«Absagen gehören dazu»

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Ein Bewerbungsprozess ohne Rückschläge ist selten. Wie Jugendliche und ihre Eltern am besten mit Absagen umgehen können, weiss Berufsberaterin Tanja Tanner.
Interview: Susanna Valentin

Bild: Adobe Stock

Frau Tanner, wie sollen Eltern reagieren, wenn ihr Kind immer wieder Absagen erhält? 

Zuerst muss die Frage gestellt werden: Was sind überhaupt viele Absagen beziehungsweise wie viele Absagen sind in einem Bewerbungsverfahren für eine Lehrstelle völlig normal? 

Kennen Sie die Antwort? 

Das Nahtstellenbarometer, ein statistisches Erfas­sungssystem des Staatssekretariats für Bildung, Forschung und Innovation, erfasst jährlich die Zahlen. So brauchte es im Jahr 2024 im Durchschnitt zehn Bewerbungen, bis ein Lehrvertrag unterschrieben werden konnte.

Worauf man im Bewerbungsprozess achten muss: Interview mit Tanja Tanner
Tanja Tanner ist gelernte Sekundarlehrerin und arbeitet seit einigen Jahren in der Berufs- und Laufbahnberatung Düdingen FR. Dort berät sie Jugendliche im Übergang ins Berufsleben. Berufsbegleitend hat sie den Master der Berufs-, Studien- und Laufbahnberatung absolviert. (Bild: zVg)

Das heisst im Umkehrschluss, dass bis dahin auch neun Absagen im Briefkasten oder Mail-Postfach landeten. Wie gesagt, das ist ein Durchschnittswert. Entsprechend sind die Absagen auch nicht «gerecht» verteilt. Die einen erhalten mehr, die anderen weniger. 

Das heisst, ich kann mich als Mutter entspannt zurücklehnen, wenn die fünfte Absage im Briefkasten landet? 

Nein, Sie sollten die Situation ernst nehmen, so wie der ganze Bewerbungsprozess ernst genommen werden sollte. Denn es geht ja dem Sohn oder der Tochter wahrscheinlich auch nicht sehr gut, wenn er oder sie immer wieder Absagen erhält. Das ist jedes Mal mit Enttäuschung verbunden und kann negative Gefühle auslösen.

Was kann die Folge sein?

Die Reaktionen können je nach Persönlichkeit ganz unterschiedlich sein. Die einen nehmen jede Absage persönlich und lassen sich schnell verunsichern. Das kann im schlimmsten Fall dazu führen, dass sie sich immer weniger zutrauen. Im Jugendalter sind Zweifel sowieso präsent, Absagen können diese natürlich noch verstärken. Vielleicht sind sie auch verunsichert, weil ihnen der Grund für die Absage nicht mitgeteilt wurde.

Eltern können dem Kind negative Erfahrungen nicht abnehmen, aber es darin begleiten.

Und die anderen? 

Andere sind in ihrer Persönlichkeit selbstsicher und fassen eine Absage als Part of the Game auf. Das ist es, was wir aufgrund des Wissens, dass Absagen zur Lehrstellensuche gehören, auch in der Berufsberatung vermitteln. 

Welche Rolle nehmen Eltern dabei ein?

Eltern sind sowieso wichtig, in Momenten der Niederlage umso mehr. Im Idealfall sind Mütter und Väter die wichtigsten Bezugspersonen im Berufswahlprozess. Das heisst umgekehrt aber auch, dass ein wichtiger Grundpfeiler für die Jugendlichen fehlt, wenn sie nicht dabei sind. 

Angenommen, mein Sohn gehört zu denjenigen, die schon die zwanzigste Absage erhalten haben. Was dann? 

Wichtig ist es, Empathie zu zeigen und einfühlsam mit der Situation umzugehen. Vielleicht hilft es, von eigenen Rückschlägen zu erzählen. Man sollte dabei aber nicht aus der Elternrolle fallen. Eltern können ihrem Kind diese negative Erfahrung nicht abnehmen, aber sie können es darin begleiten. Genauso wie sie im ganzen Bewerbungsprozess eine – sehr wichtige – Begleitfunktion übernehmen. Wenn mir Eltern in einem Beratungsgespräch sagen: «Wir haben uns dort beworben», schrillen bei mir die Alarmglocken. Das ist zwar gut gemeint, die Elternrolle sollte aber im Bewerbungsprozess eine begleitende Rolle bleiben. Genauso verhält es sich auch bei den Absagen.

Welche Reaktion ist bei Absagen unsinnig?

Zentral ist, als Eltern nicht in Stress zu verfallen, sodass nur noch die Berufswahl im Raum steht. Sonst wird die Lehrstellensuche wahnsinnig negativ behaftet. Ungünstig oder sogar schlecht ist alles Abwertende, negative Aussagen gegenüber der oder dem Jugendlichen, die noch mehr verunsichern. Auch Vergleiche mit Geschwistern, bei denen der Bewerbungsprozess reibungsloser verlaufen ist, sollten nicht gezogen werden. Ebenso sind Hilfestellungen wie «Die Firma hier im Dorf sucht noch jemanden, mach doch das!» zwar gut gemeint, aber als Reaktion genauso falsch. Daraus, einfach mal irgendetwas zu machen, entsteht keine nachhaltige Lösung.

Es gibt gute Zwischenlösungen, wenn es im ersten Anlauf nicht mit einer Lehrstelle klappt.

Was ist dagegen hilfreich?

Auch bei einer Absage sollte der zeitliche Berufswahlfahrplan im Auge behalten werden. In welcher Phase sind wir ungefähr? Das ist die Richtschnur, die Sicherheit gibt. Mit dem eigenen Kind kann die Motivation gepflegt werden, indem es darin bestätigt wird, dass es sich angestrengt hat. «Du hattest sogar schon ein Vorstellungsgespräch!», ist aufmunternd, auch wenn es danach eine Absage gab.

Dann kann das Dossier überprüft werden. Vielleicht gibt es irgendwo Lücken oder Unklarheiten, die nochmals überarbeitet werden müssen. Oder es macht Sinn, einen Termin in der Berufsberatung zu vereinbaren. Stärke ist, nicht zu lange zu warten, sondern Unterstützung anzunehmen. Manche Jugendliche nehmen auch einen Umweg, treten dafür später eine Stelle gereifter an.

Wenn sie anstelle einer Lehre eine Zwischenlösung ­antreten? 

Bekanntlich wächst das Gras nicht schneller, wenn man daran zieht. Manche Jugendliche brauchen einfach etwas länger, um für die Berufswahl reif zu sein. Es gibt gute Zwischenlösungen, wenn es im ersten Anlauf nicht mit einer Lehrstelle klappt. Sie können in diesem Jahr zum Beispiel an Fertigkeiten arbeiten, die für ihren Berufswunsch relevant sind, und so im nächsten Jahr ihre Chancen erhöhen. Oder einen leistungsstärkeren Abschluss nachholen, wenn das Leistungsniveau nicht den Anforderungen des Berufswunsches entspricht. Ich empfehle überdies allen, schon zu Beginn des Bewerbungsprozesses einen Plan A und einen Plan B bereitzuhalten. 

Weshalb? 

Es gibt Gebiete, in denen es schlicht schwieriger ist, Lehrstellen zu finden, weil es weniger gibt. Im gestalterischen Bereich ist es zum Beispiel schwieriger, einen Ausbildungsplatz zu ergattern. Dann ist der Plan A vielleicht direkt die Lehrstelle als Polydesignerin 3D und der Plan B ein verwandter Beruf. Auch wenn der Leistungsnachweis nicht zu den Anforderungen der Lehrstelle passt, gibt es Möglichkeiten: Dann gibt es einzelne Berufe in verschiedenen Anforderungsniveaus oder EBA-Lehrstellen mit der Aussicht, im Anschluss die Ergänzung zur EFZ-Lehre zu absolvieren. Die Optionen sind so vielfältig, dass es sich lohnt, auch nach einer Absage am Ball zu bleiben.