«Ich muss für etwas brennen, sonst kommts nicht gut»

Aus Ausgabe
11 / November 2025
Lesedauer: 4 min
Ben*, 19, konsumierte Ecstasy, Koks, Hustensirup, Beruhigungsmittel und Alkohol – bis zum Zusammenbruch. Heute lebt der angehende Koch seine Experimentierfreude in der Küche aus und hat grosse Ziele.
Aufgezeichnet von Virginia Nolan

Bild: Marvin Zilm / 13 Photo

Es ist hart, wenn du immer an der Spitze warst und plötzlich ins Hintertreffen gerätst. In der Primarschule war ich Klassenbester gewesen, in der Sek musste ich auf einmal lernen – und wusste nicht, wie das geht. Manchmal versuchte mein Stiefvater stundenlang, mir etwas zu erklären, bis wir beide die Nerven verloren.

Ich müsse mich anstrengen, hiess es, mehr lernen statt gamen. Doch ich konnte büffeln, so viel ich wollte, Mathe ging mir nicht in den Kopf. Dass alle glaubten, ich sei faul, war frustrierend, auch schmerzhaft. Vielleicht wäre mein Weg anders verlaufen, hätte man damals rausgefunden, was los ist. Dann hätte ich die Diagnose ADHS und die damit verbundene Unterstützung früher bekommen.

Ich bin schüchtern, Tabletten und Alkohol machten es einfach, auf Leute zuzugehen.

Zu Hause gab es ständig Streit. Meine Mutter machte Druck wegen der Schule, war streng, was Handy- und Ausgehregeln betrifft. Ihr gefiel nicht, dass die Freunde aus der Sek kifften. Sie hatte Angst, wir könnten Härteres ausprobieren, samstagabends im Dorf. Heute weiss sie: Das Ganze war harmlos.

Erste Ecstasy-Pillen im Kinderzimmer

Ich verbrachte die Wochenenden nun öfter beim Vater in der Stadt. Er liess mir lange Leine. Ich lernte junge Leute kennen, die zusammen im Park abhingen. Alle konsumierten – nicht wenig und kein einfaches Zeug. Ich war neugierig. So kam ich zu meinen ersten Ecstasy-Pillen. Abends im Kinderzimmer, als alle schliefen, warf ich eine halbe ein. Dann noch eine. Es war, als träte ich in eine neue Dimension ein.

Nach dem Trip bemerkte ich, dass ich mir die Backen blutig gekaut hatte. Ich verhielt mich unauffällig, wiederholte am nächsten Abend dasselbe Szenario. Als ich tags darauf aus der Schule kam, hatte meine Mutter die Pillen gefunden. Sie rastete aus, war verzweifelt. Versuchte, mit noch mehr Strenge die Kontrolle zu behalten. Ich entzog mich ihr – und zog kurz vor meinem 15. Geburtstag zum Vater.

Am Wochenende schlug ich mir die Nächte um die Ohren. Das Benzodiazepin Xanax erleichterte mir den sozialen Anschluss. Ich bin schüchtern, Tabletten und Alkohol machten es einfach, auf Leute zuzugehen. Es folgte eine Phase, in der ich täglich bis zu zwei Xanax einwarf, die ich günstig bekam. Dann schloss ich Freundschaft mit einem, der kokste, und zack, war ich mittendrin.

Ich liess mich in die Psychiatrie einweisen, wo mein Kopf zur Ruhe kam.

Gefangen in einem Netz von Lügen

Kokainkonsum ist einfach zu verstecken. Das kam mir gelegen, ich hatte die Lehre begonnen. Den ersten Faden zog ich morgens. In der Freizeit mischte ich alles Mögliche: Xanax, Koks, Hustensirup, Alkohol. Das ging ins Geld. Ich musste Klamotten verkaufen und die Dinge drohten mir zu entgleiten. Es gelang mir immer schlechter, meinen Konsum zu verheimlichen. Ich war gefangen in einem Netz voller Lügen. Eines Morgens, auf dem Weg zur Arbeit, brach ich zusammen. Ich liess mich in die Psychiatrie einweisen, wo mein Kopf zur Ruhe kam.

Nach drei Monaten Klinik lernte ich meine heutige Ex-Freundin kennen. Sie hat mein Leben gerettet. Ich kam auf die Beine, suchte mir eine neue Lehrstelle, brach mit allen, die konsumierten. Im Kochberuf fand ich meine Leidenschaft. Die Küche ist keine Kuschelzone, du musst damit umgehen können, dass der Chef dein Gericht an die Wand knallt, wenn du es vergeigst.

Ich krampfe täglich elf Stunden und mehr, der Chef lässt mir allen Freiraum für eigene Ideen. Ich besuche die Talentklasse – ein Förderprogramm für Lernende mit besonderem Potenzial, das uns Einsätze in der Spitzengastronomie ermöglicht. Nächstes Jahr bin ich mit der Lehre fertig, dann gehts ins Ausland. Ich will in die Top-Häuser. Diesem Ziel ordne ich alles unter. Wenn ich nicht arbeite, schlafe ich. Ich bin einer, der auf Strom sein und für etwas brennen muss. Sonst kommts nicht gut. Für Drogen bleibt kein Platz. Eines weiss ich: Ich darf das Zeug nicht mehr in die Finger bekommen.

* Name geändert