Wie geht es dir? Wie war es in der Schule? Hast du die Hausaufgaben gemacht? Was hast du heute vor? Warum bist du die ganze Zeit am Handy? Wie funktioniert Tiktok? Weshalb bist du traurig?
Eltern wird oft geraten: Bleibt mit euren Kindern im Gespräch, stellt Fragen. Manchmal öffnet sich daraufhin ein Fenster und sie können die Welt durch die Augen einer Zwölfjährigen sehen. Häufig aber erhalten sie nur eine einsilbige Antwort, ein Augenrollen oder ihre Frage führt direkt in den nächsten Streit mit dem Teenager.
Kinder und Jugendliche haben feine Antennen und merken schnell, was Erwachsene mit ihren Fragen bezwecken.
Kinder und Jugendliche verfügen über feine Antennen und merken schnell, was Erwachsene mit ihren Fragen bezwecken: ob ein echtes Interesse dahintersteckt – oder sie eine Absicht verfolgen. Im durchgetakteten Familienalltag sind viele Fragen zielgerichtet. Kinder und Jugendliche sollen etwas verstehen, erledigen oder gar ihr Verhalten ändern.
Fragen sind bei Eltern ein beliebtes Mittel, eine Aufforderung oder Belehrung etwas weniger hart wirken zu lassen. «Warum lässt du deinen Schulthek immer im Gang liegen?» Solche Fragen vermitteln den Eindruck, die Kinder könnten sich einbringen und mitentscheiden – auch wenn dies nicht der Fall ist.
«Der Körper ist das beste Messinstrument, um eine Frage und die Absicht dahinter einzuordnen», sagt Daniel Bindernagel. Der Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie mit eigener Praxis in St. Gallen hat durch seine tägliche Arbeit viel Erfahrung mit Fragen.
Wer eine Frage als Angriff oder als zudringlich empfindet, wechselt vom Annäherungsmodus schnell in den Verteidigungsmodus. «Wenn ich mich ausgefragt fühle, krampft sich der Körper zusammen, Atmung und Herzschlag ändern sich.» Deshalb ist auch die alltägliche Floskel «Wie geht es dir?» aus Bindernagels Sicht kein optimaler Gesprächseinstieg. Denn für die meisten Menschen ist es schwierig, über Gefühle zu reden. «Besser ist es, nach Tätigkeiten oder Erlebnissen zu fragen», so Bindernagel. «Dann werden wir lebendig und landen bei Themen, die uns am Herzen liegen.» Zum Beispiel, wenn die Tochter erzählen kann, wie sie am Morgen pflotschnass durch den Regen gefahren ist und was sie dabei erlebt hat.
Echtes Interesse als Basis
Kurz, konkret, einfach und offen sind Fragen gemäss Daniel Bindernagel idealerweise. Noch wichtiger aber ist die Haltung des Fragenden: ein tiefes Interesse am Gegenüber. Wer wirklich etwas erfahren möchte, darf keine eigene Agenda verfolgen, sondern muss offen sein und sich darauf einlassen, was der andere erzählen möchte – auch wenn das Gespräch in eine unerwartete Richtung führt. Bindernagel sagt: «Das Grundprinzip ist, möglichst viel Steuerung dem anderen zu überlassen und inhaltlich mit ihm mitzugehen.»
Die passende Frage im richtigen Moment zu stellen, ist uns nicht in die Wiege gelegt – und doch ist es eine Fähigkeit, die wir tagtäglich brauchen. Deshalb beginnen wir bereits im Säuglingsalter intensiv zu trainieren. Zuerst ist es nur ein fragender Blick des Neugeborenen, auf den die Eltern mit einem Lächeln reagieren. Später kommt ein glucksender Laut oder eine Geste hinzu und das Kind erfährt, dass es zum ersten Mal einer Katze gegenübersitzt, einen Apfel gekostet hat oder dass es sich bei den kalten weissen Flocken um Schnee handelt.
Es liegt an den Eltern, herauszufinden, was sich hinter einer Frage des Kindes verbirgt.
Mit den ersten Wörtern eröffnet sich eine neue Welt des Fragens: Mama? Papa? Brot? Glas? Was wahlweise bedeuten kann: Wo ist sie? Kannst du kommen? Ist Kuchen gleich Brot? Darf ich das haben? Im Normalfall erhalten die Kinder darauf eine Antwort und erfahren: Ihnen wird zugehört, ihre Äusserungen rufen eine Reaktion hervor.
In mehreren Büchern hat sich Daniel Bindernagel mit der Gesprächsführung zwischen Eltern und Kindern auseinandergesetzt. Er sagt: «Am Anfang ist nicht der Inhalt wichtig, sondern es zählen der Klang und der Rhythmus von Geplauder und Pausen, das Hin und Her, das sind die Grundlagen für ein gutes Gespräch – auch später.»
6 Tipps für gute Gespräche
- Reden in Bewegung: Machen Sie einen Spaziergang – bei Nacht oder mit einer Glace in der Hand lassen sich auch Jugendliche eher dazu überzeugen. Und wenn alles nichts nützt, setzen Sie sich aufs Velo oder ins Auto. In Bewegung spricht es sich leichter und man muss sich nicht direkt anschauen, sondern kann den Blick schweifen lassen. Auch gemeinsame Aktivitäten bieten eine gute Gelegenheit für ein verbindendes Gespräch: beim Kuchenbacken, Fussballspielen oder auf einem Ausflug.
 - Schönes vor Problemen: Wollen Sie Ihre Kinder von einer neuen Seite kennenlernen, ihren Gedanken folgen und erfahren, was sie bewegt? Fragen Sie, was ihnen Spass macht oder was sie Schönes erlebt haben. Es kann gut sein, dass Probleme und Schwierigkeiten dann automatisch zur Sprache kommen.
 - Lieber kurz als lang: Kultivieren Sie das Zuhören. Das muss nicht lang sein. Lieber fünf Minuten voll präsent als eine Viertelstunde nur mit halbem Ohr bei der Sache. Und halten Sie sich mit Problemlösungen und Ihrer Lebenserfahrung zurück – insbesondere Teenager mögen keine Vorträge.
 - Keine Warum-Fragen: Wer nach dem Warum gefragt wird, muss sich erklären, vielleicht sogar rechtfertigen. Das fühlt sich nicht gut an. Bewährte Alternativen zur Warum-Frage: Was hat dich motiviert, das zu tun? Was sind deine guten Gründe?
 - Respektieren Sie ein Nein: Jugendliche wollen mitbestimmen. Wenn sie keine Lust haben, verschieben Sie das Gespräch besser. Aber bleiben Sie dran: Formulieren Sie Ihr Bedürfnis, dann stehen die Chancen gut, zu zweit einen späteren Zeitpunkt zu vereinbaren.
 - Echte Fragen oder klare Ansagen: Entscheiden Sie sich bewusst, ob Sie den Dialog suchen oder ob es Ihnen um eine erzieherische Massnahme geht. Wählen Sie entsprechend einen guten Zeitpunkt, ein passendes Setting und die richtige Technik – Fragen sind nicht immer der ideale Einstieg.
 
Mit drei, vier Jahren kommen die Kinder in die sogenannte Warum-Phase. Dann gibt es kein Halten mehr, alles wird zur Frage: Warum ist es dunkel? Warum können Vögel fliegen? Warum haben Bäume Blätter? Dahinter steht nicht nur Wissensdurst, sondern es ist auch eine Möglichkeit, sein Staunen über das Leben auszudrücken, sich mitzuteilen und Schritt für Schritt einen Platz in der Welt zu finden.
«Je jünger das Kind ist, desto vielfältiger sind die Motive hinter einer Frage», erklärt Bindernagel. Manchmal gehe es schlicht darum, eine Reaktion bei den Zuhörern zu provozieren. Es liegt an den Eltern, herauszufinden, was sich hinter einer Frage verbirgt.
Fragen braucht Sicherheit und Mut
«Vertrauen und Zutrauen hängen beim Fragen ganz eng zusammen. Wer darauf vertraut, gehört zu werden, entwickelt Selbstvertrauen sowie ein Gefühl von Selbstwirksamkeit und traut sich, etwas zu fragen», sagt Marianne Kleiner. Sie hat ihr gesamtes Berufsleben an der Schule verbracht, als Lehrerin, Schulleiterin und in der Lehrerbildung.
Wenn Kinder in die Schule kommen, bringen sie bereits eine Menge mit. Die einen stellen viele Fragen – die anderen fast keine. «Dann muss die Schule genau hinschauen», ist die Pädagogin überzeugt. «Vielleicht ist ein Kind vom Charakter her eher zurückhaltend, vielleicht braucht es aber auch mehr Unterstützung.»
Denn für den Lernerfolg sind Fragen immens wichtig. Seit Marianne Kleiner vor knapp fünfzig Jahren in den Lehrberuf eingestiegen ist, hat sich der Stellenwert des Fragens im Unterricht gewandelt. Früher galt die Lehrperson als allwissend, sie leitete die Klasse an. Heute erforschen die Kinder den Stoff selbst. Sie stellen sich Fragen und versuchen Lösungen zu entwickeln. Die Lehrperson ist dabei Impulsgeberin sowie Anlaufstelle bei Schwierigkeiten. Indem sie nachfragt, sind die Schülerinnen und Schüler gefordert, ihre Überlegungen in Worte zu fassen. Dadurch erkennen sie eigene Denkfehler, etwa beim Lösen einer Matheaufgabe.
«Fragen darf man immer», findet Kleiner. Das gilt auch ausserhalb des Unterrichts und nicht nur für Kinder, sondern auch für Erwachsene. Allerdings soll man der Antwort dann nicht aus dem Weg gehen. «Wenn ich etwas frage, dann bin ich ganz Ohr», so Kleiner. Zuhören also – ein weiteres Zauberwort für eine gelingende Eltern-Kind-Beziehung, viel beschworen in der Ratgeberliteratur und im Alltag doch so schwierig umzusetzen.
Nonverbale Signale beachten
Daniel Bindernagel spricht denn auch von «präsentem Zuhören»: sich nicht ablenken lassen von endlosen To-do-Listen und dem Summen des Telefons, sondern aufmerksam den Worten des Kindes folgen. Und anstatt sofort eigene Ideen und Ratschläge einzubringen, lieber den Gedankenfluss am Laufen halten mit kurzen, einfachen Zwischenfragen: Wie ist das für dich? Wie machst du das? Wie funktioniert das?
Auch feine Nuancen in der Sprachmelodie transportieren wichtige Informationen und signalisieren, wo sich Nachfragen lohnt. Marianne Kleiner erinnert sich an die Situation mit einer Schülerin, die nach einem Zwischenfall auf ihre Fragen zweimal mit einem missmutigen «Pfhhhh» antwortete. Kleiner jedoch erkannte einen feinen Unterschied in der Betonung des Wortes und hakte nach. Die Schülerin reagierte erstaunt, dass ihre Schulleiterin offenbar so genau hingehört hatte. Sie fühlte sich ernst genommen, was die Tür zu einem verbindenden Gespräch öffnete.
Wer darauf vertraut, gehört zu werden, entwickelt ein Gefühl von Selbstwirksamkeit.
Marianne Kleiner, Schulleiterin
«Ich lasse mich nicht so schnell abspeisen», meint Kleiner. Aber wenn das Gegenüber nicht reden wolle, müsse man das respektieren – im besten Fall kann man zusammen schweigen. Gerade für Eltern kann es schwierig sein, wenn ihre Kinder nicht mehr alles mit ihnen teilen möchten.
Daniel Bindernagel rät in solchen Situationen, die eigenen Bedürfnisse zu formulieren: Mich beschäftigt das Thema. Können wir da mal drüber sprechen? «Ich-Botschaften und eine kurze offene Frage, aber ja keinen Vortrag halten, da schalten vor allem Jugendliche auf Durchzug», weiss er.
Türöffner in der Krise
Doch welche Rolle spielen Fragen, wenn es wirklich darauf ankommt? Am Krisen-, Abklärungs-, Notfall- und Triagezentrum der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich (Kant) werden Kinder und Jugendliche betreut, die in akuten Krisen stecken, von Suizidalität über Ängste oder Essstörungen bis zu ungewollten Schwangerschaften.
Hier arbeitet Vesna Garstick seit rund dreieinhalb Jahren als leitende Psychologin: «Die erste Frage ist ganz einfach: Was bringt die Kinder und Jugendlichen zu uns?» Es folgen konkrete Fragen zu Symptomen, zur Geschichte und zu den Familienverhältnissen.
Es gibt keine richtigen oder falschen Fragen, es geht immer um Beziehung und Vertrauen.
Vesna Garstick, Psychologin
Auch das Thema Suizidalität wird direkt angesprochen. «Bezugspersonen haben oft Hemmungen, darüber zu reden, oder befürchten, es könnte die Situation verschlimmern», sagt Garstick. Dabei sei ein Gespräch oft entlastend. Bei schwierigen Themen stellt die Psychologin auch gern unerwartete Fragen. Zum Beispiel, welche Vorstellungen die Jugendlichen mit dem Tod verbinden. Die Fantasie öffnet Räume und bietet fruchtbare Gesprächsansätze.
«Es gibt keine richtigen oder falschen Fragen, kein einfaches Rezept, sondern es geht immer um Beziehung und Vertrauen», betont Garstick. In der Notfalleinrichtung gilt deshalb dasselbe wie zu Hause: Präsenz und authentische Neugier. Sich alles erklären lassen und Mitgefühl zeigen – und sich gleichzeitig nicht von Emotionen mitreissen lassen. «Die Kinder und Jugendlichen müssen sich darauf verlassen können, dass sie mir alles anvertrauen können und ich es aushalte, nicht bagatellisiere und nicht zusammenbreche», so Garstick.
Ebenso wichtig: Timing und Setting. Das beginnt damit, wie man sich hinsetzt: lieber nicht frontal, sondern in einem seitlichen Winkel und relativ nah beisammen. Viel läuft nonverbal ab. Wenn das Gespräch stockt, hilft manchmal schon eine kurze Pause, frische Luft, etwas zu trinken.
Hin und wieder wundern sich Eltern, wie viel die Mitarbeitenden des Kant in kurzer Zeit erfahren. Einerseits profitieren sie von der Schweigepflicht, andererseits laufen sie kaum Gefahr, mit ihrer Nähe einzuengen oder belastende Muster zu wiederholen. «Wenn sich Menschen sicher fühlen, beginnen sie zu erzählen», weiss Vesna Garstick.
Im Moment entspannt, auf Dauer hartnäckig, so liesse sich das ideale Verhalten von Eltern beschreiben.
Ihr Tipp: Gotti, Götti, eine Nachbarin oder ein Freund der Familie finden vielleicht einfacher den Zugang zu einem verschlossenen Teenager. Gerade in stürmischen Zeiten sei es wichtig, die Kommunikation aufrechtzuerhalten, betonen die Fachleute, auch wenn es dann besonders schwierig ist. Zum Beispiel in der Pubertät. «Timing ist bei Jugendlichen das A und O», sagt Vesna Garstick. Wenn Eltern nicht den richtigen Moment erwischen und die Jugendlichen abblocken, lieber ein anderes Mal einen neuen Anlauf nehmen.
Jugendliche brauchen uns punktuell
Im Moment entspannt, auf Dauer hartnäckig, so liesse sich das ideale Verhalten von Eltern beschreiben. Daniel Bindernagel und Marianne Kleiner betonen ausserdem, dass die Chancen für ein echtes Gespräch steigen, wenn nicht die Probleme im Scheinwerferlicht stehen, sondern das, was den Jugendlichen Spass macht. «Eine gute Frage ist eine, auf die ich gerne antworte», ist Bindernagel überzeugt.
Und auch Vesna Garstick liegt noch etwas am Herzen: «Take your chances!» Suchen Jugendliche das Gespräch, sollte man die Gelegenheit unbedingt nutzen – auch wenn es unpassend ist, weil man aus dem Haus will, die Küche noch nicht aufgeräumt ist oder man ins Bett möchte. «Dann müssen wir uns zusammenreissen und unsere Energiereserven mobilisieren», sagt Garstick. Die Jugendlichen brauchen uns mehr, als wir denken, aber halt nur noch punktuell. Umso wichtiger sind diese kurzen Augenblicke.
Noch (mehr) Fragen?
- Daniel Bindernagel: Ich höre Dir zu. Gute Gespräche im Alltag. Carl-Auer Verlag 2023, 128 Seiten, ca. 28 Fr.
Der Autor zeigt, wie wir unsere Kommunikation mit einfachen Mitteln verbessern können und welche Rolle dabei Fragen und Zuhören spielen. Mit Beispielen, Anregungen und Übungen. - Ralph Caspers: 99 harmlose Fragen für überraschende Unterhaltungen zwischen Eltern und Kindern. Duden 2020, 208 Seiten, ca. 19 Fr.
Der Moderator von «Die Sendung mit der Maus» und Vater von drei Kindern präsentiert unkonventionelle Fragen – und regt mit seinen eigenen Gedanken zum gemeinsamen Sinnieren an. - Ulrike Döpfner: Der Zauber guter Gespräche. Kommunikation mit Kindern, die Nähe schafft. Julius Beltz 2019, 243 Seiten, ca. 19 Fr.
 








