Einen Rüffel fürs Schnüffeln?

Ein Vater entdeckt auf dem Laptop zufällig ein Bild seiner Teenagerin in aufreizender Pose. Was soll er nun tun? Das sagt unser Expertenteam.
Eine Frage – drei Meinungen
Kürzlich versorgte ich Wäsche im Zimmer meiner 16-jährigen Tochter, die gerade im Bad war. Mein Blick fiel auf ihren aufgeklappten Laptop und ein Foto in aufreizender Pose von ihr, das sie nur mit Unterwäsche bekleidet zeigte. In einem Ordner fand ich eine Serie weiterer solcher Bilder. Ich habe die Privatsphäre meiner Tochter verletzt und fühle mich schlecht. Gleichzeitig mache ich mir grosse Sorgen. Was soll ich tun?
Peter, 50, Amriswil TG
Das sagt unser Expertenteam dazu:

Manchmal hören oder sehen wir Dinge, die nicht für uns bestimmt sind. Mit dem Wissen sind wir im Geschehen drin und können nicht so tun, als würde uns dies nichts angehen. Sprechen Sie also Ihre Tochter an. Leiten Sie ein, dass Sie das Bild auf dem Laptop gesehen haben. Sagen Sie, was Ihnen Sorgen macht, vermeiden Sie Vorwürfe. Fragen Sie sie, was sie mit den Bildern tut. Vielleicht öffnet sie sich, vielleicht nicht. Es geht nicht um Fehler, sondern darum, dass Sie ihr zu spüren geben, dass sie Ihnen wichtig ist. Wenig sinnvoll ist es, Ihr Stöbern im Laptop zu gestehen. Dies ist nun nicht die Hauptsache und würde nur bewirken, dass sich Ihre Tochter verschliesst.

Privatsphäre hin oder her: Die Sorgen sind berechtigt und gehen vor. Wie gross sie sein sollten, wird sich weisen. Es bleibt Ihnen wohl nichts anderes übrig, als sich zu Ihrer Schnüffelei zu bekennen und zu rechtfertigen. Die guten Argumente sind auf Ihrer Seite. Wem hat sie diese Bilder geschickt? Wo hat sie die Bilder veröffentlicht? Warum hat sie das getan? Erklären Sie ihr die Gefahren ihrer Freizügigkeit und lassen Sie sich dabei nicht auf irgendwelche Nebengeleise lenken – von wegen Intimsphäre und so. Derselbigen hat sie mit ihren Fotos längst schon einen Bärendienst erwiesen.

Was man stets tun sollte, wenn man die Privatsphäre von jemandem verletzt: sich entschuldigen. Sagen Sie Ihrer Tochter, dass Sie auf ihrem Laptop ein Porträt in Unterwäsche von ihr gefunden haben, dass es Ihnen leidtut und es nicht Ihre Absicht war, ihr nachzuschnüffeln. Machen Sie ihr klar, dass Sie nichts dagegen haben, wenn sie ihren Körper inszeniert und ihre Wirkung ausprobiert. Aber dass Sie sich dennoch sorgen. Wahrscheinlich ist die Entstehung und der Zweck der Porträtserie ein harmloses Pubertätsspiel. Trotzdem kann es nicht schaden, wenn Sie mit ihr über die Gefahr des Missbrauchs von digitalem Bildmaterial reden.
Das Expertenteam:
- Annette Cina, 51, arbeitet am Institut für Familienforschung und -beratung der Universität Freiburg. In ihrer eigenen Praxis berät die Psychologin, Psychotherapeutin und dreifache Mutter Jugendliche und Erwachsene. Zu ihren Forschungsschwerpunkten gehören die Prävention von kindlichen Verhaltensstörungen, Paarkonflikte, Kindererziehung und Stress.
- Peter Schneider, 62, ist Kolumnist, Satiriker, Psychoanalytiker, Privatdozent für klinische Psychologie an der Uni Zürich und Gastprofessor für Geschichte und Wissenschaftstheorie der Psychoanalyse in Berlin.
- Nicole Althaus, 51, ist Chefredaktorin Magazine und Mitglied der Chefredaktion der «NZZ am Sonntag», Kolumnistin und Autorin. Sie hat den Mamablog auf tagesanzeiger.ch initiiert und geleitet und war Chefredaktorin von «wir eltern». Nicole Althaus ist Mutter von zwei Kindern im Alter von 20 und 16 Jahren.
In dieser Rubrik beantworten Expertinnen und Experten IHRE Fragen zu Erziehung und Alltag mit Kindern.
Schreiben Sie eine E-Mail an: redaktion(at)fritzundfraenzi.ch