus verschiedenen Studien, dass hier die frühe Unterstützung und Förderung betroffener Kinder sehr wertvoll ist für ihre weitere Entwicklung.
Mehr zum Thema erfahren Sie im «Kosmos Kind»-Vortrag «Buchstabensuppe im Kopf» von Prof. Dr. Silvia Brem am 12. April 2022 um 18.00 Uhr, in der Stiftung. Für das Kind. Giedion Risch, Falkenstrasse 26, Zürich. Tickets unter www.fuerdaskind.ch/vortragszyklus
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