So lehren wir Kinder Selbstrespekt
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So lehren wir Kinder Selbstrespekt

Lesedauer: 5 Minuten

Eltern und Lehrpersonen spielen eine entscheidende Rolle dabei, einem Kind Selbstrespekt und Achtung vor sich selbst zu vermitteln – zum Beispiel durch respektvolle Kommunikation.

Text: Anja Kalisch-Hinz
Bild: iStockphoto

Kindern beizubringen, respektvoll zu sein, ist für viele von uns ein wichtiger Teil der Erziehung. Dabei übersehen wir manchmal, dass wertschätzendes Verhalten eigentlich schon der zweite Schritt ist. Der erste Schritt? Sich selbst mit Würde und Achtung zu behandeln. 

Selbstrespekt ist ein Begriff, der im Alltag selten auftaucht, aber fest mit dem Selbstbild verbunden ist. Er spielt eine entscheidende Rolle dabei, wie Kinder zu respektvollen Persönlichkeiten heranwachsen. Wenn sie lernen, sich selbst zu respektieren, können sie die Fähigkeit entwickeln, ein respektvolleres Miteinander zu leben. Da Selbstrespekt kein angeborenes Talent ist, stellt sich die Frage: Wie kann er bei Kindern gefördert werden?

Selbstrespekt beginnt in der Familie – unabhängig von der gesellschaftlichen Situation, in der ein Kind aufwächst.

Respekt wächst mit der Identität mit 

Lange Zeit galt Selbstrespekt als Teil des Selbstwertgefühls. Neuere Forschungen zeigen, dass Selbstrespekt ein eigenständiges, stabiles Konzept mit «Superkräften» ist, das sich bereits in der frühen Kindheit entwickelt. Während das Selbstwertgefühl oft von äusseren Einflüssen und anderen Meinungen beeinflussbar ist, bleibt der Selbstrespekt davon eher unbeeindruckt und trägt zu einem positiven, soliden Selbstbild bei.

Die Sozialpsychologin und Selbst­respekt-Forscherin Daniela Renger beschreibt Selbstrespekt als die Überzeugung, sich selbst als Person mit gleichen Rechten wahrzunehmen, unabhängig von äusseren Einflüssen oder gesellschaftlichen Erwartungen. Es geht dabei also weniger um die Frage, ob wir uns mögen, sondern vielmehr darum, ob wir uns gleichwertig und anerkannt fühlen. Dabei wird die Verinnerlichung der eigenen Gleichberechtigung vor allem von unseren Erfahrungen geprägt.

Wenn Kinder lernen, sich selbst zu respektieren, werden Hirnareale angeregt, die positive Emotionen, Selbstwertgefühl und Empathie gleichzeitig fördern und somit respektvolles Verhalten ermöglichen. Respektlosigkeit hingegen, in Form von Liebesentzug oder dem Gefühl von Hilflosigkeit und Alleingelassen-Werden, mobilisiert das Stressnetzwerk, das den Körper nicht nur auf Kampf- oder Fluchtreaktionen vorbereitet, sondern auch wertschätzende Handlungsweisen erschwert.

Gut für sich selbst einstehen können

Ein anhaltendes Gefühl der Unzulänglichkeit kann daher nicht nur das Wohlbefinden beeinflussen, sondern auch die Anfälligkeit für psychische Erkrankungen erhöhen. Wenn Kinder lernen, ihre Handlungen nach ihren eigenen Werten und Grenzen auszurichten, gewinnen sie an Selbstbewusstsein und sind vor ungesunden Einflüssen besser geschützt.

Daniela Renger zeigt in ihren Studien, dass Selbstachtung und das Gefühl der Gleichberechtigung stark damit zusammenhängen, wie gut Menschen für sich selbst einstehen und ihre Bedürfnisse vertreten können. 

Nehmen Sie sich Zeit, Ihrem Kind zuzuhören. Nicht bewerten, keine Lösungsvorschläge – nur zuhören und ernst nehmen.

Kinder, die nicht genug Selbst­respekt entwickeln, suchen eher nach Anerkennung, indem sie sich den Erwartungen anderer anpassen oder diese imitieren. Sie entwickeln sich häufiger zu Ja-Sagern, die innerlich eigentlich «Nein» meinen, wodurch auch die Gefahr steigt, ausgenutzt zu werden. Klare innere Grenzen und der Glaube an ihre eigenen Rechte befähigen Kinder dagegen, gesunde Beziehungen zu leben und sich vor sozialen Gegenüberstellungen wirkungsvoller abschirmen zu können.

Wie Erziehung den Selbstrespekt formt

Selbstrespekt beginnt in der Familie – unabhängig von der gesellschaftlichen Situation, in der Kinder aufwachsen. Sie lernen durch Beobachtung und Nachahmung ihrer Umgebung, ihre eigenen Rechte zu begreifen und an diese zu glauben. Der Anfang der Selbstbeziehung beginnt, indem sich Kinder als Interaktionspartner begreifen, die wahrgenommen und berücksichtigt werden. Diese frühe Bindung stärkt das Vertrauen und legt den Grundstein der Selbstachtung.

Im weiteren Heranwachsen unterstützen altersgerechte Freiräume für Mit- und Selbstbestimmung zunehmend das Gefühl, als eine Person angesehen zu werden, deren Meinung wichtig ist. Mit dem Alter wächst auch das Verständnis für soziale Normen und Werte. Indem moralische Urteilsbildung und lösungsorientiertes Denken gefördert werden, nehmen sich Kinder zunehmend als gleichwertige Personen wahr.

Statt bei Herausforderungen sofort Lösungen anzubieten, ist es hilfreich, Kinder zu fragen, wie sie sich in einer bestimmten Situation gefühlt haben und welche Lösung sie selbst vorschlagen. Eigene innere Grenzen, die im Einklang mit den zugehörigen Werten stehen, werden so gefestigt.

Schule, Vereine und Freundeskreis führen zu neuen Erfahrungen, bei denen auch Ungleichbehandlungen oder Diskriminierung eine Rolle spielen und die den Selbstrespekt untergraben können. Regelmässige Gespräche über erlebte Erfahrungen, persönliche Werte und deren Bedeutung stärken Kinder in dieser entscheidenden Entwicklungsphase. Eine gemeinsame Liste von Werten zu erstellen und darüber zu reden, wie diese im Alltag gelebt werden können, ist eine gute Unterstützung. 

Unabhängig davon, welche Methode zur Förderung des Selbstrespekts gewählt wird, sollen Kinder sich geliebt und anerkannt fühlen. Diese emotionale Sicherheit ermöglicht es ihnen, eigene Prinzipien zu entwickeln und Prozesse der Selbstreflexion anzustossen, die ein selbstrespektierendes Leben nähren.

6 Tipps
Wie Eltern den Selbstrespekt ihres Kindes stärken können:
  1. Vorbildfunktion: Kinder lernen durch Beobachtung und Nachahmung. Wenn einem Kind vorgelebt wird, wie ein respektvoller Umgang mit sich selbst und anderen aussieht, wird es dieses Verhalten wahrscheinlich übernehmen. Ihre täglichen Handlungen und Worte sind mächtige Werkzeuge, um Kindern Selbstrespekt beizubringen.
  2. Empathisches Zuhören: Nehmen Sie sich Zeit, Kindern zuzuhören.Nicht bewerten, keine Lösungsvorschläge – einfach nur zuhören und ernst nehmen. Geben Sie Kindern das Gefühl, dass ihre Meinungen und Gefühle wichtig sind.
  3. Förderung von Unabhängigkeit: Lassen Sie Kinder ihre Autonomie und Mitsprache entdecken. Das bedeutet, eigene Entscheidungen zu treffen undVerantwortung zu übernehmen. Egal ob es um Ämtchen oder die Gestaltung des Wochenendes geht – Mitreden ist angesagt!
  4. Konstruktive Kritik: Geben Sie konstruktives Feedback, das die Stärken der Kinder betont und ihnen hilft, aus Fehlern zu lernen. Und warum nicht mal das «Missgeschick der Woche» feiern? Das fördert eine offene Fehlerkultur.
  5. Realistische Erwartungen: Setzen Sie realistische und erreichbare Erwartungen an Kinder. ÜberhöhteAnforderungen können zu einem Gefühl derUnzulänglichkeit führen und die Selbstachtungbeeinträchtigen. Geben Sie Kindern die Möglichkeit, in ihrem eigenen Tempo zu wachsen ohne den Druck, ständig Höchstleistungen erbringen zu müssen.
  6. Eigene Werte entdecken: Gespräche über Werte und Prinzipien helfen Kindern, eigene Werte zu erkennen und einen starken inneren Kompass zu entwickeln. Nutzen Sie auch Wertelisten, die online verfügbar sind, und besprechen Sie als Familie gemeinsam, welche Werte wichtig sind und welche weniger zu Ihrer Familie passen.

Schulen können Selbstrespekt fördern, jenseits von Noten

Ein Viertel ihrer wachen Zeit verbringen junge Menschen in schulischen Einrichtungen. Auch hier kann neben der Vermittlung von Lerninhalten die Persönlichkeitsbildung durch gezielte Programme und ein anerkennendes Klassenklima gefördert werden.

Ein gelungenes Beispiel bietet eine 5. Primarklasse in der Stadt Zürich. Hier ist Selbstrespekt nicht nur ein Konzept, sondern tägliche Praxis. Die Lehrperson beginnt jeden Morgen mit einer einfachen, aber wirkungsvollen Übung. Die Schülerinnen und Schüler teilen mit der Klasse eine Sache, die sie an sich selbst respektieren, unabhängig von ihren Noten oder Leistungen.

Die Klasse feiert jeden Freitag die ‹Fehler der Woche›, bei denen Freiwillige ihre Missgeschicke und gewonnenen Erkenntnisse teilen.

«Ich respektiere mich dafür, dass ich meinen Freund ermutigt habe, beim Schulwettbewerb mitzumachen», sagt der zehnjährige Louis. «Ich respektiere mich dafür, dass ich gestern den Mut hatte, zu sagen, dass ich die Matheaufgaben überhaupt nicht verstanden habe», fügt Emilia hinzu.

Dieses Ritual läutet die Stimmung für den Tag ein und erinnert die Schulkinder daran, dass ihr Wert weit über ihre schulischen Leistungen hinausgeht. Die Klasse feiert jeden Freitag die «Fehler der Woche», bei denen Freiwillige ihre Missgeschicke und gewonnenen Erkenntnisse teilen. Diese Routine nimmt dem Versagen den Schrecken und verstärkt die Idee, dass Selbstrespekt nicht Perfektion, sondern Wachstum und Widerstandsfähigkeit bedeutet.

Autorin Anja Kalisch-Hinz

Anja Kalisch-Hinz
ist 47 Jahre alt, Psychologin, Lerncoach und Respekttrainerin. Sie lebt mit ihrem Mann und den drei gemeinsamen Kindern in Kilchberg ZH.

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