Malina*, 35, ist Geografin und lebt mit ihrem Mann, 42, ihrem Sohn, 7, und ihrer Tochter, 4, im Kanton Zürich.
Unser Sohn hat ADHS und fast täglich Aggressionen und Wutausbrüche, vor allem wenn etwas nicht nach seinem Willen läuft; wenn er das Spielen unterbrechen muss, etwas kaputtgeht oder man ihn stört. Dann schreit er, gibt uns die Schuld, rennt durchs Haus, knallt Türen, wirft Gegenstände, schlägt oder boxt.
Er will dann nicht angefasst werden, braucht aber meine Nähe. Ich benenne seine Gefühle, etwa: «Ich sehe, das hat dich traurig und wütend gemacht. Das ist ein Seich, wenn etwas kaputtgeht, bei dem du dir Mühe gegeben hast – versteh ich.» Oft ruft er «Jaaa!» – ein Zeichen, dass er sich verstanden fühlt und sich langsam beruhigt.
Schwierige Übergänge
Wenn er zuschlagen will, bieten wir ihm an, in unsere Hände zu boxen oder aufs Trampolin zu gehen. Nur wenn ich ruhig bleibe, kann ich ihn begleiten. Wenn ich schreie, eskaliert es. Deshalb achten mein Mann und ich auf unsere Erholung, planen getrennte Ausflüge und ermöglichen einander Pausen.
Übergänge sind besonders schwierig. Wir kündigen sie ihm jeweils mit Timern an und geben ihm ein Mitspracherecht. Wenn das nicht reicht, setze ich den Schritt durch, erkläre aber gleichzeitig: «Ich sehe, du willst nicht aufhören zu spielen, aber ich bin verantwortlich, dass wir pünktlich sind.» So klappt es oft besser.
In der Garderobe vor dem Schulzimmer darf er als Erster oder Letzter raus, damit er mehr Ruhe hat und nicht in Konflikte geraten kann.
Was in der Schule hilft
In der Schule überfordert ihn der Trubel, früher schlug er dort auch zu. Manche Lehrpersonen beharrten auf Nulltoleranz, obwohl er sich ja nicht kontrollieren konnte! Eine andere Lehrperson verstand seine Not und suchte nach Lösungen.
Sie schlug dann vor, dass die Lehrer sich jeweils Zeit nehmen, um mit ihm seine Gefühle zu besprechen, beispielsweise vor und nach der Pause. Zusätzlich darf er sich beim Turnen und Schwimmen separat umziehen.
In der Garderobe vor dem Schulzimmer darf er als Erster oder Letzter raus, damit er mehr Ruhe hat und nicht in Konflikte geraten kann, wenn es ihm zu laut oder zu eng ist. Seither geht es besser, findet er mehr Anschluss.
«Ein Riesenchaos im Kopf»
In ruhigen Momenten sprechen wir über solche Situationen: Was hat ihn wütend gemacht? Was hätte geholfen? Er beschreibt ein «Riesenchaos im Kopf». Es tue ihm leid, wenn er zuschlage, aber er könne es nicht stoppen. Seine grösste Angst ist, nicht mehr gemocht zu werden. Er kennt seine Diagnose gut und sagt: «Mami, mein Hirn ist anders.» Für uns ist klar: Alle Gefühle sind okay, aber nicht jedes Verhalten. Daran arbeiten wir gemeinsam.
Schwierig sind die Reaktionen anderer Eltern. Daran sind sogar Freundschaften zerbrochen.
Mein Mann stammt aus einer anderen Kultur und wuchs mit anderen Werten auf. Anfangs war der Umgang mit den starken Emotionen unseres Sohnes für ihn schwer. In einer Elternberatung fanden wir gemeinsam einen Weg. Wir haben auch ein Codewort vereinbart, das wir uns sagen, wenn wir das Gefühl haben, dass der andere bald die Nerven verliert. Früher machten wir einander Vorwürfe, heute erkennen wir besser, wenn wir an unsere Grenzen kommen.
Schwierig sind die Reaktionen anderer Eltern. Viele glauben, alles liege an unserer «laschen» Erziehung. Daran sind sogar Freundschaften zerbrochen. Kaum jemand zeigt Mitgefühl, da unser Kind nicht das «Opfer» ist. Aber auch wir müssen gewisse Anlässe meiden, um andere und ihn zu schützen. Da wünschte ich mir mehr Verständnis statt Verurteilung!
* Name der Redaktion bekannt







