«Ellen fühlte sich privilegiert und sie teilte ihren Reichtum»

Sie war eine langjährige Wegbegleiterin von Ellen Ringier. 2001 erlebte Jeanette Müller hautnah mit, wie Fritz+Fränzi laufen lernte. Mit berührenden Worten erinnert sich die Künstlerin an ihre am 19. März verstorbene Freundin und Mentorin.
Wie stellen Sie sich die Werkstatt eines Engels vor? – Ich hatte mir darüber noch keine Gedanken gemacht, bevor ich, kurz nach der Jahrtausendwende, Ellen kennengelernt und es dann erfahren habe: Es ist ein Büro mit einem Schreibtisch voller Briefe, Artefakte aus aller Welt – und einem Aschenbecher. Und es ist auch ein langer, lichtdurchfluteter Gang – am Ende, mit Blick auf den Zürisee – eine riesige Tafel voll von Schachteln, Geschenkpapier, Samt- und Satinbändern, Kärtchen und Karten und unzähligen goldenen Sternen.
Sie schrieb Zeilen voller Mitgefühl und Anteilnahme – an den Freuden und den nicht enden wollenden Leiden des Lebens.
Ellen bekam unheimlich viel Post und sie beantwortete und bearbeitete mehr als einem – auch fleissigen Menschen – normalerweise möglich ist. Sie half an allen Ecken und Enden, hat Möglichkeiten gegeben und geschaffen – für Menschen, die ihr nahe waren, und auch für Menschen, die sie nicht kannte. Sie fühlte sich privilegiert, sie war es, und Ellen teilte ihren Reichtum. Nicht nur finanzielle Mittel, sie teilte Gefühle und Meinungen, Kontakte und Stil.
Sie konnte oft nicht schlafen, keine Ruhe finden. Sie las und schrieb, Zeilen voller Mitgefühl und Anteilnahme – an den Freuden und den nicht enden wollenden Leiden des Lebens.
Und wenn es gegen Weihnachten ging, machte sie «Päckli», die nicht schöner hätten sein können. Schon während des ganzen Jahres trug sie Dinge zusammen, die erfreuen. Kaufte geschmackvolle Accessoires, Kleidung, Tischwäsche, Lampen, Bücher, Taschen, Düfte, Spielsachen – und verpackte sie so liebevoll, als wären alle Beschenkten ihre Kinder.
Familie, Freund:innen, Mitarbeiter:innen – alle wurden bedacht. Alle erhielten kostbare Zeilen aus ihrer Hand, verziert mit glitzernden Herzen und Sternen.
Ich tu es gerne und es ist wichtig.
Ellen Ringier
Eines Nachts in einem November, als ich bei Ellen und Michael in Küsnacht wohnte, konnte auch ich nicht schlafen und sah Licht unten, ganz unten in dem langen Gang. Ich tapste hinunter und traute meinen Augen nicht: rechts und links, meterlang reihten sich glänzend verpackte Geschenke in allen Grössen und Formen. Vorne an der langen Tafel sass Ellen mit einem Glas Wein und werkte an weiteren Gaben. «Ich tu es gerne und es ist wichtig», sagte sie.
Letzte Weihnachten, vergangenen Dezember, zitterte ihre Hand zu sehr. Sie konnte nicht mehr Schreiben und Verpacken. Janet, ihre Schwester, und Thomas Huber, ihre seit Jahren «rechte Hand», übernahmen neben ihr sitzend diese Aufgaben. Sie diktierte nicht nur die Texte – nein, auch wo die goldenen Sterne platziert sein sollen, war ihr wichtig. Und dass es auch ja nicht zu wenige sind.
Mögen alle Sterne, Sonne und Mond Dir strahlen und Geborgenheit geben, liebste Ellen, die Du uns mit Deiner Liebe und Fürsorge begleitet hast, so lange es Dir möglich war – und darüber hinaus. Deine Wege durchs Leben waren oft schön und glanzvoll, oft bunt und dunkelgrün und manchmal leicht, oft auch schmerzvoll, erschütternd und schwer – und was Dich geleitet hat, möge auch uns leiten: Dankbarkeit und grosse Freude am Leben, Eleganz, ein offenes Herz und ein mitfühlender Verstand.
Dass Du nicht mehr hier bist, schmerzt mehr als ich auszudrücken vermag. Du warst mir Vorbild und Mutterersatz, Freundin und Mentorin. Ich vermisse Dich. Es tut grausam weh, doch es tröstet die Freude und die Dankbarkeit, dass Dein Sein und Dein Wirken, Deine Güte in unser aller Leben eingeflossen ist – und dass ich die Werkstätten eines Engels kennenlernen durfte.

ist eine Konzeptkünstlerin und Politikwissenschaftlerin. Sie lebt in Wien.