Wie redest du eigentlich mit mir?
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Wie redest du eigentlich mit mir?

Lesedauer: 6 Minuten

Kindern respektvolles Verhalten beizubringen, ist eine Herausforderung. Eine wertschätzende Kommunikation, Empathie, ein klarer Rahmen und eine aufmerksame Begleitung öffnen den Raum für gelingende Beziehungen.

Text: Anja Kalisch-Hinz
Bild: Stocksy

Wann haben Sie sich das letzte Mal über respekt­loses Verhalten geärgert? War es die vermeintlich böse Absicht, eine Unachtsamkeit oder die kommunikative Art und Weise Ihres Gegenübers, die dieses Gefühl hervorgerufen hat? Respekt­losigkeit hat viele Gesichter, vor allem in ­einer Welt, die zunehmend hektischer, unpersönlicher und digitaler wird. Respekt ist einer der wichtigsten sozialen Werte und die Grundlage für ein funktionierendes Mit­einander, zu Hause, im Schul­alltag, bei der Arbeit oder im Internet. Respektvolles Verhalten steigert die Produktivität, schafft ein förderliches Klima, und das Beste daran: Es ist erlernbar.

Die Art und Weise, wie wir res­pektvolle Beziehungen gestalten, wird vor allem durch unsere Kommunikation bestimmt – verbal und nonverbal. Worte sind mächtig, aber auch unsere Körpersprache, Gestik und Mimik tragen entscheidend dazu bei, wie wir wahrgenommen werden. Dabei kann Respekt für jede Kultur, jede Generation und jeden Menschen anders verstanden werden und unterschiedliche Kommunikationsstile erfordern.

Zu verstehen, was Respekt für den anderen bedeutet, entscheidet über das Gelingen oder Scheitern von Beziehungen.

In ihrem Welthit «Respect» (R-E-S-P-E-C-T, find out what it means to me) machte Aretha Franklin 1967 darauf aufmerksam, dass Respekt etwas sehr Individuelles ist. Zu verstehen, was Respekt für den anderen bedeutet, und entsprechend darauf zu reagieren, entscheidet letztendlich über das Gelingen oder Scheitern von Beziehungen. 

Zwei der häufigsten Ursachen für respektloses Verhalten sind mangelnde Achtsamkeit und fehlende Respekterfahrungen in der eigenen Biografie. Tragischerweise ereignen sich Respektlosigkeiten häufig unbewusst. Die Beteiligten glauben zwar, respektvoll zu handeln, doch das Gegenteil ist der Fall. Achtloses Verhalten über einen längeren Zeitraum kann Beziehungen zerstören und sogar Familienmitglieder einander entfremden.

Der Faktor Familie

Gerade Kinder sind besonders sensibel, wenn es um die Aufmerksamkeit der Eltern geht. Fühlen sie sich dauerhaft missachtet, unfreundlich und herabwürdigend behandelt, ziehen sie sich zunehmend zurück. Sie teilen weniger aus ihrem Leben und suchen möglicherweise ausserhalb des familiären Umfelds nach Anerkennung und Verständnis, gerne auch in sozialen Netzwerken.

Für Kinder, denen wertschätzendes Verhalten in der Familie weder vorgelebt noch aktiv vermittelt wird, bleibt Respekt unsichtbar. Dagegen bildet er für diejenigen, die wissen, wie er anzuwenden ist, eine Grundlage für Wohlbefinden und gelungene Beziehungen.

Kinder brauchen Gespräche auf Augenhöhe und Eltern, die wirklich zuhören möchten. Entscheidend ist dabei der richtige Zeitpunkt.

Kindern respektvolles Verhalten beizubringen, kann für Bezugspersonen eine Herausforderung darstellen. Dies liegt daran, dass sich die kindlichen Gehirne im Wachstum befinden und Fähigkeiten sich erst entfalten. Ein wichtiges Werkzeug für ein respektvolles Miteinander, das sich unabhängig vom Alter mitentwickelt und jederzeit gefördert werden kann, ist die wertschätzende Kommunikation.

Es fängt schon im Kleinkindalter an

In den ersten Lebensmonaten geht es vor allem um Sicherheit, Orientierung und respektvolle Inter­aktion mit dem Nachwuchs. Dabei reagieren Säuglinge eher auf Gestik, Mimik und Tonalität als auf den Inhalt der Sprache. Im Kleinkindalter haben wir Eltern es mit egozentrierten Meistern der Grenz­auslotung zu tun. Ihr Verhalten entspricht nicht immer den Erwartungen eines respektvollen Umgangs, ist jedoch in diesem Alter normal und ein wichtiger Teil ihrer gefühls- und instinktgeleiteten Entwicklung. 

Gegenseitige Achtung und ein wertschätzender Dialog sind in dieser Phase besonders wichtig für das spätere Verständnis von Respekt. Indem wir Kindern auf Augenhöhe begegnen – kniend oder am Tisch sitzend – und mit einer verständnisvollen Stimme erklären, was wir von ihnen erwarten, wird Respekt für sie erlebbar. Geschichten sind hierbei kraftvolle Hilfsmittel, die respektvolles Verhalten thematisieren, Empathie fördern und moralische Lektionen verständlich machen. Ein kleiner Tipp: Die meisten Kinder werden in Fotos oft von «oben herab» fotografiert. Warum nicht einmal ihr Lächeln auf Augenhöhe einfangen? Diese respektvolle Geste zeigt, dass wir sie als gleichwertig ansehen.

Schulkinder brauchen empathische Gespräche und Eltern, die wirklich zuhören möchten. Anstatt ein «Ja, aber …» zu verwenden, das oft ablehnend wirkt, ist ein «Ja, und …» viel wertschätzender und eröffnet neue Gesprächsmöglichkeiten. Ein Austausch kann auch nur daran scheitern, weil er zur falschen Zeit stattfindet. Erschöpfung nach einem langen Tag in der Schule oder bei der Arbeit sowie ein Kopf voller unerledigter Aufgaben können den Verlauf eines Gesprächs stark beeinträchtigen.

Respekträume schaffen

Vereinbarte Zeiten für den Austausch helfen, produktive Gespräche zu ermöglichen. In solchen «Respekträumen» kann bewertungsfrei zugehört, Lob und Anerkennung oder Kritik viel wirkungsvoller geäussert werden. Es hat sich übrigens bewährt, Lob in der Gegenwartsform zu formulieren und Kritik in der Zukunftsform zu besprechen. Indem wir Kritik entpersonalisieren und auf die gewünschte Veränderung fokussieren, fällt es Kindern leichter, diese anzunehmen und umzusetzen. 

Allein die Entscheidung, sich Zeit zum Reden zu nehmen und dafür die Räumlichkeit zu wechseln, sorgt für ein anderes Mindset.

Statt «Wie sieht es denn bei dir schon wieder aus? Räum jetzt bitte dein Chaos auf und versuche Ordnung zu halten» ist folgende Aussage wirkungsvoller: «Es wäre schön, wenn die Spielsachen nach dem Spielen immer wieder in die Kiste kommen. So bleibt das Zimmer ordentlich und du findest beim nächsten Mal alles schneller.»

Bei einem Respektraum handelt es sich also um eine Räumlichkeit, die einzig und allein dem Zweck dient, dass Menschen sich vollkommen und ausschliesslich aufeinander einlassen können. Solche Respekträume können auch im Schul- und Büroalltag Wunder wirken, da sie eine Kultur der Offenheit und Empathie unterstützen.

Distanz von Hektik und Emotionalität

Der Schritt heraus aus dem Alltag und hinein in diesen Raum schafft Distanz von Hektik und Emotionalität, mit der so oft Gespräche geführt werden. Allein die Entscheidung, sich Zeit zum Reden zu nehmen und dafür die Räumlichkeit zu wechseln, sorgt für ein anderes Mindset. Wenn man bewusst die Schwelle übertritt, ist der Wert «Respekt» von vornherein mit dabei, bevor auch nur ein Wort gesprochen wurde. Besonders bei Reizthemen oder wenn gegensätzliche Interessen aufeinandertreffen, spielt der Respektraum seine Stärken aus.

Respekt: Mädchen mit skeptischem Blick hängt in einem Sessel
Eine respektvolle ­Kommunikation fördert nicht nur das Wohlbefinden des ­Gegenübers, sondern auch ­unser eigenes. (Bild: Plainpicture)

Respektvolle Kommunikation beruht darauf, den Gesprächspartner wertzuschätzen und als gleichwertig anzuerkennen. Studien in der Sozialpsychologie zeigen, dass Menschen, die respektvoll behandelt werden, sich eher öffnen und konstruktiv an der Lösung von Konflikten beteiligen. Eine respektvolle Kommunikation fördert nicht nur das Wohlbefinden des Gegenübers, sondern auch unser eigenes. Die Neurowissenschaften belegen schon lange, dass ein respektvolles Miteinander das Belohnungssystem im Gehirn aktiviert und die Ausschüttung von Oxytocin fördert – einem Hormon, das Vertrauen und Bindung schafft.

Grundlagen für den virtuellen Raum

Das Internet ist heute ein zentraler Raum für Sozialisation und Kommunikation, bietet aber nur einen geringen Schutz vor Respektlosigkeit. Insbesondere dort, wo wichtige Elemente wie Mimik, Gestik und Tonfall fehlen, ist respektvolle Kommunikation besonders herausfordernd. Virtuell führen Missverständnisse häufiger zu Konflikten oder Verletzungen. Es kann also helfen, sich bewusst zu machen, wie die Wortwahl und Kommentare beim Empfänger ankommen. Und es empfiehlt sich, das erzieherische Repertoire um die Netiquette, also den respektvollen Umgang im Netz, zu erweitern. 

Ohne Verständnis dafür wird eine Entschuldigung nur eine lästige Pflicht statt Ausdruck echten Bedauerns.

Es ist dabei wichtig, mit Kindern nicht nur über respektvolles Verhalten im Netz zu sprechen, sondern auch über die möglichen Auswirkungen ihres Handelns im digitalen Raum, wie beispielsweise Beleidigungen oder Cybermobbing. Ein regelmässiger Austausch über die Social-Media-Erfahrungen des Kindes und gemeinsames Reflektieren, was gut lief und was verbessert werden könnte, sind heute unerlässlich.

Es ist höchste Zeit, dass wir Eltern das virtuelle Leben unserer Kinder genauso aufmerksam begleiten und schützen, wie wir es in der realen Welt instinktiv tun. Gemeinsame Erfahrungen zu sammeln und Interesse an den digitalen Aktivitäten zu zeigen, werden immer relevanter, um gesunden und glücklichen Kinder zu begegnen.

Sich aufrichtig entschuldigen

Manchmal gehen Gespräche schief und eine Entschuldigung ist notwendig. Für die braucht es nicht nur Mut. Der Inhalt der Entschuldigung ist genauso wichtig wie die Tat selbst. Ein einfaches «Äxgüsi», «Sorry, aber …» oder «Ich habe nur Spass gemacht» sind nicht ausreichend und selten aufrichtig.

Ein Grund, warum uns Entschuldigungen so schwerfallen, ist der oft fehlende Anreiz dahinter. Besonders in jungen Jahren werden Kinder gerne aufgefordert, sich zu entschuldigen, was meist zu schamvoll gemurmelten Worten mit Blick zum Boden führt. Eine Geste, die weder von Herzen kommt noch die Situation wirklich verbessert. Ohne Erklärung und Verständnis dafür, warum eine Entschuldigung angebracht ist, wird sie nur eine lästige Pflicht statt Ausdruck echten Bedauerns.

Eine echte Entschuldigung besteht aus Verständnis, Reue, Empathie und dem Willen zur Wiedergutmachung. Kindern respektvolles Entschuldigen beizubringen, bedeutet, ihnen altersgerecht zu erklären, worin das Fehlverhalten lag, Mitgefühl für den anderen zu entwickeln und zu zeigen, wie man eine Geste der Versöhnung anbietet.

Es wäre wünschenswert, wenn in unserer gestressten Gesellschaft der Wert «Respekt» wieder an Bedeutung gewinnen könnte. Immerhin entscheidet er darüber, ob unser Zusammenleben gelingt oder scheitert. Beziehungen haben einen enormen Einfluss auf unsere Lebensqualität und stehen an dritter Stelle, gleich nach den Grundbedürfnissen Nahrungsaufnahme und Schlafen. Wenn wir Kindern zu Hause und in der Schule beibringen, respektvoll miteinander umzugehen, helfen wir ihnen, eine wertschätzende und friedliche Gesellschaft zu gestalten.

Und zuletzt: Respekt ist etwas, das mit unseren Erfahrungen wächst. Kinder lieben Challenges – wie wäre es zur Abwechslung mal mit einer familiären #RespectChallenge? Fordern Sie sich und Ihr Kind heraus!

Autorin Anja Kalisch-Hinz

Anja Kalisch-Hinz
ist 47 Jahre alt, Psychologin, Lerncoach und Respekttrainerin. Sie lebt mit ihrem Mann und den drei gemeinsamen Kindern in Kilchberg ZH.

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