Wie Placebo den Alltag mit Kindern verzaubern kann
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Wie Placebo den Alltag mit Kindern verzaubern kann

Lesedauer: 4 Minuten

Der Placebo-Effekt beeinflusst nicht nur unsere Gesundheit. Er sorgt auch für mehr Magie und Leichtigkeit im Familienalltag, schreibt Autorin Debora Silfverberg und teilt ihre liebsten Tricks.

Text: Debora Silfverberg
Bild: Adobe Stock

Meine jüngere Tochter ist sechs Jahre alt, als ich sie am Morgen aufwecke und ein bisschen Glitzer auf ihren Augenlidern entdecke. «Hattest Du einen bösen Traum?», frage ich. Sie nickt. Auf ihrem Nachttisch steht ein kleines Döschen, gefüllt mit glitzerndem Pulver. Es hält Albträume und Monster fern. Selbstverständlich darf sie uns nachts jederzeit rufen. Diesmal hat sie sich jedoch mit einer Prise «Sternenstaub» selbst geholfen. Sternenstaub gibt es in keiner Apotheke und keinem Laden zu kaufen, und doch wirkt er Wunder.

Vom Wanderarzt zum Scharlatan

Haben wir ein neues Heilmittel entdeckt? Oder bewegen wir uns im Reich der Quacksalber? Der Begriff «Quacksalver» stammt übrigens aus dem Mittelalter. «Quack» leitet sich vermutlich vom mittelniederländischen Wort «quacken» ab, was so viel wie plaudern oder prahlen bedeutet. Es beschrieb das Feilbieten von Waren oder Diensten. «Salver» bezieht sich auf medizinische oder vermeintlich heilende Salben, welche Quacksalber häufig verkauften. 

Placebos wirken auch, wenn Patienten wissen, dass kein Wirkstoff drin ist.

Sie waren als Heilkundige oder Wanderärzte unterwegs, ihnen fehlte jedoch meist eine formale medizinische Ausbildung. Ihre Heilmittel priesen sie auf Märkten oder in Dörfern lautstark an. Mit dem wissenschaftlichen Fortschritt der Arzneikunde entstanden strengere Regeln für medizinische Praktiken. Die Bedeutung des Begriffs «Quacksalber» wandelte sich. Er wurde zum Synonym für Scharlatane oder Pfuscher, die zweifelhafte oder unwirksame Heilmittel verkaufen, um sich an der Verzweiflung kranker Menschen zu bereichern.

Placebo: Die Kraft der Scheinmedikamente

Das heisst nicht, dass ein wenig «quacken» rund um die Salbe grundsätzlich schlecht wäre. Ein medizinischer Bereich, der in den letzten Jahrzehnten an Wichtigkeit gewann, ist die Placebo-Forschung. «Placebo» nennt man ein Scheinmedikament. Der Placebo-Effekt beschreibt die positive Wirkung einer Behandlung auf die Gesundheit, welche allein durch den Glauben daran entsteht.

Placebo: Mutter mit Sohn beim Arzt
Die Placebo-Forschung zeigt: Eine Spritze wirkt stärker, wenn sie von einer Ärztin gesetzt wird, als wenn ein Pfleger sie verabreicht. (Bild: Adobe Stock)

Unsere Erwartungen an eine Heilmethode beeinflussen den Verlauf einer Krankheit. Dies geschieht bei positiven genauso wie bei negativen Gefühlen, zum Beispiel der Angst vor Nebenwirkungen. Im Gegensatz zur positiven Wirkung des Placebo-Effekts sorgt beim Nocebo-Effekt allein die Erwartung negativer Folgen dafür, dass wir diese tatsächlich spüren. Selbst in der Schulmedizin spielt es eine Rolle, wer Arzneimittel in welcher Form verabreicht. Eine Spritze wirkt stärker, wenn sie von einer Ärztin gesetzt wird, als wenn ein Pfleger sie verabreicht. Rote Tabletten sind potenter als weisse, Kapseln helfen besser als Tabletten.

Placebos wurden besonders intensiv erforscht bei körperlichen Schmerzen und Magen-Darm-Beschwerden. Sie wirken vor allem bei Leiden, die eng mit der Psyche zusammenhängen. Ursprünglich wurde angenommen, Placebos funktionieren nur dann, wenn Patienten glauben, ein echtes Medikament zu erhalten. Neuere Studien zeigen jedoch: Placebos wirken auch, wenn Patienten wissen, dass kein Wirkstoff drin ist.

Heilmittel, die der Seele guttun

Was hat das alles mit «Sternenstaub» zu tun? Sternenstaub besteht zwar bloss aus Glitzer, trotzdem bescherte eine Prise davon meinem Kind eine ruhigere Nacht – ganz ohne Nebenwirkungen. Er funktionierte besonders gut, weil er in einem speziellen Döschen aufbewahrt wurde und wir eine schöne Geschichte darum herum gewoben hatten.

Im Familienalltag werden viele bewährte Hausmittel angewendet, die nicht immer den strengen Anforderungen eines Goldstandard-Doppelblindtests genügen. Manchmal ist kaum eine Wirksamkeit nachzuweisen, die über den Placebo-Effekt hinausgeht.

Die Sugus in den Zwergennestli schmeckten viel besser als gewöhnliche. Auch wenn wir wussten, dass die Grossmutter sie hineingelegt hatte.

Ein warmer Quarkwickel gegen Bronchitis oder Essigsocken bei hohem Fieber sind jedoch verbunden mit Fürsorge und Zuwendung. Das macht Kranksein besser erträglich. Es tut gut, bei Halsweh und Husten zusätzlich etwas wärmendes Thymianöl auf die Brust zu reiben und einen Seidenschal zu tragen. Das Wissen über solche Heilmittel wurde oft über Generationen weitergegeben oder uns von einer Person empfohlen, der wir besonders vertrauen. Die positive Beziehung spielt dabei eine wichtige Rolle für den Heilungsprozess.

Das Geheimnis der «Zwergennestli»

Für mich geht der Placebo-Effekt über die körperliche Gesundheit hinaus. Als Kind bauten wir im Garten unserer Grossmutter «Zwergennestli». Wir gestalteten kleine Kreise aus Tannzapfen und dekorierten sie mit Moos und Blumen. Irgendwann kamen wir zurück und fanden Sugus (farbige Kaubonbons) darin. Die Zwerge hatten sie für uns dagelassen. Wir wussten natürlich alle, dass unser Grossmutti sie heimlich hineingelegt hatte. Diese Bonbons schmeckten jedoch viel köstlicher und machten uns glücklicher, als wenn wir sie einfach so bekommen hätten.

Selbstverständlich führte ich auch meine Kinder in das Geheimnis der «Zwergennestli» ein. Denn die lieben Zwerge belohnen auch heute noch Menschen, die für sie ein hübsches Nest bauen, mit kleinen Schätzen. Probieren Sie es aus – nicht nur die Kinder haben Spass dabei.

Placebo in der Adventszeit

In der westlichen Welt, in der Religion eine immer kleinere Rolle spielt, fehlt es zuweilen an besonderen Geschichten, Traditionen und Ritualen, die den Alltag aufhellen und Sinn stiften.

Gerade die Weihnachtszeit öffnet den Zugang zu alten Erzählungen und Bräuchen. Auch Atheisten und Nicht-Christen können das Lichterfest feiern, dessen Ursprung in der Antike liegt. Jede Familie lebt dabei verschiedene Traditionen. Die sich jährlich wiederholenden Dekorationen, Gebäcke, Lichter und Gewürze sprechen alle Sinne an. Sie verleihen der Adventszeit ihre besondere Bedeutung.

Meine inzwischen 14- und 16-jährigen Töchter putzen am Abend vor dem 6. Dezember immer noch jedes Jahr ihre Schuhe und stellen sie vor die Tür, mit einem Guetsli für den Samichlaus und einem Rüebli für den Esel. Jedes Jahr füllen wir Eltern die Schuhe mit Nüssen und Schokolade. Wir lassen jeweils ein paar Brösmeli übrig und beissen ein Eselbiss-grosses Stück aus dem Rüebli, als Beweis für den nächtlichen Besuch. Die ganze Familie freut sich gemeinsam über die Magie, die am Morgen auf alle überspringt.

Etwas Magie macht den Alltag leichter

Den Sternenstaub brauchen meine Töchter schon lange nicht mehr. Sie seien ein wenig enttäuscht gewesen, als sie herausfanden, dass keine echten Sterne drin waren, erzählen sie mir. Übel nehmen sie es uns jedoch nicht. 

Verstehen Sie mich richtig: Es geht nicht darum, Kindern einen Bären aufzubinden und sie mit Lügengeschichten um den Finger zu wickeln. Die Heimwehtablette im Lager wirkt auch dann, wenn das Kind weiss, dass es nur ein Bonbon ist. 

Es geht um mehr Leichtigkeit, Spielerei und Magie im Familienleben. Spätestens wenn die letzten Lichter am Weihnachtsbaum erlöscht sind und der Alltag wieder beginnt, können wir diese gut gebrauchen. 

Debora Silfverberg
hat viele Jahre als Fach- und Leitungsperson in der Familien- und Sozialpsychiatrie gearbeitet. Seit 2020 ist sie mit ihrem Mann und den beiden Töchtern in verschiedenen Ländern Europas unterwegs und schreibt als freie Journalistin und Autorin über gesellschaftliche Themen.

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