«Wir entwickeln unsere eigene Familienkultur»

Aus Ausgabe
10 / Oktober 2025
Lesedauer: 2 min
Juliana Nikolla-Llukes spürte als Kind die Melancholie ihrer Eltern, die einst aus dem Kosovo in die Schweiz gekommen waren und immer hofften, eines Tages in die Heimat zurückzukehren. Ihr Mann Niko stammt ebenfalls aus dem Kosovo. Das Paar möchte seinen drei Kindern den Loyalitätskonflikt ersparen, in dem sie selbst steckten.
Aufgezeichnet von Seraina Sattler

Bild: Rita Palanikumar / 13 Photo

Sozialarbeiterin Juliana Nikolla-Llukes, 40, und ihr Mann Niko, 45, Architekt, leben mit ihren Kindern Jon, 4, Zana, 7, und Andre, 9, in Winterthur ZH.

Meine Eltern waren 20 Jahre alt, als sie in den 1980er-Jahren aus dem ehemaligen Jugoslawien in die Schweiz zogen. Mein Vater hatte im Kosovo studiert und dachte, er könne sein Studium hier fortsetzen. Doch das war nicht möglich und so arbeitete er – und später auch meine Mutter – in einer Fabrik. Bald sassen meine Eltern fest in einem Alltag mit Schichtarbeit und der Betreuung von drei Kindern.

Das Leben, das meine Eltern führten, entsprach nicht dem, was sie sich vorgestellt hatten. Sie hatten Heimweh. Als Kind spürte ich diese grosse Melancholie. Es war immer ein Thema, dass wir eines Tages in den Kosovo zurückkehren könnten. Bei mir führte das dazu, dass ich mich unbewusst nicht zu stark in der Schweiz verwurzeln wollte und keine tiefen Beziehungen einging.

Sind wir Albaner oder Schweizer? Darauf gibt es keine einfache Antwort. Meinem neunjährigen Sohn habe ich  vorgeschlagen, zu sagen, er sei Winterthurer. Das  findet er gut.

Weil ich wusste, wie wichtig meinen Eltern ihr Herkunftsland war, traute ich mich nicht, zu sagen, dass meine Heimat hier in der Schweiz war. Ich war in einem Loyalitätskonflikt. Diesen möchte ich meinen Kindern ersparen. Ich möchte ihnen vermitteln, dass sie sich nicht entscheiden müssen. Sie dürfen die Schweiz und den Kosovo gerne haben. Sind wir Albaner oder Schweizer? Darauf gibt es keine einfache Antwort. Meinem neunjährigen Sohn habe ich vorgeschlagen, zu sagen, er sei Winterthurer. Das findet er gut.

Nicht so streng mit sich selbst sein

Als ich ein Kind war, sprachen wir zu Hause ausschliesslich Albanisch. Sagten meine Brüder oder ich ein Wort auf Deutsch, mussten wir einen Franken von unserem Sackgeld abgeben. Als wir selbst Eltern wurden, war es ein grosses Thema für Niko und mich, welche Sprache wir mit unseren Kindern sprechen wollten.

Ich merkte, dass Albanisch Teil meiner Identität ist, dass ich die Sprache aber nicht perfekt beherrsche. Ich entschied, nicht so streng zu sein mit mir. Heute sprechen wir mal Albanisch, mal Schweizerdeutsch und manchmal auch alles durcheinander. Gewisse Wörter wie Tannzapfen oder Specht weiss ich nicht auf Albanisch, dann sage ich sie halt auf Deutsch. Wir haben unsere eigene Familienkultur entwickelt.

Das ist das Schöne: Ich kann selbst entscheiden, welche Aspekte der kosovarischen Kultur ich leben möchte und welche nicht. Ich koche zum Beispiel gerne Gerichte aus der Heimat meiner Eltern. Bohneneintopf zum Beispiel, der ist sehr lecker!