In vielen Schweizer Gemeinden sind die Schulhäuser in die Jahre gekommen. Gleichzeitig sorgt das anhaltende Bevölkerungswachstum für einen Mangel an Schulraum. Oft entsprechen ältere Gebäude nicht mehr den heutigen Anforderungen an einen modernen Unterricht, der Flexibilität und vielfältige Lernformen ermöglichen soll.
Für Gemeinden bedeutet die Schulraumplanung daher nicht nur eine grosse organisatorische und finanzielle Herausforderung, sondern auch eine wertvolle Chance: Im besten Fall kann sie der Ausgangspunkt für eine umfassende Schulentwicklung sein.
Durchlässiges Schulmodell
Genau das geschah in zwei ländlichen Gemeinden im oberen Emmental. Ausgangspunkt war die Erkenntnis, dass das bisherige separative Sekundarstufenmodell nicht mehr zeitgemäss war. Bis dato wurden Schülerinnen und Schüler mit höherem Anforderungsprofil (Sekundarstufe) in einem separaten Schulhaus unterrichtet, während die Jugendlichen der Realstufe an den Aussenstandorten blieben. Diese Trennung führte zu einer klaren örtlichen und sozialen Abgrenzung zwischen den beiden Anforderungsgruppen.
Ein Schulneubau ist weit mehr als ein Bauprojekt – er ist ein Entwicklungsprozess.
Unter Einbezug aller Beteiligten – Bevölkerung, Eltern, Lehrpersonen, Schulleitungen und Behörden – wurden neue Eckpfeiler für die künftige Schulorganisation erarbeitet. Ziel war es, den Zyklus 3 (Sekundarstufe I) in einem gemeinsamen Oberstufenzentrum zu vereinen und ein durchlässiges Schulmodell zu schaffen.
Deutsch, Mathematik und Französisch sollten künftig in leistungshomogenen Niveaugruppen unterrichtet werden. Alle anderen Fächer besuchen die Jugendlichen in ihren Stammklassen, in welchen beide Schultypen gemischt sind (Sek und Real).
Schule der Zukunft beginnt im Kopf
Bis ein neuer Schulraum tatsächlich entsteht, ist Geduld gefragt. Politische und planerische Prozesse sind oft langwierig und komplex. Zunächst muss ein Architekturbüro bestimmt werden, das eine Machbarkeitsstudie erstellt – erst dann kann ein Planungskredit gesprochen werden.
Neben der Frage nach dem Raumbedarf stellt sich auch die nach den pädagogischen Anforderungen an die Architektur. Diese haben sich in den letzten Jahren stark verändert – nicht zuletzt durch den neuen Lehrplan. Moderne Lehr- und Lernformen erfordern flexible Raumkonzepte, die eigenständiges Arbeiten, Gruppenlernen und Coaching ermöglichen. Wer sich in dieser Phase mit der Frage beschäftigt, wie zeitgemässes Lernen aussehen soll, erkennt schnell: Ein Schulneubau ist weit mehr als ein Bauprojekt – er ist ein Entwicklungsprozess.
Auf der Suche nach Inspiration besuchten Vertreterinnen und Vertreter der Gemeinden zwei Schulen im Kanton Aargau, die bereits mit sogenannten Lernlandschaften arbeiten. Dieser Besuch war ein Wendepunkt: Fortan waren alle Beteiligten überzeugt, dass auch das neue Oberstufenzentrum über solche offenen Lernräume verfügen soll – Orte, an denen Schülerinnen und Schüler selbstorganisiert lernen und von Coaches individuell begleitet werden.
Dieses Unterrichtsmodell bereitet Jugendliche optimal auf ihre berufliche Zukunft und weiterführende Schulen vor. Es fördert Selbstverantwortung und Eigenmotivation und ermöglicht eine individuelle Förderung – zum Nutzen sowohl der leistungsstärkeren als auch der lernschwächeren Schülerinnen und Schüler.
Der lange Weg der Umsetzung
Nachdem das Architekturbüro auserkoren worden war, ging es an die konkrete Planung und Finanzierung. Der Baukredit – die grösste Investition, die die beiden Gemeinden je tätigten – musste von der Bevölkerung genehmigt werden. An zwei Gemeindeversammlungen mit rekordhoher Beteiligung sowie in einer Urnenabstimmung wurde das Projekt deutlich bis einstimmig angenommen. Dieses Votum war ein starkes Zeichen der Unterstützung und eine wertvolle Bestätigung für all die Arbeit, die bereits geleistet worden war.
Nun begann die eigentliche Umsetzungsphase. Neben der Baukommission war vor allem die Schule stark gefordert: Raumkonzept, Unterrichtsorganisation und Möblierung mussten miteinander harmonieren. Da der Unterrichtsbetrieb parallel weiterlief, fühlte sich das Ganze an wie ein Radwechsel am fahrenden Auto.
Die Umgebung bietet Raum für Konzentration, Austausch und individuelle Förderung – und macht Lernen zu einem aktiven, selbstbestimmten Prozess.
Die Lehrpersonen trafen sich monatlich zu halbtägigen Planungssitzungen und Weiterbildungen. Eine externe Beratung unterstützte das Team dabei, Prozesse zu koordinieren, Entscheidungen vorzubereiten und blinde Flecken zu vermeiden – eine wertvolle Hilfe in dieser intensiven Zeit.
Trotz der vielen Herausforderungen verliefen sowohl der Bau als auch die pädagogische Konzeption planmässig und im Kostenrahmen. Die Vielzahl an Entscheidungen und Abstimmungen erforderte eine klare und verlässliche Kommunikation. Informationsveranstaltungen, Newsletter und eine ständig aktualisierte Website hielten Bevölkerung, Eltern und Mitarbeitende stets auf dem Laufenden.
Freude und Spannung bei allen Beteiligten
Mit dem Ende des Schuljahres rückte der grosse Moment näher: der Umzug in das neue Schulhaus. Die Kräfte mussten gut eingeteilt werden – niemand läuft einen Marathon im Tempo eines 100-Meter-Sprints. Als die Türen des neuen Oberstufenzentrums schliesslich öffneten, waren Freude und Spannung bei allen Beteiligten spürbar. Rund 140 Jugendliche und 20 Lehrpersonen zogen in die neuen, modernen Räumlichkeiten ein und füllten sie sofort mit Leben.
Der Unterricht in den beiden je 300 Quadratmeter grossen Lernateliers funktionierte von Beginn an wie geplant. Trotz 70 Arbeitsplätzen pro Atelier herrscht dank einer konsequenten Flüsterkultur eine ruhige Lernatmosphäre.
Ein Wandel, der vielerorts ansteht
Im sogenannten Marktplatz stehen den Lernenden zudem zahlreiche alternative Arbeitsplätze zur Verfügung – Stehtische, Sitzhocker, Sofas und sogar eine Seilbahnkabine. Gemeinsam mit den angrenzenden Impulsräumen ist so eine Umgebung entstanden, die konsequent auf die Prinzipien des selbstorganisierten Lernens ausgerichtet ist. Sie bietet Raum für Konzentration, Austausch und individuelle Förderung – und macht Lernen zu einem aktiven, selbstbestimmten Prozess.
Schulen sind längst nicht mehr bloss Lernorte, sondern Lebensräume, die Kinder und Jugendliche wachsen lassen – geistig und persönlich.
Was als Schulraumerweiterung begann, hat sich zu einem umfassenden Schulentwicklungsprojekt gewandelt. Die Gemeinden haben nicht nur neue Räume geschaffen, sondern eine neue Lernkultur ermöglicht – offen, individuell und zukunftsorientiert.
Das Oberstufenzentrum im oberen Emmental steht damit exemplarisch für einen Wandel, der vielerorts ansteht: Schulen sind längst nicht mehr bloss Lernorte, sondern Lebensräume, die Kinder und Jugendliche wachsen lassen – geistig und persönlich.







