Wie spricht man mit Kindern über die Flüchtlingskrise? - Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
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Wie spricht man mit Kindern über die Flüchtlingskrise?

Lesedauer: 3 Minuten

Die Bilder der Flüchtlingskrise sind allgegenwärtig. Wie sollen sich Eltern verhalten, wenn Kinder Fragen stellen, ihr Unverständnis, ihre Verzweiflung kundtun? Die Kinderphilosophin Eva Zoller Morf und die Theaterschaffende Nicole Langenegger erklären, wann Faktenwissen vermittelt werden soll, wie Kinder selber auf Antworten kommen und warum Eltern nichts beschönigen sollten.

Interview: Eveline von Arx
Bild: Raxpixel

Die Flüchtlingskrise macht uns sprach- und hoffnungslos. Wie können Eltern ihren Kindern erklären, was da gerade passiert?
Nicole Langenegger: Für Kinder ist das Rollenspiel eine gute Möglichkeit, mit schwierigen Themen umzugehen. Sie spielen in ihrem Alltag oft belastende Situationen nach, zum Beispiel mit ihren Puppen. Für Eltern ist das eine gute Gelegenheit, das Kind auf der emotionalen Ebene zu erreichen und mit ihm auch über das, was es empfindet, zu sprechen.

Wie sollen Eltern mit ihren Kinder reden?
Eva Zoller Morf: Indem sie auch versuchen, Faktenwissen zu vermitteln, sofern das möglich ist. Ein Jugendlicher fragte mich neulich, ob der Islamische Staat bei uns in der Schweiz Attentate anrichten werde. Darauf könnte man zum Beispiel antworten: Es ist zwar nicht auszuschliessen, aber zum Glück sieht es so aus, dass wir hierzulande noch nicht so grosse Angst vor solchen Angriffen haben müssen. Und wir können ihnen auch erklären, dass bei uns das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten EDA Empfehlungen abgibt, in welche Länder man aufgrund der Terrorgefahr nicht reisen sollte. Damit verdeutlichen wir, dass es sich dabei um Informationen handelt, die uns helfen und nach denen wir handeln können.

«Es ist auf jeden Fall wichtig, auf das Kind einzugehen, wenn es besorgte Fragen äussert.»

Und wenn die Faktenlage sehr dünn ist?
Zoller Morf: Es ist auf jeden Fall wichtig, auf das Kind einzugehen, wenn es besorgte Fragen äussert. In Bezug auf die aktuelle Situation mit den Flüchtlingen kann man als Eltern ja auch Gegenfragen stellen, wie etwa: Warum denkst du, mussten die alle aus ihren Ländern flüchten? Wer geht auf ein solch überfrachtetes Boot? Und warum? Wer würde das überhaupt auf sich nehmen? Und wenn dann der Krieg in den Ländern, aus denen die Flüchtlinge zu uns strömen, zur Sprache kommt, kann man weiter nachfragen: Was bedeutet es, wenn das Haus kaputt ist, man kein Bett, kein fliessendes Wasser mehr hat? So können Kinder eher nachvollziehen, warum diese Familien nach Europa flüchten. Es geht sicher nicht darum, etwas aufzubauschen, sondern darum, die Kinder dabei zu unterstützen, das Schreckliche in Worte zu fassen. Eltern dürfen dem Kind auch zeigen, dass es nicht einfach ist, Antworten zu finden, dass sie jedoch seine Fragen sehr ernst nehmen.

Und wenn Kinder und Jugendliche bereits sehr mitfühlend und traurig sind, weil es diesen Flüchtlingskindern so schlecht geht?
Zoller Morf: Diese Gefühle sollten Kindern auf keinen Fall abgesprochen werden. Auch die eigene Betroffenheit zu äussern, die man als Mutter oder Vater empfindet, ist durchaus sinnvoll. Wir können mit dem Kind dann auch besprechen, welche Hilfsmöglichkeiten es gibt, etwa Spenden- oder Sammelaktionen. So werden die Kinder handlungsfähig. Und es kann auch eine Gelegenheit sein, zu würdigen, wie gut es uns hier geht.
Langenegger: Beim Kind nachzufragen, ist enorm wichtig. So merkt man auch gut, wie viel man dem Kind zumuten kann. Denn: Wenn Kinder Fragen stellen, haben sie irgendwo in sich drin auch Antworten. Möchte das Kind Spielsachen von sich verschenken, dann könnten die Fragen lauten: Gell, du möchtest, dass es diesen Flüchtlingskindern besser geht? Was denkst du denn, was haben diese vielen Menschen, die kaum Platz hatten auf dem Boot, zuerst mitgenommen? Was brauchen sie am meisten?
Zoller Morf: Es geht auf jeden Fall darum, sich mit den Gefühlen des Kindes zu solidarisieren und ihm zu vermitteln, dass es absolut in Ordnung ist, diese Gefühle zu haben.

«Wenn Mütter und Väter die Dinge beschönigen, lernen Kinder vor allem, dass ihre Eltern nicht ehrlich sind.»

Was antworten Eltern, wenn Kinder fragen, warum Menschen überhaupt Kriege führen oder in Türme fliegen und andere mit in den Tod reissen?
Zoller Morf: Wir können den Kindern tatsächlich meist gar nicht erklären, wie komplex die Ursachen für Kriege und Attentate sind. Aber ein Kind versteht, wenn wir ihm sagen: Es ist für mich oft auch unverständlich, warum solch Schreckliches passiert. Und dann können wir ihm vielleicht erklären, dass es Menschen gibt, die eine so grosse Wut in sich tragen und so sehr benachteiligt sind, dass sie zu ganz furchtbaren Taten fähig sind.
Langenegger: Es geht also nicht in erster Linie darum, den Kindern den Krieg völlig nachvollziehbar zu machen. Etwa im Sinne von: Ich als Mutter oder Vater kenne die Lösung. Stattdessen geht es um das Suchen von Antworten auf Fragen wie: Was braucht es, damit es nicht zu einem Krieg kommt? Warum gibt es bei uns in der Schweiz keinen Krieg? Inwiefern spielt Not dabei eine Rolle? Auf diese Weise findet ein konstruktiver Umgang mit dieser Ohnmacht statt.
Zoller Morf: Und vielleicht relativiert sich dann auch die Vorstellung, was Not wirklich heisst: Nicht das neueste Handy zu haben, ist ja allenfalls gar nicht so schlimm …

Manche Eltern sorgen sich, weil sie ihre Kinder vor all diesen Schrecklichkeiten bewahren, ihnen ein unbeschwertes Leben ermöglichen wollen.
Langenegger: Ja, wir wollen den Kindern Sicherheit vermitteln. Das Leben ist aber nicht absolut sicher.
Zoller Morf: Ich erachte es nicht als hilfreich, Kinder grundsätzlich zu «verschonen». Wenn Mütter und Väter die Dinge beschönigen, lernen Kinder vor allem, dass ihre Eltern nicht ehrlich sind.


Zu den Interviewten:

Eva Zoller Morf
 ist studierte Philosophin und bietet Seminare zur Kinder- und Alltagsphilosophie für Eltern und Lehrkräfte und auch für Kinder und Jugendliche an. Sie arbeitet zudem freiberuflich als Philosophieund Religionspädagogin für Elternvereine, Schulen und andere Institutionen. www.kinderphilosophie.ch

Nicole Langenegger 
ist Theaterschaffende und Kursleiterin im Rollenspiel. Sie arbeitet theaterpädagogisch an Schulen. Ihr Figurentheater «PhiloThea» spielt Stücke zu Themen wie Leben und Tod oder Glücklichsein. www.philothea.ch