Der beste Tag seines Lebens
Jeder Mensch feiert einmal im Jahr Geburtstag – die Plüschkatze unseres Sohnes neunzigmal. Alle zwei Wochen stehen wir vor ihrem Lager und singen «Happy Birthday», während uns das verfranzte Vieh aus seinen leblosen Augen anstarrt, als wollte es sagen: «Bitte hört auf damit. Das ist demütigend für uns alle.»
Natürlich geht es gar nicht um die Katze. Es ist unser Sohn, der sehr gerne neunzigmal im Jahr Geburtstag hätte. Als sein Vater und damit autoritärste Person im Raum (abgesehen von der Katze) fühlte ich mich verpflichtet, ein Machtwort zu sprechen: Einmal im Jahr genügt. Dafür schlug ich vor, bei uns zu Hause eine Party mit all seinen Freunden zu veranstalten. Die Katze hätte das niemals durchgehen lassen.
«Freunde» ist ja ein dehnbarer Begriff. Und so lud unser Sohn nicht einfach nur seine besten Spielkameraden ein, sondern sämtliche Kinder, die es gibt. Dazu Eltern, unangemeldete Babygeschwister und tonnenweise Plastikgeschenke. Einfach die perfekte Party, wenn man ein grosses Haus mit ausladendem Garten besitzt.
Nun, wir haben leider keinen ausladenden Garten. Wir haben überhaupt keinen Garten. Unsere Wohnung verfügt bloss über einen Minibalkon, den wir am Tag der Party jedoch verschlossen hielten, um zu verhindern, dass sich die Kinder davon herunterstürzten, nachdem sie den Tisch mit den «gesunden Sachen» gesehen hatten.
War das für meine Eltern auch so ein Stress, oder ist dieses fortlaufende Burnout typisch für unsere Generation, für die Gelassenheit eine Form des Versagens darstellt?
Mississippi-Cake zum Vierten
Die Vorbereitungen waren anstrengend und hätten beinahe das Ende unserer Ehe bedeutet. «Wenn wir das schaffen, schaffen wir alles», rief ich meiner Frau zu, nachdem mir der Mississippi-Cake gerade zum dritten Mal misslungen war. (Ich habe gehört, dreimal sind normal. Nach dem vierten gescheiterten Versuch muss man zum Psychiater.)
Meine Frau konnte jedoch nicht antworten, da sie beim Aufblasen der Ballondekoration gerade in Ohnmacht gefallen war. Ich würde sie wiederbeleben, sobald ich die Schatzkarte fertig gezeichnet hatte.
Wie war das eigentlich früher gewesen, fragte ich mich plötzlich. Wir hatten damals doch auch Partys mit vielen Gästen gefeiert. War das für meine Eltern auch so ein Stress gewesen, oder ist dieses fortlaufende Burnout typisch für unsere Generation, für die Gelassenheit eine Form des Versagens darstellt?
Kinder nehmen natürlich alles etwas anders wahr. Meine Eltern sind mir damals wie liebenswürdige Schatten vorgekommen, die wie Hotelpagen oder Museumswärter in einem Winkel der Party auf ihren Einsatz warteten. Ist das ein gutes Zeichen? Vielleicht gilt für Eltern ja dasselbe wie für Schiedsrichter im Fussball: Bemerkt man sie nicht, haben sie einen guten Job gemacht.
Wenn unser Sohn in dreissig Jahren beim Psychiater auf seine Eltern angesprochen wird, soll er sagen: «Meine Eltern? Ich kann mich gar nicht erinnern.» Zugegeben, ein schwieriges Unterfangen – für ein Einzelkind. In einer kleinen Wohnung. Mit aus Sicherheitsgründen verschlossenem Balkon.
Die Nano-Familie
Die Kleinfamilie gilt ja bekanntlich als Brutstätte des Wahnsinns. Wir aber sind noch kleiner als klein. Wir sind eine Nano-Familie. Das Einzige, was da hilft: haufenweise Leute einladen. Kinder, die nicht wir gezeugt haben.
Die Party war denn auch ein voller Erfolg. Niemand stürzte zu Tode, nur wenige mussten sich übergeben. Die Kinder hassten meinen Kuchen, aber die Eltern liebten mein Gazpacho (oder taten zumindest so). Und als unser Sohn am Ende schläfrig im Bett lag, meinte er: «Das war der beste Tag meines Lebens.» Strike! Wir waren schon halb hinausgehuscht, als wir seine Stimme hinter uns hörten: «Können wir das nächste Woche wieder machen?»