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Wenn Kinder ausrasten: 4 No-Gos für Väter

Aus Ausgabe
12/01 Dezember/Januar 2025/2026
Lesedauer: 5 min
Wutausbrüche und aggressives Verhalten fordern Eltern stark. Besonders Väter meinen darauf mit Härte und Strenge reagieren zu müssen. Weshalb das nichts taugt.
Text: Stefanie Rietzler und Fabian Grolimund

Bild: Désirée Good / 13 Photo

Wenn das eigene Kind zu emotionalen Ausbrüchen und aggressivem Verhalten neigt, entstehen oft Konflikte zwischen den Eltern über den «richtigen Umgang» damit. Während typischerweise ein Elternteil dafür plädiert, dem Kind Verständnis entgegenzubringen und es zu unterstützen, pocht der andere auf Disziplin, Härte und Konsequenzen.

«Man darf das dem Kind nicht durchgehen lassen! Es muss auch Respekt lernen! Schluss mit dieser Kuschelpädagogik – es ist an der Zeit, mal ordentlich durchzugreifen!» Solche Aussagen hört man mehrheitlich von Vätern, die Einschüchterung, Drohen und Schreien als probate Erziehungsmittel an­sehen.

Wenn Sie sich in diesen Aussagen wiederfinden und auf «Kuschelpädagogik» allergisch reagieren, sollten Sie diese vier unbequemen Wahrheiten aufmerksam lesen:

1. Ein Mann, der seine Kinder durch Geschrei und Grobheit einschüchtert, vermittelt ihnen: «Aggressionen sind okay, solange sie sich gegen Schwächere richten.»

Ihr Kind beobachtet Sie und schaut sich bei Ihnen ab, wie man mit Konflikten, Überforderung, Wut und Frust umgeht. Jedes Mal, wenn Sie laut werden, Ihr Kind einschüchtern oder grob anfassen, dienen Sie ihm als Vorbild.

Dann liegt es für Ihr Kind nahe, mit dem kleinen Geschwister ähnlich zu verfahren oder in der Schule auf Schwächere loszugehen. Verschiedene wissenschaft­liche Studien weisen nach, dass ­Kinder, die in der Schule andere mobben, überzufällig häufig Eltern haben, die autoritär und wenig einfühlsam auftreten, die oft Strafen oder sogar Gewalt anwenden.

Wenn Sie Ihrem Kind gegenüber ausrasten, demonstrieren Sie nichts anderes als Ihre eigene emotionale Unreife.

2. Ein Mann, der ausrastet, wenn sein Kind tobt, erwartet von ihm mehr emotionale Reife als von sich selbst.

Das Gehirn eines Kindes und insbesondere die Zentren, die für die Regulierung von Gefühlen zuständig sind, reifen noch bis Mitte zwanzig aus. Deshalb werden Kinder immer wieder von Gefühlsstürmen mitgerissen. Sie hingegen sind erwachsen. Rasten Sie selbst aus, wenn Ihr Kind «ein Theater macht», so mögen Sie sich dabei vielleicht stark fühlen, weil das Kind jetzt kuscht und Ruhe gibt. In Wahrheit aber demonstrieren Sie nichts anderes als Ihre eigene emotionale Unreife.

Warum erwarten Sie von Ihrem Kind mehr als von sich selbst? «Aber mein Kind hat mich schliesslich auch provoziert», mögen Sie einwenden. Aber möchten Sie wirklich, dass Ihr Kind lernen muss, seine eigenen Gefühle schleunigst in den Griff zu bekommen oder herunterzuschlucken, um seinen jähzornigen Vater ja nicht aus der Fassung zu bringen?

3. Ein Mann, der nicht mit seinen Gefühlen umgehen kann, gibt diese Verantwortung an seine Familie ab und zwingt diese, auf Eierschalen um ihn ­herumzutänzeln.

Hatten Sie selbst ein Elternteil, das jederzeit explodieren konnte? Mussten Sie immer auf der Hut sein, wenn diese Person zu Hause war? Und falls ja: Wie war das für Sie als Kind? Möchten Sie diese Art von Beziehung auch zwischen Ihnen und Ihrem Kind?

Angeschrien und grob behandelt zu werden, lehrt Kinder keinen «Respekt», sondern Angst vor ihrem Gegenüber zu haben. Echter Respekt wächst aus Sicherheit und Vertrauen. Immer dann, wenn Kinder merken: An dieser Person kann ich mich ausrichten. Sie ist kompetent und ich fühle mich bei ihr sicher. Sie kommuniziert klar und zeigt ihre Grenzen ruhig und bestimmt. Auf ihr Wort kann ich mich verlassen. Ihr möchte ich nacheifern!

Sie untergraben dieses Empfinden, wenn Ihr Kind Sie als unbeherrscht erlebt und sich vor Ihrem Drohen, Schreien und Wüten fürchten muss. Wissenschaftliche Studien weisen nach, dass Kinder in diesem Klima deutlich häufiger Angststörungen und andere emotionale Probleme entwickeln.

Hätte ich mich gern als Vater? Wäre ich glücklich, wenn meine Tochter später einen Mann wie mich heiratet und mit ihm eine Familie gründet?

4. Ein Mann, der sich entzieht, wenn es schwierig wird, kreiert ein Vakuum, das andere füllen müssen.

Wenn das eigene Kind emotionale Herausforderungen oder Verhal­tens­auffälligkeiten zeigt, verabschieden sich manche Väter mit einem «Dieses Theater muss ich mir nicht geben! Macht euren Mist alleine!» aus der Verantwortung. In der Folge müssen andere für ihn in die Bresche springen, um den Laden am Laufen zu halten: die Partnerin, ältere Geschwisterkinder, Fachleute.

So finden sich beispielsweise bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die zu starken Aggressionen neigen oder gewalttätig und straffällig werden, neben Elternhäusern, die Gewalt vorleben, auch überzufällig viele Väter, die sich nicht um eine verlässliche Beziehung zum Kind bemüht haben.

Fragen Sie sich: Hätte ich mich gern als Vater? Wäre ich glücklich, wenn meine Tochter später einen Mann wie mich heiratet und mit ihm eine Familie gründet? Wünsche ich meinem Kind später einen Partner, der Probleme auf meine Art löst? Falls sich hier leichte Zweifel auftun: Was müsste anders sein, damit Sie voll und ganz Ja sagen können?

Zeigen Sie also echte Stärke, indem Sie:

  • der Ruhepol im Auge des Sturms sind
  • von Ihrem Kind nicht mehr erwarten als von sich selbst
  • die Person sind, auf die man sich verlassen kann, wenn es schwierig, unruhig und chaotisch wird
  • Ihrem Kind ein umsichtiger, geduldiger und vertrauenswürdiger Begleiter sind, den es sich gern zum Vorbild nimmt
  • die eigenen Baustellen erkennen und den Mut haben, sich Hilfe zu holen, wenn ungelöste Themen Ihre familiären Beziehungen belasten

Fordern Sie sich dabei ruhig heraus! Manche Männer setzen sich jährlich berufliche Ziele und arbeiten hart daran, sie zu erreichen. Aber wann haben Sie zuletzt sich oder Ihren Kindern zuliebe etwas verändern wollen?