Erziehung als Eltern gemeinsam meistern
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Vater, Mutter, Eltern sein

Lesedauer: 5 Minuten

Erziehung heisst, sein Kind auf dem Weg zu einem selbständigen und zufriedenen Erwachsenenleben zu begleiten. Eltern stehen dabei vor der Herausforderung, sich auf gemeinsame Ziele und Regeln zu einigen. Teil 3 unserer Serie «Wie Familie gelingt».

Text: Annette Cina
Bilder: Adobe Stock

Damit ein Kind gesund aufwachsen kann, braucht es seine Eltern. Es braucht eine tragfähige Beziehung zu beiden Elternteilen. Und es braucht eine stabile und wohlwollende Begleitung und Erziehung. Eine Erziehung, die ihm Sicherheit gibt und es anleitet, wie es mit alltäglichen Schwierigkeiten und seinen Gefühlen langfristig selbständig umgehen kann.

Es braucht Eltern, die ihr Kind lieben und stärken. Dazu gehört auch, dass Eltern Grenzen setzen. Dann, wenn ein Verhalten das Kind gefährdet oder das Kind ein Verhalten entwickelt, das ihm Schwierigkeiten im Umgang mit anderen und sich selbst bereitet oder sein Wohlbefinden beeinträchtigt.

Erziehung orientiert sich stets an den Fähigkeiten und an der Persönlichkeit des Kindes.

Erziehung, verstanden als eine solche Begleitung des Kindes auf dem Weg zu einem selbständigen und zufriedenen Erwachsenen­leben, stellt eine ganz grosse Herausforderung dar. Es gilt dem Kind Erfahrungen zu ermöglichen und es zu schützen – und eine Balance zwischen beidem zu finden. Erziehung passiert in vielen kleinen Interaktionen mit dem Kind. Sie beinhaltet Zuwendung, Anerkennung, Lenkung, Kommunikation, Modellsein und noch vieles mehr. Erziehung passiert im Alltäglichen, oftmals nicht bewusst. 

Der Umgang mit dem Kind muss sich zudem immer wieder an dessen Entwicklungsstufe anpassen. Denn Erziehung orientiert sich stets an den Fähigkeiten und an der Persönlichkeit des Kindes. An der jeweiligen Situation. Am jeweiligen Befinden. 

Warum Konsistenz in der Erziehung wichtig ist

In der Erziehung wird häufig vom Begriff der Konsistenz gesprochen, welche das Kind braucht, damit es lernen kann, wer es ist, was es kann und wie es mit sich und der Welt umgehen soll. Konsistenz in der Erziehung bedeutet, dass in ähnlichen Situationen immer ähnlich reagiert wird. Im Handeln und in der Haltung.

Konsistenz in der Erziehung gibt einem Kind Überblick und Sicherheit.

Zu verstehen, wie Muster laufen und wie darauf reagiert werden kann, gibt einem Kind das Gefühl, Kontrolle und Einfluss zu haben. Es hilft ihm, Reaktionen einzuordnen: Das Kind weiss, dass eine Konsequenz droht, wenn es etwas Unerwünschtes tut. Es weiss, dass es für Zufriedenheit sorgt und allenfalls auch Anerkennung erhält, wenn es etwas tut, was die Eltern wollen. Es weiss, wie es die Eltern herausfordern oder beruhigen kann. Es kann selbst entscheiden, wie es sich verhalten will. So gibt Konsistenz einem Kind Überblick und Sicherheit, und konsistente Reaktionen der Eltern stärken sein Selbstbewusstsein.

Inkonsistentes Erziehungsverhalten zeichnet sich dagegen dadurch aus, dass die Handlungen und Aussagen der Eltern nicht miteinander übereinstimmen: Je nach Situation gelten andere Regeln, wird unterschiedlich reagiert.

Solch ein unstimmiges, widersprüchliches Mal-so-mal-so-Verhalten der Eltern macht es Kindern sehr schwer, die Reaktionen der Eltern vorwegzunehmen und sich darauf einzustellen. Sie sind oftmals orientierungslos. Inkonsistente Erziehung birgt ein deutlich erhöhtes Risiko für die Entwicklung von Verhaltensstörungen. Denn das Kind hat mit den Eltern kein verlässliches Gegenüber, an dem es lernen kann, das Verhalten anderer einzuschätzen und selbst Einfluss auf das Geschehen zu nehmen. 

Sollten Eltern ähnlich reagieren?

Eine gewisse Konsistenz ist aber nicht nur wichtig für das Kind, sie erleichtert auch den Eltern die Erziehung. Sobald Kinder gelernt haben, was die Eltern von ihnen erwarten und wie sie wahrscheinlich auf ein bestimmtes Verhalten reagieren werden, fällt ihnen das Einhalten von Regeln und Grenzen wesentlich leichter.

Es ist für die Entwicklung des Kindes wichtig, zu merken, dass gewisse Regeln gelten und dass die Eltern ähnliche Ziele verfolgen.

Damit das Kind lernen kann, was von ihm erwartet wird, sollte aber nicht nur jeder Elternteil für sich in seinem Verhalten konsistent sein, sondern auch beide in ähnlichen Situationen ähnlich reagieren. Beide Arten von Konsistenz sind für die Entwicklung des Kindes wichtig. Und: Verhalten sich nicht beide Eltern konsistent, erschweren sie sich die Erziehung ungemein.

Wenn der Vater einmal Ja, die Mutter aber Nein sagt – oder umgekehrt –, werden die Kinder dieses Hin und Her früher oder später ausnutzen und die Eltern gezielt gegeneinander ausspielen. Beim Streit zwischen den Eltern geht es sehr häufig um die Erziehung der Kinder und darum, was die beziehungsweise der andere hätte tun oder lassen sollen.

Einigkeit in der Erziehung macht stark

Um der Gefahr zu begegnen, dass im täglichen Miteinander zu viele Streitpunkte auftreten und Konflikte an der Tagesordnung sind, ist es daher wichtig, dass sich Eltern in den Grundzügen einig sind. Einigkeit macht stark! Sie ermöglicht es, dass sich Eltern gegenseitig unterstützen, einander helfen und verstehen.

Es ist für die Entwicklung des Kindes wichtig, zu merken, dass gewisse Regeln gelten und dass die Eltern gemeinsam erziehen und ähnliche Ziele verfolgen. Gleichzeitig sind Eltern zwei Individuen mit eigenen Erwartungen, Fähigkeiten, Erfahrungen und Geschichten. Eine absolute Konsistenz im Verhalten von zwei Personen ist schwierig, ja unmöglich zu erreichen.

Eine gemeinsame Linie zu vertreten heisst, dass man nicht alleine ist und beide Elternteile mittragen.

Aber vielleicht kommt es auch weniger darauf an, dass beide Elternteile die gleiche Sicht auf alle Dinge haben, als darauf, dass sie sich darin einig sind, auf welche Weise sie mit unterschiedlichen Meinungen umgehen wollen. Und sich auf eine gemeinsame Grundlinie einigen können, auch wenn sie nicht dasselbe denken. 

Eine gemeinsame Linie zu finden und zu vertreten, ist nicht immer einfach. Aber es lohnt sich: Frust und ständige Streitgespräche darüber, wer recht hat, können so vermieden werden. Damit die Zusammenarbeit gelingt, sind die folgenden Orientierungspunkte hilfreich:

1. Was wollen wir eigentlich?

Bei Erziehungsfragen ist es wichtig, dass Eltern sich bewusst sind, was sie vom Kind erwarten. Dahinter verborgen sind die Erziehungsziele der Eltern. Das Wohin der Erziehung beinhaltet viele Aspekte, die von persönlichen Werten, Erfahrungen und Wünschen nicht zu trennen sind. Es lohnt sich, darüber zu sprechen, was einem selber wichtig ist und was man sich für das Kind wünscht. Und zuzuhören, was der andere denkt.

Eltern werden merken, dass sie oftmals ähnliche Hauptziele haben. In der Regel wünschen sie sich, dass das Kind lernt, wie man mit anderen gut auskommt und Freunde findet, dass es sich ausdrücken kann, dass es lernt, mit Problemen und seinen Emotionen umzugehen. Was das Kind zu einem bestimmten Zeitpunkt braucht, sind dagegen die kurzfristigen Ziele, die sich immer wieder ändern können, da sich das Kind dauernd entwickelt und verändert und neue Situationen zu neuen Fragen führen. 

2. Wie wollen wir reagieren?

Wenn es Diskussionen über die Erziehung gibt, geht es meist darum, dass sich Eltern uneinig sind, wie der Weg zu diesen kurzfristigen Zielen aussehen soll. Wo müssen in einer neuen Situation Grenzen gesetzt werden und wo braucht das Kind Zutrauen?

Eltern müssen sich nicht in allem einig sein. Das Kind lernt dabei: Es ist okay, unterschiedlich zu sein.

Es lohnt sich, die Reaktion auf aktuelle Problemstellungen zu diskutieren und sich auf gewisse wichtige Punkte zu einigen. Eine gemeinsame Linie zu vertreten heisst, dass man nicht alleine ist und beide Elternteile mittragen. Dies macht Erziehung einfacher und gibt den Kindern Sicherheit. 

3. Nicht ständig kontrollieren

Wenn sich Eltern über die Grundregeln einig sind, sollten sie sich gegenseitig nicht immer wieder einmischen und kontrollieren. Derjenige, der mit dem Kind eine Situation löst, ist verantwortlich und regelt dies selber.

Sich einmischen in die Erziehung des anderen gibt demjenigen, der korrigiert und kontrolliert wird, das Gefühl, ungenügend zu sein. Dies birgt die Gefahr, dass sich diese Person aus der Erziehung der Kinder herausnimmt und die Verantwortung abgibt. Gleichheit zwischen den Eltern ist so nicht möglich.

Auch wenn der andere seinen Weg mit dem Kind etwas anders geht: Das Kind unterscheidet rasch, wer wie reagiert, und wird sich daran orientieren und sich dementsprechend verhalten. Lassen Sie den anderen Elternteil seine Beziehung zum Kind aufbauen und seine Erziehung üben. 

4. Es ist in Ordnung, ­unterschiedlich zu sein

Jeder Elternteil ist ein Individuum. Eltern müssen sich nicht in allem einig sein. Individualität und Eigenheiten sind in Ordnung. Lassen Sie sich gegenseitig etwas Freiraum, um den eigenen Weg zu gehen: Einigkeit trotz Verschiedenheit. Dies ermöglicht dem Kind, verschiedene Erfahrungen zu machen. Und das Kind lernt dabei: Es ist okay, unterschiedlich zu sein, Eigenständigkeit darf sein!

Annette Cina
arbeitet am Institut für Familienforschung und -beratung der Universität Fribourg. In ihrer eigenen Praxis berät die Psychologin, Psychotherapeutin und dreifache Mutter Jugendliche und Erwachsene. Zu ihren Forschungsschwerpunkten gehören unter anderem Prävention von kindlichen Verhaltensstörungen, Paarkonflikte, Kindererziehung und Stress.

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