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«Ich hätte nicht gedacht, dass ich mal so werde wie mein Vater»

Aus Ausgabe
10 / Oktober 2025
Lesedauer: 2 min
Als Teenager hat sich Ursula Kotecha über die altmodischen Werte ihrer Eltern genervt. Doch als sie selbst Mutter wurde, hat sie diese automatisch übernommen.
Aufgezeichnet von Seraina Sattler

Bild: Rita Palanikumar / 13 Photo

Lehrerin Ursula Kotecha, 49, lebt mit ihrem Mann Martin, 59, IT Security Consultant, und der gemeinsamen Tochter Sofie, 9, im Kanton Aargau. Die drei erwachsenen Kinder von Martin kommen regelmässig zu Besuch. Früher fand Ursula ihre Eltern altmodisch. Seit sie selbst Mutter ist, merkt sie, dass sie deren Werte weitergeben möchte.

Mein Vater war Inder, meine Mutter kommt aus dem Appenzellerland. Das war in den 1980er-Jahren, in denen ich aufwuchs, aussergewöhnlich. Mein Vater fiel optisch auf und war dadurch im Fokus der Aufmerksamkeit. Er wollte nichts falsch machen, war immer sehr korrekt und hielt sich an alle Regeln. Das habe ich übernommen.

Natürlich wäre es nicht schlimm, wenn ich mal falsch parkieren würde oder so. Doch die Angst, dass jemand sagt: «Typisch Ausländerin!», ist in mir drin und diesen Satz möchte ich nicht hören. Auch meiner Tochter gegenüber poche ich darauf, dass Regeln eingehalten werden – in der Öffentlichkeit, aber auch zu Hause.

Pünktlichkeit, Anstand, Verlässlichkeit sind Werte, die mich als Teenager genervt haben. Ich lachte darüber, wie altmodisch meine Eltern waren. Doch jetzt als Mutter habe ich diese Werte automatisch übernommen. Ich hätte nicht gedacht, dass ich mal werde wie mein Vater – aber es stimmt einfach so für mich!

Ich wünschte, mein Mann wäre auch etwas weniger leger in der Erziehung. Er sagt: «Meine älteren drei Kinder sind gut herausgekommen, also wird es schon recht sein, wie ich es mache.» Das stimmt. Und doch sehe ich es anders und übernehme die Rolle der Strengen.

Es gibt keine Prägung durch meine Eltern, die ich loswerden möchte.

Meine Eltern vermittelten mir, dass ich gut bin, wie ich bin. Sie erwarteten nicht, dass ich die Beste, Schönste oder Schnellste war. Meine Mutter sagt auch heute zu meiner Tochter, die Coiffeuse werden will: «Mach das! Jede Arbeit ist wichtig. Wenn du sie mit Stolz ausführst, ist alles gut.» Nicht alle müssen ins Gymnasium – selbst wenn sie es könnten.

Übernommen habe ich auch die transparente Kommunikation meiner Eltern. Als kulturell gemischtes Paar mussten sie vieles ausdiskutieren. Sie sprachen Klartext, damit es weniger Missverständnisse gab.

Es gibt keine Prägung durch meine Eltern, die ich loswerden möchte. Vielmehr finde ich es schade, dass ich eine weitere Fähigkeit von ihnen nicht geerbt habe: Entscheidungen zu fällen. Ich schwanke oft lange Zeit zwischen Ja und Nein. Meine Eltern entschieden und waren dann zufrieden damit.