«Eltern müssen lernen, sich beim Handy durchzusetzen»

Medienexperte Daniel Wolff gibt Digital-Workshops an Schulen und weiss, wie lange Kinder und Jugendliche täglich am Handy sind – und was sie im Netz erleben. Er sagt, dass Eltern ihre Fürsorgepflicht dringend wahrnehmen sollten.
Herr Wolff, meine Tochter hat zu ihrem 12. Geburtstag ihr erstes eigenes Handy bekommen. Welche ist die wichtigste Regel, die wir damit verknüpfen sollten?
Am Abend und vor allem in der Nacht muss das Telefon raus aus dem Kinderzimmer, damit Ihre Tochter ungestört schlafen kann. Aber Sie haben es sowieso schon weit geschafft, wenn sie erst mit 12 Jahren ein eigenes Smartphone bekommt.
Sie geben seit acht Jahren als Digitaltrainer Workshops an deutschen Schulen mit Schülern, Lehrern und Eltern. Was erleben Sie dort?
Das lässt sich nicht verallgemeinern, aber grundsätzlich fallen zwei Dinge auf: Das Einstiegsalter für ein eigenes Handy sinkt immer weiter und sehr viele Eltern kümmern sich zu wenig darum, was ihr Kind mit diesem kleinen Computer macht.
Die Kinder berichten mir von Szenen aus Horrorfilmen, Pornos und Cybergrooming.
Wann bekommen denn Kinder in der Regel ihr erstes Handy?
Der typische Anlass ist der Übertritt an die weiterführende Schule, der in Deutschland meistens nach der vierten Klasse erfolgt. Seit Corona besitzen aber bereits auch viele Grundschulkinder ein Smartphone – und nutzen Whatsapp, Tiktok, Instagram, Youtube und so weiter zum Teil unreglementiert.
Warum ist dieser frühe Zugang so problematisch?
Weil Kinder im Netz auf Dinge stossen, die sie überfordern, verstören oder manchmal sogar traumatisieren. Bei meinen Schulbesuchen berichten mir die Kinder von Szenen aus Horrorfilmen, Pornos oder auch von Cybergrooming, also dem Versuch Pädokrimineller, mit Kindern im Internet Kontakt aufzunehmen. Ich war in Grundschulklassen, in denen in der Whatsapp-Gruppe eine Hinrichtung durch eine islamistische Terrorgruppe geteilt wurde oder eine unglaublich grausame Szene aus dem Ukraine-Krieg.

Oft sehen die Kinder schlimme Dinge aber gar nicht absichtlich, sondern nur deshalb, weil der Empfehlungs-Algorithmus einer App noch etwas mehr Aufmerksamkeit erheischen möchte – damit die Kinder die Plattform länger nutzen und so die Werbeeinnahmen steigen. Wenn ein 14-Jähriger mit diesen Dingen konfrontiert wird, ist das sicher auch nicht gut und kann Spuren hinterlassen – aber in diesem Alter kann man solche Dinge vielleicht schon besser einordnen und verarbeiten, als das ein Grundschüler kann.
Wie schaffen Sie es, dass Ihnen die Kinder all das erzählen?
Ich zeige ihnen zuerst, dass ich fast alle der unter Kindern angesagten Social-Media-Apps und Spiele auch selbst auf meinem eigenen Handy installiert habe. Sofort schallt mir dann entgegen: «Wow, Sie haben Tiktok?», «Echt jetzt, Brawl Stars?» oder «Haben Sie das alles selbst installiert?».
Dann sage ich: «Ja, ich nutze oder spiele das alles selbst und ich beantworte euch gleich alle eure Fragen dazu. Aber zuerst habe ich ein paar Fragen an euch. Ganz wichtig dabei: Ich bin kein Lehrer und kein Polizist – und kenne nicht einmal eure Namen. Ihr könnt heute komplett ehrlich sein und absolut alles sagen – auch alles, was eure Eltern nicht wissen, denn dann wird es erst richtig spannend. Also noch mal: Absolut nichts wird heute bestraft!» Alle anwesenden Lehrer müssen dann hoch und heilig versprechen, dass sie alles vergessen werden, was in diesem Workshop passiert, was sie in der Regel gerne tun.
Und das wirkt?
Definitiv, Kinder erzählen mir regelmässig, wie viele Whatsapp-Nachrichten sie nachts wirklich bekommen, welche schrecklichen Videos sie schon gesehen haben oder wie viele Stunden sie täglich – und in der Nacht – mit Handyspielen verbringen. Die Eltern haben davon in der Regel keine Ahnung.
40 Prozent der Eltern erlauben den 8- bis 9-Jährigen das Handy ins Bett zu nehmen. Das ist aus meiner Sicht der grösste Fehler.
Womit wir bei den Eltern wären.
Es macht einen grossen Unterschied, ob ich als Vater oder Mutter mit meinem Kind vor der Smartphone-Übergabe über die wichtigsten Gefahren spreche, den Zugang zu gewissen Apps reglementiere, Mediennutzungszeiten einführe, sprich, den Medienkonsum engmaschig begleite, oder ob ich meinem Kind einfach ein Gerät aushändige und mich anschliessend nicht weiter darum kümmere.
Und Letzteres tun Eltern?
Aus meiner Erfahrung heraus leider sehr viele. Die meisten Mütter und Väter sind noch nicht in der Lage, die Komplexität dieses Geräts zu erkennen. Ein Smartphone verändert mit jeder App seinen Charakter, es wird zu einem komplett neuen Gerät. Es gibt Apps, die richtig gefährlich für Kinder sind, da beispielsweise Pädophile sie nutzen, um Kontakt zu Kindern und Jugendlichen aufzunehmen, wie die Video-App OmeTV oder die Tiktok-Kopie Likee. Likee teilt sogar die Standortdaten. Das heisst, wenn ich bei mir zu Hause ein Video mache, wissen nach dem Posting fremde Menschen, wo ich wohne. Viele Kinder kennen diese Apps, ihre Eltern in der Regel nicht.
Ich behaupte, dass es vielen Eltern nicht egal ist, was ihre Kinder im Netz sehen und erleben. Aber es ist unglaublich anspruchsvoll, das alles im Blick zu haben.
Definitiv, da gebe ich Ihnen recht. Medienerziehung ist sehr anstrengend, aber sie ist im digitalen Zeitalter mit die wichtigste Erziehungsaufgabe. Was man sich bewusst machen muss: Die heutige Elterngeneration hat dieses Gerät mit all seinen Funktionen erst im Erwachsenenalter bekommen – und geht dementsprechend damit um. So nutzen Erwachsene Whatsapp in erster Linie zum Informationsaustausch. Ist das problematisch? In der Regel nicht! Also sehen sie auch kein Problem darin, ihren Kindern Whatsapp zu erlauben.
Kinder wollen vor allem Spass haben.
Genau. Und das rund um die Uhr. Wenn ich die jungen Teilnehmerinnen und Teilnehmer in meinen Workshops frage: «Wie viele Nachrichten habt ihr schon einmal auf Whatsapp in einer Nacht bekommen?», kommt von Drittklässlern typischerweise die Antwort «60», von Fünftklässlern «1200» und von manchen Siebtklässlern «6000».

Auch wenn es sich bei den meisten Nachrichten um lustige Bilder und Emojis handelt – Klassenchats mit Tausenden von Nachrichten pro Nacht gibt es an jeder Schule. Studien zufolge erlauben bei den 8- bis 9-Jährigen 40 Prozent der Eltern, das Handy mit ins Bett zu nehmen. Je älter die Kinder werden, desto höher wird dieser Anteil, insgesamt sind es mehr als die Hälfte aller Jugendlichen in Deutschland. In der Schweiz dürfte das ähnlich aussehen.
In dem Moment gehen die Eltern aber sicher nicht davon aus, dass ihr Kind sich nachts auf Whatsapp oder Tiktok herumtreibt.
Das tun aber sehr viele. Weil die Verlockung so gross ist – und weil es Kinder sind. Der grösste Fehler, den Eltern machen können, ist aus meiner Sicht, ihrem Kind ein Smartphone mit ins Bett zu geben. Wenn Sie das machen, verlieren Sie die Chance, Ihr Kind zu begleiten. Sie haben keine Ahnung mehr, was es da macht. Und erst recht nicht, wie lange.
Darauf angesprochen, heisst es, das Handy sei im Flugmodus und diene als Wecker.
Natürlich. Weil die meisten Eltern es mit ihrem eigenen Gerät so handhaben. Was nebenbei ein guter Grund ist, sich einen Wecker anzuschaffen und Vorbild zu sein. Noch einmal: Kinder nutzen das Smartphone anders als Erwachsene. Was hätten Sie denn gemacht, als Sie jung waren? Stellen Sie sich vor, Sie hätten ein kleines Kästchen, mit dem Sie mit Ihren besten Freundinnen Tag und Nacht Spass haben können.
Wenn Eltern das Smartphone entziehen, wegen Inhalten, die das Kind nicht sehen sollte, lernt es, dass es ihnen nicht vertrauen kann. Vertrauen ist jedoch das Wichtigste.
Wenn ich bei einem Workshop die Frage stelle, wer schon mal eine Nacht durchgemacht hat am Smartphone und am anderen Morgen in die Schule gegangen ist, melden sich jedes Mal mehrere Kinder pro Klasse, manchmal sogar schon bei den 9- und 10-Jährigen. Viele Kinder stellen ihr Handy auf lautlos und machen den Bildschirm sehr dunkel, so dass ihre Eltern nichts bemerken, selbst wenn sie überraschend ins Zimmer kommen.
Die vielen Emojis gehören dann sicher zu den harmloseren Inhalten, die sie in dieser Zeit sehen.
Ganz genau. Besonders nachts wird das Internet laut vielen Schilderungen von Kindern und Jugendlichen oft noch einmal härter, schlimmer und grausamer. Meine Vermutung: Die Algorithmen spielen dann härtere Sachen aus, um dafür zu sorgen, dass die jungen User dranbleiben – und nicht doch irgendwann mal einschlafen, womit auch weitere Werbeeinnahmen versiegen würden.
Ein konkretes Beispiel: Kennen Sie «Terrifier»? Das ist ein furchtbar brutaler US-amerikanischer Horrorfilm, der unter Schülern gerade sehr beliebt ist. Oder berüchtigt. Stellen Sie sich vor, ein 10-Jähriger ist nachts unter der Decke auf Tiktok und auf einmal erscheint da ein junger Influencer, der sagt: «Schaut mal, ich bin gerade im Kino. Hier ist es total krass! Der Film ist so schrecklich! Oh Gott, schaut euch diesen Film nicht an!» Und unten in den Kommentaren steht dann: «Kennt ihr die schreckliche Yoga-Szene, bitte nicht anschauen!» Und dazu ein Youtube-Link, der direkt zu dieser Szene führt. Was macht der neugierige 10-Jährige?
Er klickt den Link an.
Und ist sehr bald total geschockt. Reflexartig schliesst er das Video und denkt: «Oh Gott, nein, was habe ich da angeschaut? Da hätte ich nie draufklicken dürfen. Das ist ja furchtbar. Wenn meine Eltern das erfahren, ist mein Smartphone weg!»
Was heisst das also für Eltern?
Eltern sollten ihrem Kind nie wegen Inhalten, die es gesehen hat, das Smartphone entziehen. Das ist eine weitere sehr wichtige Regel. Denn wenn sie das tun, lernt ihr Kind, dass es ihnen nicht vertrauen kann. Die härteste Strafe im digitalen Zeitalter ist ein Smartphone-Verbot. Ein Smartphone ist ein Gerät, bei dem allein die Kinder entscheiden, was ihre Eltern mitkriegen, sonst niemand. Deshalb müssen wir als Eltern alles tun, damit unsere Kinder uns vertrauen.
Daher ist ein entscheidender Satz, den Eltern ihrem Kind sagen sollten: «Du kannst immer mit allem, was du im Internet erlebst, zu mir kommen, ich werde dir deswegen das Smartphone nie wegnehmen.» Auf die Frage nach dem besten Alter für das erste Handy stelle ich übrigens oft die Gegenfrage: «Wann halten Sie Ihr Kind für bereit, im Netz auf so etwas Schreckliches wie ‹Terrifier› zu stossen?»
Aber so einfach ist es doch auch nicht. Ich kann nicht sagen, meine 12-jährige Tochter kommt mit solchen Inhalten noch nicht klar, also bekommt sie erst mit 16 oder 18 ihr eigenes Handy. Das ist unrealistisch. Es muss einen Mittelweg geben.
Natürlich gibt es den, im Sinne einer engen und wachsamen Begleitung. Über zwei wichtige Aspekte haben wir diesbezüglich schon gesprochen: nachts kein Smartphone im Zimmer und kein Handyverbot als Strafe, falls verstörende Inhalte auftauchen. Bei jüngeren Kindern, sprich etwa bis 13 Jahre, braucht es ausserdem Kinderschutz-Software sowie Zeitlimits.
Eltern und Kinder sollten sich gemeinsam mit dem Handy auseinandersetzen und Regeln aufstellen.
Dann poppt bei jeder App, die Kinder auf ihr Handy laden wollen, erst eine Anfrage auf dem elterlichen Handy auf, der Vater oder Mutter zustimmen muss. Und all diese Regeln und Massnahmen sollten Eltern vor der Übergabe des Handys mit ihren Kindern besprechen und am besten schriftlich festhalten. Auf www.medien-kindersicher.de gibt es beispielsweise eine gute Vorlage für einen Mediennutzungsvertrag.
Ich habe mir diese Vorlage angeschaut und sie hat mich ehrlich gesagt erschlagen. Man kommt auf ein Regelwerk von etwa acht Seiten. Wer soll sich so etwas merken?
Diese Regeln muss man im Alltag nicht aufsagen können wie die Zehn Gebote. Es geht darum, dass Eltern und Kinder sich gemeinsam mit dem Thema auseinandersetzen und Regeln festlegen. Das nimmt auch die Eltern in die Pflicht. Kinder wollen wissen, woran sie sind, und sie akzeptieren das umso besser, wenn sie erkennen, dass sich ihre Eltern ebenfalls an Regeln halten. Es geht auch darum, zu sehen: Wo steht mein Kind überhaupt? Was weiss es und was hat es schon gesehen? Am besten, man nimmt sich dafür ein ganzes Wochenende Zeit.

Das setzt viel Engagement der Eltern voraus.
Das sich auszahlen wird. Die Kinder entscheiden auch nach Medienkompetenz der Eltern, ob sie mit Fragen oder Sorgen zu ihnen gehen oder nicht. Die meisten Kinder in den Workshops sagen zu mir, dass sie sich gar nicht an die Eltern wenden, weil diese keine Ahnung hätten. Sie können nicht mitreden. Das ist doch ziemlich traurig, oder?
Was sagen Sie einer alleinerziehenden Mutter, die keinen Partner hat, mit dem sie ein Wochenende lang Nutzungsbedingungen diskutieren kann?
Auch die alleinerziehende Mutter kann Mediennutzungszeiten bei ihrem 9-Jährigen festlegen. Und sie kann an ihren Teenager appellieren, vor dem jüngeren Geschwister keine heiklen Inhalte auf dem Handy anzuschauen. Noch einmal: Es hat zu allen Zeiten gefährliche Situationen für Kinder und Jugendliche gegeben, und Jugendliche machen unbeobachtet gerne Dinge, die Erwachsene nicht gutheissen. Das ist alles in Ordnung. Aber das Internet hat eine andere Dimension, die Gefahren sind um ein Vielfaches grösser. Wer sagt: «Ja, es gibt schlimme Sachen wie Cybermobbing, harte Pornos oder Horrorfilme, aber mein Kind betrifft das nicht», handelt fahrlässig.
In Ihrem Buch «Allein mit dem Handy» widmen Sie ein ganzes Kapitel der Frage, wie man Whatsapp für Kinder sicherer einstellen kann. Wie geht das?
Gehen Sie in den «Datenschutz»-Einstellungen von Whatsapp schrittweise vor: Wollen Sie wirklich, dass alle Nutzerinnen und Nutzer dieser Welt herausfinden können, wann Ihr Kind Whatsapp zuletzt benutzt hat und ob es gerade online ist? Mit zwei Häkchen reduzieren Sie das potenzielle Publikum von über zwei Milliarden Whatsapp-Nutzern auf nur noch die Menschen, die Ihr Kind als Kontakt gespeichert hat.
Jüngere Kinder sollten Youtube nur im Wohnzimmer schauen dürfen – und auf keinen Fall im Kinderzimmer hinter geschlossener Tür.
Wenn Sie noch sicherer gehen möchten, können Sie auch «niemand» auswählen. Dann geht es weiter mit dem Profilbild, der Infozeile, Lesebestätigung und so weiter. Weil Whatsapp oft die erste App ist, die auf Kinder-Smartphones installiert wird – und zu den meistgenutzten Apps gehört –, habe ich an ihr das Thema Sicherheitseinstellungen beispielhaft vertieft. Sie können und sollten aber auch alle anderen Social-Media-Apps für Ihre Kinder sicherer einstellen.
Haben Sie noch ein Beispiel?
Für Youtube gibt es die Möglichkeit, die «Autoplay»-Funktion auszuschalten, damit das Kind nicht in dieser endlosen Videoschleife festhängt. Vereinbaren Sie mit Ihrem Kind zudem eine Höchstzahl von Apps, die nicht überschritten werden darf, ohne eine andere App zu löschen.
Etwas, das Erwachsenen ebenfalls guttun würde.
Definitiv. Aber verstehen Sie mich nicht falsch, ich selbst bin ein grosser Technikfan und game auch mit meinem jüngsten Sohn, um mitreden zu können. Das empfehle ich allen Eltern: Zeigen Sie Interesse, fragen Sie aktiv nach. Schauen Sie mit Ihrem Sohn, Ihrer Tochter deren Lieblingsvideos, Ihr Kind ist dabei der Experte beziehungsweise die Expertin und fühlt sich gesehen. Das schafft ebenfalls Vertrauen.
Und was ist, wenn ich den Verdacht habe, dass etwas nicht gut läuft? Darf ich beispielsweise den Klassenchat mitlesen?
Natürlich dürfen Sie das, besonders wenn dieser über Whatsapp läuft und Ihr Kind noch nicht 13 Jahre alt ist, dem (laut Nutzungsbedingungen) offiziellen Mindestalter für Whatsapp. Am besten wäre, Sie besprechen das schon mit Ihrem Kind, bevor Sie ihm überhaupt das Handy überreichen oder Whatsapp erlauben: «Wir lesen den Klassenchat zusammen.»
Ich halte auch viel von der Regel, dass jüngere Kinder Youtube nur im Wohnzimmer schauen dürfen – und auf keinen Fall im Kinderzimmer hinter geschlossener Tür. So bekommen Eltern sofort mit, wenn das Kind auf etwas stösst, das nicht für sein Alter geeignet ist.
Aber für die Jüngeren gibt es doch Youtube Kids, ist das nicht besser?
Fragen Sie Ihr Kind, ob es schon mal von «Youtube-Kacke» oder «Biene-Maja-Verarsche» gehört hat. Es gibt sogenannte Trolle im Internet, die Kindervideos gezielt mit Jump Scares, also schrecklichen Szenen, durchsetzen und dann wieder auf Youtube hochladen. Google weigert sich leider, Menschen einzustellen, die die Videos für Youtube-Kids heraussuchen; das machen Algorithmen. Und die machen Fehler. Es gibt leider keinen wirklich wirksamen Jugendschutz im Internet. Und erst recht keinen wirksamen Kinderschutz.
Wenn Eltern ihre Kinder fragen, wie lang spielst du schon, haben sie bereits verloren.
In vielen Familien sind Mediennutzungszeiten ein grosses Thema – das regelmässig zu Streit führt. Warum ist das so schwierig?
An dieser Stelle können wir erkennen, wie gross der Sog digitaler Medien und die damit einhergehende Suchtgefahr ist. Ich bin ein grosser Befürworter von Zeitlimits und der festen Überzeugung, dass wir unseren Kindern zeigen müssen, dass wir in der Lage sind, Regeln zu etablieren. Ich habe oft Eltern bei mir, die sagen: «Herr Wolff, ich sage meinem Sohn die ganze Zeit, er soll aufhören mit dem Gamen, aber er hört nicht auf. Was soll ich denn machen?»
Sie müssen lernen, sich durchzusetzen! Wenn Eltern ihre Kinder fragen, wie lang spielst du schon, haben sie bereits verloren. Denn damit haben sie zugegeben, dass sie den Anfang der Mediennutzung nicht mitbekommen haben. Das Kind wird immer automatisch sagen: «Fünf Minuten!» – egal wie lange es tatsächlich schon zockt, denn daraus resultiert die längste Spielzeit. Und wir müssen lernen, dass diese Antwort nicht auf einen schlechten Charakter zurückzuführen ist: Kinder sind Kinder – wir hätten das auch so gemacht.
Daniel Wolff: Allein mit dem Handy – So schützen wir unsere Kinder. Heyne 2024, 320 Seiten, ca. 26 Fr.
Eltern können aber nicht jede Situation begleiten. Angenommen, das eigene Kind darf sein Handy nicht mit ins Bett nehmen, übernachtet aber bei einer Freundin, bei der andere Regeln gelten …
Ich würde mit den Eltern sprechen – am besten, bevor die Tochter dort übernachtet. Natürlich sollte man einen freundlichen Ton anschlagen und nicht belehrend auftreten. Aber ich habe die Erfahrung gemacht, dass viele Eltern sehr froh sind, wenn man mit ihnen zusammen Regeln aufstellen will. Und diesen Aufwand müssen wir betreiben, wenn wir keine bösen Überraschungen erleben wollen.
Wir haben ein Zigarettenverbot und ein Alkoholverbot für Kinder unter 14 Jahren. Wieso schützen wir sie also nicht im Netz?
Australien hat Ende vergangenen Jahres Social Media für unter 16-Jährige verboten. Ist das der richtige Weg?
Ich fürchte, uns bleibt keine andere Wahl, als drastische Schritte einzuleiten. Die Forderung nach Kompetenzvermittlung besteht schon seit Jahrzehnten, ebenso die nach Jugendschutz. All das hat aber für die Kinder insgesamt nichts Wesentliches bewirkt, stattdessen geht es vielen Kindern heute im Internet schlechter denn je.
Natürlich wird es bei der Umsetzung des australischen Gesetzes grosse Probleme geben; Kinder und Jugendliche werden sicher versuchen, das zu umgehen. Aber ich denke, wir brauchen trotzdem beides: eine begleitete Kompetenzvermittlung und eine klare Regulierung der Social-Media-Industrie.
Wir haben ein Zigarettenverbot und ein Alkoholverbot für Kinder unter 14 Jahren, das würde keiner in Frage stellen. Wieso schützen wir die Kinder also nicht im Netz? Irgendwann können wir den Kindern keine Zeitlimits mehr geben oder ihren Zugang zum Internet reglementieren. Ab einem gewissen Alter lassen sie das nicht mehr zu. Aber bis dahin müssen wir sie schützen und hoffen, dass etwas von unseren Bemühungen fruchtet und sie einen einigermassen gesunden Umgang mit dem Smartphone lernen.