Hochsensibilität: So empfindsam und so stark!
Modediagnose oder ernst zu nehmendes Persönlichkeitsmerkmal? Über Hochsensibilität gehen die Meinungen weit auseinander. Fachleute weisen den Eltern eine wichtige Rolle zu: Bieten sie ihrem feinfühligen Kind das passende Umfeld, kann es sich gut entwickeln und diese Eigenschaft als Stärke nutzen.
Sensibilität ist eine gute Eigenschaft. Wer würde das bezweifeln? In unserem Alltag finden sich unendlich viele Beispiele, die uns das immer wieder zeigen. Da ist die Drittklässlerin, die bei ihrer Sitznachbarin die Freude über eine gute Prüfungsnote sieht – und mit ihr strahlt. Oder der Vater, der seiner Teenagertochter beim ersten Liebeskummer geduldig zuhört, ihre Tränen versteht, sie in den Arm nimmt. Da ist die Kollegin, die ohne Erklärung die angespannte Stimmung in einem Meeting wahrnimmt und eine Lösung anbietet.
All das ist möglich, weil unsere Sensibilität es uns erlaubt, Signale zu erkennen, die Gefühle anderer wahrzunehmen, eine Verbindung herzustellen und entsprechend zu handeln. Wer sensibel ist, spürt manchmal ohne Worte, wie es um eine Situation und um ein Gegenüber bestellt ist.
Mit Hochsensibilität werden wenig positive Begriffe assoziiert: Schwierigkeiten im sozialen Umgang, Überempfindlichkeit, emotionale Überforderung.
Sensible Menschen reagieren auf subtile Zeichen – einen Ausdruck im Gesicht, einen Seufzer oder eine kleine Veränderung im Verhalten. Diese Fähigkeit, emotionale Feinheiten zu erkennen, ist das Fundament für Empathie. Und Empathie, das wissen wir, ist der Kitt, der unsere Gesellschaft zusammenhält.
Wenn Sensibilität so wichtig ist, müsste eine besonders hohe Sensibilität eigentlich wünschenswert sein. Wir blicken schliesslich voller Bewunderung auf hochintelligente oder hochbegabte Menschen, auf die Höchstleistungen von Profisportlerinnen und -sportlern. Eine «Hochsensibilität» könnte also als besonders wertvoll für das menschliche Miteinander eingeschätzt werden. Verschiedene Studien legen zudem nahe, dass eine hohe Sensibilität evolutionäre Vorteile mit sich bringt und sich deshalb als Persönlichkeitsmerkmal etabliert hat.
Doch was genau macht Hochsensibilität aus? Woran erkennt man sie und welche Herausforderungen und Chancen sind für Kinder und ihre Eltern damit verbunden? Dieses Dossier beleuchtet, was Hochsensibilität bedeutet und wie Eltern ihre hochsensiblen Kinder bestmöglich unterstützen können, um eine gesunde Entwicklung zu fördern.
Vorteile von Hochsensibilität
Die Psychologin Elaine Aron, Pionierin auf dem Gebiet der Hochsensibilitätsforschung, argumentiert in ihrer Arbeit, dass sensible Menschen in früheren Gemeinschaften als «Wächter» fungierten. Sie waren diejenigen, die frühzeitig auf feine Veränderungen oder Gefahren in der Umgebung aufmerksam wurden und damit die Gruppe vor Bedrohungen schützen konnten. Ihre erhöhte Wahrnehmung und Fähigkeit, emotionale und sensorische Reize genau zu interpretieren, war überlebenswichtig.
Michael Plüss, ein Schweizer Entwicklungspsychologe und Professor an der University of Surrey in England, forscht seit über 15 Jahren zur Hochsensitivität bei Kindern. «Eine hohe Sensitivität hat evolutionär gesehen den Vorteil, dass Kinder, die ihre Umwelt stärker wahrnehmen und durchdringen, sich besser anpassen können. Diese Sensitivität könnte in bestimmten Kontexten zum Überleben beigetragen haben», sagt er.
Alles Mimosen?
Das gängige Bild, das viele von Hochsensibilität haben, ist allerdings wenig positiv. Stattdessen werden damit Begriffe wie «Überempfindlichkeit», «Schwierigkeiten im sozialen Umgang» oder «emotionale Überforderung» assoziiert.
Ein hochsensibles Kind wird nicht unbedingt als besonders aufmerksam für seine Umwelt oder als besonders feinfühlig wahrgenommen, sondern eher als «zu sensibel». In gewisser Weise ist das sogar verständlich, denn Hochsensitivität kann die Abläufe im Alltag stören.
Kathrin Borghoff, Mutter eines hochsensiblen Kindes und Autorin diverser Bücher zu diesem Thema, beschreibt es so: «Vom Schlaf über das Essverhalten bis hin zur Kleidung können Sie bei nichts einfach sagen: ‹Egal, wird schon passen.› Stattdessen dürfen die Leggins nicht kratzen, das Essen soll nicht gewürzt sein, und durchgeschlafen hat das Kind eh noch nie.»
Hochsensitive Kinder fühlen sich in der Schule schnell von Lärm und Unruhe überfordert, gelten deshalb als Mimosen. Sie nehmen einen Scherz gerne mal persönlich, können das nicht einfach abhaken. Sie sind erschüttert, wenn sie sich mit schwierigen Inhalten auseinandersetzen müssen, bekommen beispielsweise Albträume vom Geschichtsunterricht zum Mittelalter. Hochsensibilität scheint, zumindest auf den ersten Blick, mehr Herausforderungen als Vorteile mit sich zu bringen.
Wie erkenne ich, ob mein Kind hochsensibel ist?
Im öffentlichen Diskurs wird Hochsensibilität manchmal wie eine Diagnose oder ein Krankheitsbild behandelt. Laut Michael Plüss ist «Hochsensibilität keine Verhaltensauffälligkeit oder psychische Störung, sondern eine Temperaments- beziehungsweise Persönlichkeitseigenschaft, so wie es viele andere Eigenschaften gibt».
Etwa 47 Prozent der Sensitivität sind genetisch bedingt, während der Rest durch Umweltfaktoren geprägt wird. «In Zwillingsstudien haben wir festgestellt, dass Hochsensibilität stark von der Genetik beeinflusst wird. Allerdings spielen auch Umweltfaktoren eine wichtige Rolle dabei, wie sich diese Veranlagung entwickelt», so Plüss.
Hochsensible Kinder können sich nur schwer abgrenzen.
Jeannine Donzé, Heilpädagogin
Diese genetische Basis spiegelt sich in neurologischen Faktoren wider: Weil hochsensible Menschen ein besonders reaktives Nervensystem haben, das stärker auf äussere und innere Reize reagiert, haben Umweltfaktoren, insbesondere positive oder negative Erziehungserfahrungen, einen erheblichen Einfluss auf die Entwicklung hochsensibler Kinder.
«Kinder, die in einem unterstützenden und fördernden Umfeld aufwachsen, profitieren besonders stark von ihrer Sensibilität und entwickeln ausgeprägte soziale und emotionale Fähigkeiten. In einem stressigen oder überfordernden Umfeld hingegen kann Hochsensibilität zu einer Belastung werden», lautet das Ergebnis von Michael Plüss’ Studien.
Vier Hauptmerkmale für hochsensible Kinder
- Die gründliche Informationsverarbeitung: Hochsensible Kinder verarbeiten Reize tiefgehender und denken oft lange über Erlebnisse nach.
- Die schnelle Überreizung, da hochsensible Kinder mehr und intensiver wahrnehmen.
- Die emotionale Intensität: Alles, was sie erleben, ob Freude oder Schmerz, fühlen sie stärker.
- Die sensorische Empfindlichkeit, die sich in einer höheren Wahrnehmung von Sinnesreizen wie Licht oder Geräuschen zeigt.
Gibt es Parallelen zwischen ADHS und Hochsensibilität?
Jeannine Donzé, Heilpädagogin und psychologische Beraterin mit eigener Praxis in Bern, hat sich nebst der Begleitung von erwachsenen Hochsensiblen auf die Beratung von Eltern und Familien spezialisiert. Sie bestätigt die Missverständnisse und die Unsicherheit, die oft mit Hochsensibilität verbunden sind: «Eltern kommen zu mir und fragen sich: Ist mein Kind normal? Hat es vielleicht eine Störung wie ADHS oder Autismus?»
Jeannine Donzé erklärt diesen Eltern dann die Besonderheiten in Aufnahme und Verarbeitung, die eine hochsensible Veranlagung mit sich bringt: «Hochsensible Kinder nehmen kleinste Reize wie zum Beispiel ein leises Geräusch oder ein visuelles Detail wahr, die anderen entgehen. Gleichzeitig verarbeiten sie diese Reize intensiver, was sie oft schneller erschöpft.»
- Wissenschaftlich fundierte Fragebögen für Eltern und Kinder sind eine gängige und verlässliche Methode zur Einschätzung von Hochsensibilität.
- Weitere Informationen und entsprechende Fragebögen gibt es unter anderem auf der Website sensitivityresearch.com, die von Entwicklungspsychologe Michael Plüss und anderen Fachleuten erstellt wurde.
- Verhaltensbeobachtungen durch Psychologen und Interviews mit Eltern, Lehrern und dem Kind bieten eine ergänzende, tiefere Analyse.
Tatsächlich gibt es zwischen ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung) und Hochsensibilität Ähnlichkeiten im Umgang mit Ausseneindrücken. Es gibt eine sogenannte Reizoffenheit, dadurch bedingt eine leichte Ablenkbarkeit. Während aber hochsensible Kinder in ruhigeren, reizarmen Situationen gut funktionieren, haben Kinder mit ADHS oft anhaltende Probleme, ihre Aufmerksamkeit zu lenken, unabhängig von der Umgebung.
Wie verlaufen soziale Interaktionen bei hochsensiblen Kindern?
Hochsensible Kinder haben manchmal Schwierigkeiten in sozialen Interaktionen, da sie besonders intensiv auf zwischenmenschliche Signale und Emotionen reagieren. Jeannine Donzé erklärt: «Diese Kinder können sich aufgrund ihrer grossen Empathiefähigkeit nur schwer abgrenzen. Oft fällt es ihnen schwer, zu unterscheiden, wo ihre eigenen Gefühle aufhören und die Gefühle anderer beginnen, was zu Überforderungen in sozialen Situationen führen kann.»
Entwicklungspsychologe Michael Plüss ergänzt, dass hochsensible Kinder an sich oft ein ausgeprägtes Bedürfnis nach Bindungen haben: «Sie können aber überfordert werden, wenn sie von negativen Emotionen oder Konflikten umgeben sind. Dadurch ist es nicht unwahrscheinlich, dass sie sich zurückziehen oder Schwierigkeiten haben, in sozialen Gruppen Fuss zu fassen.»
Hochsensible Kinder ziehen sich oft zurück, wenn sie von negativen Emotionen und Konflikten umgeben sind.
Michael Plüss, Entwicklungspsychologe
In der Schule kann dies dazu führen, dass sie von anderen Kindern als schüchtern wahrgenommen werden. Ein Junge, den Plüss in seiner Forschung beschreibt, zog sich regelmässig von Gruppenaktivitäten in der Schule zurück, wenn Konflikte oder lautstarke Diskussionen auftraten. Er brauchte ruhigere Umgebungen und Freundschaften, in denen er sich emotional sicher fühlte.
Was sind mögliche Auffälligkeiten in der Schule?
In der Schule, manchmal schon im Kindergarten, können hochsensible Kinder aufgrund ihrer intensiven Reizverarbeitung und ihres hohen Perfektionismus auf zusätzliche Herausforderungen stossen. Michael Plüss sagt: «Weil hochsensible Kinder schneller von äusseren Reizen abgelenkt werden, benötigen sie manchmal mehr Zeit, um Aufgaben zu bewältigen. Sie neigen dazu, ihre Umgebung und zwischenmenschliche Beziehungen intensiver wahrzunehmen, was sie ablenken kann.»
Manchmal sind schon ein Klassenzimmer mit Fenster zu einer lauten Strasse oder der knarrende Stuhl des Sitznachbarn ein Zuviel an Ablenkung. Diese ständige Wahrnehmung ihrer Umwelt löst oft innerpsychischen Stress aus und kann es ihnen erschweren, sich auf schulische Aufgaben zu konzentrieren, was zu Problemen in der Leistung führen kann.
Die starke Introspektion und das Gefühl, anders zu sein, können sich auch negativ auf den Selbstwert auswirken. Beides kann zur Folge haben, dass sie hinter ihren möglichen Leistungen zurückbleiben. Viele dieser Kinder zeigen, so Jeannine Donzé, «starke Schwankungen zwischen hoher Leistungsfähigkeit und Aktivierung des Nervensystems und Phasen der Erschöpfung». Sie haben ein starkes Bedürfnis nach Struktur und Ruhe, um ihren inneren Stress zu verarbeiten, was jedoch im schulischen Kontext oft schwer umsetzbar ist.
Welche Begabungen bringt Hochsensibilität mit sich?
Hochsensible Kinder verfügen über eine aussergewöhnliche Wahrnehmung und Beobachtungsgabe. Michael Plüss hat festgestellt, dass «diese Kinder oft eine grössere Tiefe in der Verarbeitung von Informationen haben. Sie nehmen mehr Details wahr und sind in der Lage, diese Informationen auf einer tieferen Ebene zu verarbeiten.» Dies führt dazu, dass sie in vielen Bereichen des Lebens ein fundiertes Verständnis entwickeln, was sie zu aufmerksamen und einfallsreichen Problemlösern macht.
Diese ausgeprägte Wahrnehmung kann sich in alltäglichen Situationen bemerkbar machen, etwa wenn hochsensible Kinder kleine Details in ihrer Umgebung bemerken, die anderen entgehen, oder wenn sie in sozialen Interaktionen sofort subtile Stimmungsänderungen bei anderen wahrnehmen.
«Aufgrund ihrer intensiven Wahrnehmung und ihrer tiefen emotionalen Welt zeigen hochsensible Kinder oft ein besonderes Talent im künstlerischen und musischen Bereich», sagt Kathrin Berweger. Die Begabungsexpertin aus Zürich hat über viele Jahre hinweg unzählige Familien mit hochsensiblen und hochbegabten Kindern begleitet.
Eine ihrer besonderen Methoden ist «Marte Meo» – eine videobasierte Beratungstechnik, die Eltern unterstützt, ihre Kommunikation und Interaktion mit ihrem Kind feinfühliger und wirkungsvoller zu gestalten. Zusammengefasst sind hochsensible Kinder nicht nur empfindsam, sondern auch besonders kreativ und analytisch stark.
Wie kann ich mein hochsensibles Kind unterstützen?
Hochsensibilität wird oft kontrovers diskutiert, da manche das Thema als übertrieben oder unnötig pathologisiert empfinden. Kritiker meinen, dass Hochsensibilität häufig als «Modebegriff» verwendet wird, um Verhaltensweisen zu erklären, die sonst als normal oder alltäglich betrachtet würden. Die Vermutung ist: Wenn Kinder als hochsensibel identifiziert werden, werden sie verhätschelt.
Hochsensible Kinder brauchen eine Möglichkeit, um sich zu regulieren. Sei das über Yoga, Bewegung oder Zeichnen.
Kathrin Berweger, Begabtenförderin
Entwicklungspsychologe Michael Plüss sagt, dass das mitnichten das Ziel der Hochsensibilitätsforschung sei. Es sei wichtig, dass hochsensible Kinder lernen, Stresssituationen zu bewältigen, und nicht davor geschützt werden. «Die Antwort ist nicht, das Kind vor allen Schwierigkeiten zu bewahren, sondern ihm zu helfen, gut mit herausfordernden Momenten umzugehen und Resilienz zu entwickeln», so Plüss. Eltern sollten ihren Kindern daher Bewältigungsstrategien vermitteln, die auf die individuellen Bedürfnisse des Kindes abgestimmt sind.
Wie können Übergänge besser bewältigt werden?
Ein besonders herausfordernder Bereich für hochsensible Kinder sind Übergänge, wie etwa der Wechsel von einer Aktivität zur nächsten: von der Schule nach Hause, von den Ferien in den Alltag, vom Spielen ins Bett. Solche Übergänge können bei hochsensiblen Kindern Stress und Unsicherheit auslösen, da sie Zeit brauchen, um sich von einer Situation emotional zu lösen und in eine neue hineinzufinden. Man spricht dabei von «Anpassungsstress».
Jeannine Donzé beschreibt, dass «hochsensible Kinder Übergänge als besonders schwierig empfinden, weil sie häufig tief in einer Tätigkeit oder in einem Gefühl verankert sind. Ein abrupter Wechsel kann sie überfordern.» Kathrin Berweger empfiehlt, Übergänge klar anzukündigen und sie möglichst sanft zu gestalten: «Hochsensible Kinder brauchen mehr Zeit, um sich auf Veränderungen einzustellen.»
Was bringen Ruhephasen?
Neben klaren Übergängen spielt auch die regelmässige Einbindung von Ruhe- und Stressabbauphasen eine zentrale Rolle im Umgang mit hochsensiblen Kindern. Diese Phasen helfen ihnen, Reizüberflutung zu vermeiden und sich emotional zu stabilisieren. Solche Ruhepausen können den Alltag entschleunigen und dem Kind die Möglichkeit geben, sich neu zu sammeln.
Die Begabtenförderin Kathrin Berweger erklärt, dass verschiedene Tätigkeiten und Techniken helfen können, den Stress zu bewältigen: «Es hängt stark vom jeweiligen Kind ab, was hilfreich ist. Manche Kinder sprechen sehr gut auf Techniken wie Kinderyoga an, andere müssen sich durch viel Bewegung auspowern, um Stress abzubauen. Auch Beschäftigungen wie Zeichnen oder der Aufenthalt in der Natur bieten hochsensiblen Kindern eine Möglichkeit, zur Ruhe zu kommen und sich zu regulieren.»
Um eine unterstützende Umgebung für hochsensible Kinder zu schaffen, ist es wichtig, zu Hause wie auch in der Schule eine ruhige und strukturierte Atmosphäre zu bieten. Das kann dabei helfen, das Nervensystem zu beruhigen.
Wie hilft Kommunikation?
Neben Ruhepausen spielt auch die Art und Weise, wie Eltern mit ihrem Kind kommunizieren, eine entscheidende Rolle. Hochsensible Kinder reagieren oft besonders empfindsam auf nonverbale Signale und Stimmungen in ihrer Umgebung. Deshalb ist es wichtig, nicht nur auf die körperlichen Bedürfnisse des Kindes zu achten, sondern auch eine unterstützende, verständnisvolle Kommunikation zu fördern.
Die Co-Regulation durch die Eltern spielt dabei eine grosse Rolle. Dies kann durch beruhigendes Zureden, Singen oder Summen, Blickkontakt, ein aufmunterndes Zulächeln oder Körperkontakt geschehen. Auch Haustiere oder die Natur wirken regulierend auf das Nervensystem ein.
Jeannine Donzé schlägt vor, dem Kind eine «Wortspur» zu geben: «Es geht darum, dem Kind zu helfen, seine Emotionen zu benennen, es also bewusst in die Selbstwahrnehmung zu führen, was die Voraussetzung dafür ist, dass es seine Bedürfnisse spüren und formulieren lernt.»
Dies fördert die Selbstwahrnehmung – also das Bewusstsein über die eigenen Gefühle und Reaktionen – und die Selbstregulation, was bedeutet, dass das Kind besser in der Lage ist, mit schwierigen Gefühlen umzugehen, sie zu kontrollieren oder zu verarbeiten. Auf diese Weise wird es unabhängiger und kann seine Sensibilität als Stärke nutzen, anstatt sich von überwältigenden Emotionen beherrschen zu lassen.
Wann sollte professionelle Hilfe in Anspruch genommen werden?
Wenn hochsensible Kinder stark unter Stress und ihrer Reizempfindlichkeit leiden, kann es sinnvoll sein, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Jeannine Donzé beschreibt, dass Anzeichen wie Schlafstörungen, Infektanfälligkeit, psychosomatische Beschwerden (beispielsweise Bauch- oder Kopfschmerzen) oder Schulabsentismus darauf hinweisen können, dass das Kind überfordert ist.
Es gibt verschiedene Wege, hochsensible Kinder zu begleiten. Kathrin Berweger empfiehlt, auf spielerische und achtsamkeitsbasierte Therapien und Begleitungen zu setzen, die das Kind in seiner emotionalen Entwicklung unterstützen: «Methoden, die auf eine sanfte Förderung der Selbstwahrnehmung und der emotionalen Regulation abzielen, können helfen, dass das Kind lernt, seine eigenen Bedürfnisse zu erkennen und mit den Herausforderungen der Hochsensibilität besser umzugehen.»
Sensibilität betrifft uns alle: Jeder Mensch ist empfindsam
Ein weiterer wichtiger Aspekt im Umgang mit hochsensiblen Kindern ist das Verständnis dafür, dass Sensibilität nicht nur eine besondere Eigenschaft weniger Menschen ist, sondern uns alle betrifft. Hochsensible Kinder befinden sich am oberen Ende eines Spektrums, was bedeutet, dass ihre Wahrnehmungen intensiver und ihre emotionalen Reaktionen stärker ausgeprägt sind. Doch auch Menschen mit geringerer Sensibilität reagieren auf ihre Umwelt – nur in einem weniger ausgeprägten Masse.
Eltern müssen ihrem Kind helfen, mit den besonderen Herausforderungen seiner Sensibilität umzugehen und seine einzigartigen Fähigkeiten zu entfalten.
Menschen in der hochsensiblen Kategorie werden oft mit «Orchideen» verglichen, die eine optimale Pflege benötigen, aber in der richtigen Umgebung besonders stark aufblühen. Die Gruppe mit geringerer Sensibilität wird als «Löwenzahn» bezeichnet, da diese Menschen anpassungsfähig und robust sind. Die Gruppe dazwischen, die «Tulpen», zeigt eine Balance zwischen Empfindlichkeit und Robustheit. Wichtig ist, dass keine dieser Veranlagungen als falsch betrachtet wird – jede hat ihre Stärken und Besonderheiten, die es wert sind, gefördert und geschätzt zu werden.
Eltern hochsensibler Kinder spielen eine zentrale Rolle bei deren Entwicklung. Sie müssen ihren Kindern helfen, ihre eigenen Bedürfnisse zu erkennen und ihnen gleichzeitig den Raum geben, ihre Sensibilität als Stärke zu nutzen. Durch eine fürsorgliche und unterstützende Umgebung können hochsensible Kinder lernen, mit den Herausforderungen ihrer Sensibilität umzugehen und gleichzeitig ihre einzigartigen Fähigkeiten zu entfalten.