Wie geht es Ihnen, liebe Mutter, lieber Vater? Sie haben bereits mehr als die Hälfte der Adventszeit geschafft. Ich gratuliere Ihnen! Die vermutlich strengste Woche liegt noch vor Ihnen: Die letzten Weihnachtsaufführungen und -konzerte, Kerzenziehen, Backen, Fotokalender, Geschenke organisieren, Baum kaufen und schmücken, das Weihnachtsessen planen und vieles mehr. Was sich da nicht alles anhäuft!
Nehmen Sie sich auch jeden Dezember aufs Neue vor, dass Sie es diesmal ganz anders machen? Ruhiger und viel entspannter und dann rennen Sie doch wieder kreuz und quer durch die Gegend und finden nicht die geringste Sekunde für sich allein? Dann dürfen Sie zurücklehnen und sich vergewissern: Sie sind nicht allein. So wie Ihnen ergeht es den meisten Eltern.
Sie sind ein Wunder! Ihr Kind ist ein Wunder! Ist das nicht zum Staunen?
Willkommen im Eltern-Tiefseetauchboot
Ginge es auch anders? Ja, es ginge. Doch dafür ist es eine Woche vor Weihnachten zu spät. Das schauen wir uns ein andermal an. Das hier ist ein SOS-Sprungbrett für Sie. Ich möchte Sie dazu einladen, mit mir abzutauchen. In diesen Text hinein, tiefer und immer tiefer, wie ein langer, wohliger Seufzer oder wie ein weisser Kieselstein, der langsam auf den Grund eines Sees sinkt.
Wo auch immer Sie gerade sind: Lassen Sie Ihren Blick einen Moment lang schweifen. Lassen Sie ihn weich werden und blicken Sie einfach ins Leere. Ihr Kiefer ist entspannt, Ihre Stirn und Ihre Schultern ebenfalls.
Atmen Sie tief ein und mit einem grossen Seufzer wieder aus. Machen Sie das noch dreimal. Sehr schön. Seien Sie herzlich willkommen in unserem Eltern-Tiefseetauchboot, wo Sie in den nächsten fünf Minuten rein gar nichts müssen und einfach nur mit mir staunen dürfen.
Licht in der dunkelsten Jahreszeit
Denn darum geht es doch an Weihnachten ganz fest: Um dieses Staunen. Im religiösen Kontext ist es das Staunen über die Geburt von Jesus. Dieses grosse Wunder, dass Gott Mensch wird und dass dieser göttliche Funke in jedem Menschen seinen Ausdruck findet: Sie sind ein Wunder! Ihr Kind ist ein Wunder! Ist das nicht zum Staunen?
Im astronomischen Kontext ist es die Zeit der Wintersonnenwende. In der dunkelsten Jahreszeit schwingt das Pendel am 21. Dezember wieder hin zu mehr Licht, zu längeren Tagen. Wir drängen uns der Frühlingssonne entgegen. Weihnachten gestalten wir daher auch als Lichterfest. Wir holen Licht rein in die dunkelsten Tage.
Vergessen Sie nie: Sie sind CEO von rund 36 Billionen Angestellten. So viele Zellen besitzen wir. Ist das nicht genial?
Und sind das nicht wunderbar kuschlige Momente, wenn wir es uns im Kerzenschein gemütlich machen? Das Licht einer Flamme, ob von einer Kerze oder an einem offenen Feuer, hat auf Kinder wie Erwachsene eine magische Wirkung.
Wie wäre es mit einem Spaziergang mit Fackeln an Heiligabend? Oder mit Schlangenbrot bräteln an einem offenen Feuer?
Eine kleine Körperreise
Mögen Sie sich noch an das Gefühl erinnern, wie Weihnachten für Sie als Kind war? Das Kribbeln auf der ganzen Haut, die geröteten Wangen, die grossen Augen? Was gefällt Ihnen am Weihnachtsritual noch heute, und worüber staunen Sie auch sonst?
Was mich mich immer wieder zutiefst beeindruckt, ist unser genialer Körper, der jede Sekunde, jede Minute, jede Stunde, ja Tag und Nacht für uns arbeitet. Sollten Sie gerade eine Jobkrise haben, dann vergessen Sie nie: Als Mann sind Sie CEO von rund 36 Billionen, als Frau von rund 28 Billionen Angestellten. So viele Zellen besitzen wir. Ist das nicht genial?
Was da alles passiert, allein in unseren Organen, ist wirklich zum Staunen! Unser Herz zum Beispiel schlägt rund 100 000 Mal pro Tag und bewegt 7000 Liter Blut. Unsere Lunge tauscht täglich ungefähr 12 000 Liter Luft aus. Eine gesunde Leber kann sich auch mit nur einem Drittel Volumen wieder regenerieren und sie filtert jede Minute eineinhalb Liter Blut.
Und wussten Sie, dass 90 Prozent der Serotonin-Produktion, unseres Glückshormons, in unserem Darm gebildet wird? Der Darm, dieses geniale Organ, ist ja sowieso unser zweites Gehirn mit eigenem Nervensystem und massgeblich für unsere psychische Gesundheit zuständig. Er ist unser Stimmungs-Manager. Das wissen wir spätestens seit «Darm mit Charme», dem Bestseller von Julia Enders.
Wir könnten noch über unsere Haut, Magen, Milz, Nieren und weitere Organe staunen. Oft tun wir es erst, wenn Probleme auftauchen. Tun Sie es jetzt und so oft es geht zwischendurch! Das Bewusstsein für unseren phänomenalen Körper immer wieder wachzukitzeln, lässt mich das ganze Jahr über staunen und erfüllt mich mit grosser Dankbarkeit.
Vielleicht purzeln Ihnen gerade ein paar geniale Ideen durch den Kopf, und Sie staunen über sich selbst, ihren Mut und was alles möglich wäre.
Wenn Weihnachten wehtut
Vielleicht war Weihnachten in Ihrer Kindheit aber auch eher schwierig und Ihre Gefühle dazu sind gar nicht so rosig oder ziemlich gemischt. Denn egal in welcher Familienkonstellation: Durch überhöhte Erwartungen und gärende Konflikte kann das Fest der Liebe schnell in ein Fest der Kriege kippen. Auch da wären Sie nicht allein.
Wie gut können Sie gemischte Gefühle erkennen und kommunizieren? Wo liesse sich Druck rausnehmen? Wie könnten Sie Ihre Erwartungen herunterschrauben? Wäre es hilfreich, das Fest in diesem Jahr ganz anders zu gestalten?
Vielleicht purzeln Ihnen gerade ein paar geniale Ideen durch den Kopf, und Sie staunen plötzlich über sich selbst, Ihren Mut und was alles möglich wäre. Wer weiss, wer weiss. Seien Sie Ihr eigenes Weihnachtswunder! Wie fühlt sich das für Sie an?
Was mir immer hilft: Weniger ist mehr. Das heisst, möglichst viele Termine in den Januar schieben und den Dezember nicht unnötig vollstopfen. Wir wissen: Er füllt sich praktisch von alleine.
Eine ungewöhnliche Weihnachtsgeschichte
Zum Abschluss möchte ich Ihnen eine Weihnachtsgeschichte mitgeben, die vermutlich aus der Ukraine stammt. Wie stehen Sie zu Spinnen? Mögen Sie diese Tiere oder empfinden Sie Ekel? Wie geht es Ihrem Kind damit? Nach dieser Geschichte, so hoffe ich, werden Sie ein ganz anderes Bild unserer achtbeinigen Freunde haben und auch noch Ihren Enkelkindern erzählen, wie das Lametta auf den Weihnachtsbaum kam.
Ich wünsche Ihnen von Herzen lebensfrohe und besinnliche Weihnachten!
Die Weihnachtsspinne
Sie kümmerten sich liebevoll um das kleine Pflänzchen und schmiedeten Pläne, wie sie es für das grosse Fest schmücken würden. Doch als Weihnachten sich näherte, sagte die Mutter: «Liebe Kinder, wir sind zu arm und können uns keinen Schmuck für den Weihnachtsbaum leisten». An Heiligabend gingen sie traurig zu Bett. Die winzigen Äste des Baumes blieben kahl und leer.
In der Nacht aber machten sich die Spinnen des Hauses an ihr Werk. Sie hatten das Schluchzen und Jammern der Kinder gehört und wollten sie trösten. Sie spannten so lange Fäden wie noch nie zuvor und webten komplizierte Netze mit wunderschönen Mustern um den Baum.
Ganz früh am Weihnachtsmorgen erwachten die Kinder und entdeckten den geschmückten Baum. «Mutter, Mutter, wach auf und sieh dir den Baum an. Wie wunderschön er ist!» Die Witwe wusste nicht, wie ihr geschah, und sie stand auf, um den Baum mit den Kindern zu bewundern. Der kleine Baum war über und über mit den schönsten Spinnennetzen geschmückt.
Langsam fanden die ersten Sonnenstrahlen ihren Weg über den Boden vor ihrer Hütte. Lautlos berührte ihr Schein die Fäden der Netze und verwandelte einen nach dem anderen in Silber und Gold. Der Baum funkelte und schimmerte und war noch schöner als zuvor.
Von diesem Tag an, so erzählt es die Legende, hat es der Familie nie mehr an etwas gefehlt. Und wir schmücken unsere Bäume immer noch mit Lametta.







