So wichtig sind gesunde Beziehungen für Kinder

Aus Ausgabe
10 / Oktober 2025
Lesedauer: 7 min

So wichtig sind gesunde Beziehungen für Kinder

Eine gute Eltern-Kind-Beziehung trägt entscheidend zum Wohlbefinden eines Heranwachsenden bei – und das über die Kindheit hinaus.
Text: Laura Bechtiger, Plamina Dimanova

Bild: Unsplash

Positive Beziehungen unterstützen die Entwicklung und die psychische Gesundheit von Kindern. Wir – zwei Wissenschaftlerinnen aus unterschiedlichen Disziplinen – beleuchten aus der Perspektive unserer jeweiligen Forschungsgebiete, wie gesunde Beziehungen in der Kindheit entstehen und wie sie sich auf das spätere Leben auswirken.

Aus Sicht einer Entwicklungspsychologin

Die Entwicklung eines Kindes vollzieht sich in einem komplexen Zusammenspiel aus Biologie, emotionaler und kognitiver Psychologie, Gesellschaft und dem weiteren Umfeld. Die exakte Wirkung jedes einzelnen dieser Faktoren ist noch nicht vollständig geklärt.

Eltern, die unter hohem Stress leiden, sind weniger empfänglich für die Bedürfnisse ihrer Kinder.

Laura Bechtiger

Aber die Forschung hat über Jahrzehnte immer wieder gezeigt, dass unterstützende Beziehungen ein Schlüsselelement bei der Entwicklung eines Kindes sind. Ausserdem haben sie einen positiven Effekt auf ihre Gesundheit im Erwachsenenalter. So können sie beispielsweise präventiv im Hinblick auf die Entstehung psychischer Probleme oder auf Suchtmittelmissbrauch wirken.

Eltern, die sensibel auf die Bedürfnisse ihrer Kinder eingehen, legen das Fundament für die gesunde Entwicklung und das Wohlbefinden ihrer Kinder, was sich längerfristig bis ins Jugendalter und ins junge Erwachsenenalter auswirken kann. Eltern, die unter hohem Stress oder starken depressiven Symptomen leiden, sind weniger empfänglich für die Bedürfnisse ihrer Kinder und reagieren harscher, wenn Kinder sich danebenbenehmen.

Sie bekunden auch öfter Mühe mit den zahlreichen Aufgaben, die Eltern von kleinen Kindern haben. Werden Stress und depressive Symp­tome der Eltern reduziert, verbessert sich deren Wohlbefinden. Sie verhalten sich bei der Erziehung unterstützender, was die Eltern-Kind-Beziehung stärkt.

Freundschaften werden wichtig

Sobald Kinder in die Schule gehen, werden Beziehungen zu Gleichaltrigen immer wichtiger. In der Pubertät werden Freundschaften zu einer wichtigen Quelle für emotionale Unterstützung. Freundschaften unter Jugendlichen zeichnen sich durch gegenseitiges Vertrauen und persönliche Selbstoffenbarung aus. So lernen Kinder grundlegende sozio-emotionale Fähigkeiten wie zum Beispiel das Wahrnehmen von Emotionen im Gegenüber.

Dabei entwickelt sich ihre Fähigkeit, mitzufühlen, die Perspektive des Gegenübers einzunehmen und Konflikte zu lösen. Die Qualität der Freundschaften im Jugendalter hängt mit dem Wohlbefinden im Erwachsenenleben zusammen. Wer zum Beispiel als Teenager tiefe Freundschaften gepflegt hat, führt später tendenziell bessere enge und romantische Beziehungen. Es geht diesen Menschen auch generell besser, psychisch und sogar körperlich.

Allerdings sind die grundlegenden Entwicklungsprozesse, die unterstützende Freundschaften mit psychischer und körperlicher Gesundheit im Erwachsenenalter in Zusammenhang bringen, nicht eingehend erforscht. Noch haben wir nicht endgültig verstanden, wie unterstützende Freundschaften in der Jugend mit der Gesundheit im Erwachsenenalter zusammenhängen.

Sich verändernde Beziehungen

Wenn Kinder älter werden, verändert sich die Bedeutung der unterschiedlichen Beziehungen, obwohl alle Arten von positiven Beziehungen während der Kindheit und Jugendzeit wichtig bleiben. Auch wenn Beziehungen zu Gleichaltrigen und Freundschaften für das Wohlbefinden von Jugendlichen zentral werden, bleibt eine positive und unterstützende Eltern-Kind-Beziehung wichtig für die Entwicklung, das Wohlbefinden und die psychische Gesundheit der Teenager.

Natürlich verändern sich die Merkmale der Freundschaften von der Kindheit zur Pubertät, ebenso wie die Merkmale der Eltern-Kind-Beziehung. Sie justieren sich laufend neu, je nach Bedürfnis der Individuen und den äusseren Umständen. Es gibt nicht den einen richtigen Weg, ein guter Elternteil oder eine gute Freundin zu sein.


Aus Sicht einer Entwicklungs­neurowissenschaftlerin

Unser ganzes Leben lang setzen wir uns mit anderen Menschen auseinander. Gute Beziehungen zur Familie, zu Freunden und Gleichaltrigen sind wichtig für unsere psychische Gesundheit, insbesondere während der Kindheit. Um gute Beziehungen aufbauen und mit verschiedenen Menschen erfolgreich kommunizieren zu können, sind wir auf eine Reihe von sozio-emotionalen Fähigkeiten angewiesen.

Wir setzen diese sozio-emotionalen Fähigkeiten ein, um Emotionen zu erkennen, zu verstehen und auszudrücken, sodass wir angemessen an sozialen Interaktionen teilnehmen und gewünschte Reaktionen bei anderen hervorrufen können. Sozio-emotionale Fähigkeiten entwickeln sich bereits früh im Leben, parallel zur Entwicklung des Gehirns.

Die Wünsche und Absichten des Gegenübers verstehen

Mentalisieren – die Fähigkeit, die Perspektive anderer einzunehmen – ist eine sozio-emotionale Fähigkeit, die bereits früh entwickelt wird. Dennoch dauert es Jahre, diese Fähigkeit vollständig zu beherrschen. Mentalisierung ermöglicht es Kindern, ihre eigenen Gefühle, Gedanken, Einstellungen, Wünsche und Absichten sowie die anderer Menschen zu verstehen.

Mentalisieren ist ein komplexer Prozess und die meisten Kinder entwickeln nach und nach die unterschiedlichen Fähigkeiten, welche als Bausteine des Mentalisierens dienen. Im Säuglingsalter lernen Kinder zum Beispiel, Gesichter zu erkennen und Aufmerksamkeit zu teilen, indem sie zur gleichen Zeit mit jemand anderem ein Objekt betrachten.

Eltern und Jugendliche, die sich eng miteinander verbunden fühlen, reagieren oft ähnlich auf Stress.

Plamina Dimanova

In der frühen Kindheit lernen sie zu sprechen und verbessern ihr Gedächtnis. Diese und viele andere Fähigkeiten helfen ihnen dabei, immer komplexere Schlüsse über die Gedanken und Gefühle von anderen Menschen zu ziehen.

Neurowissenschaftler können mentalisierungsbezogene Gehirnaktivität bereits bei dreijährigen Kindern beobachten. Jedoch wird das Netzwerk der Hirnareale, die am Mentalisieren beteiligt sind, mit zunehmendem Alter spezialisiert und bildet ein Gerüst für viele soziale Fähigkeiten, die sich später entwickeln.

Die Rolle der Bezugspersonen

Frühe positive Interaktionen zwischen einer Bezugsperson und einem Kind helfen diesem, soziale Situationen erfolgreich zu meistern und gesunde soziale Bindungen aufzubauen. Wenn frühe Beziehungen positiv sind und sich weiterentwickeln, hat ein Kind eine bessere Chance, Freundschaften zu schlies­sen und aufrechtzuerhalten sowie später im Leben gute Beziehungen und Partnerschaften aufzubauen. Kinder, die warme und unterstützende Beziehungen zu ihren Eltern erleben, entwickeln mit hoher Wahrscheinlichkeit hochwertige Beziehungen zu Gleichaltrigen und romantischen Partnern.

Kinder mit einer stärkeren Bindung zu ihren Müttern können ihre Emotionen besser regulieren, wenn die Mutter in ihrer Nähe ist. Während diese Kinder ihre Emotionen kontrollieren, zeigen sie eine reifere Gehirnaktivierung in der Amygdala, dem Hirnareal, das entscheidend für das Verarbeiten von ­Emotionen ist. Die Eltern-Kind-Beziehung ist besonders früh im Leben einflussreich, bleibt aber auch während der prägenden Jugendjahre wichtig.

Eltern und Jugendliche, die sich eng miteinander verbunden fühlen, reagieren oft ähnlich auf Stress. Das heisst, wenn Eltern mit Strategien, die auf die Anpassung an die jeweilige Situation ausgerichtet sind, erfolgreich Stress reduzieren können, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass dies Kindern auch gelingt, die sich eng mit den Eltern verbunden fühlen. Dies lässt sich im Verhalten und in der Gehirnaktivierung beobachten und wird schlussendlich in Verbindung mit einem besseren psychischen Wohlbefinden gebracht.

Starke und gesunde soziale Bindungen zur Familie und zu Freunden sowie ein Gefühl der Verbundenheit und Unterstützung sind für unser Wohlbefinden wichtig.

Plamina Dimanova

Während Kinder heranwachsen und ihr soziales Netz erweitern, werden Beziehungen ausserhalb des engen Familienkreises wichtiger.

Während der Corona-Pandemie berichteten junge Menschen, die sich mit Freundinnen und Freunden treffen konnten, von einer besseren Stimmung. Wenn Jugend­liche Fotos von engen ­Freunden betrachten, ist die Gehirnaktivität im ven­tralen Striatum, einem wichtigen Bereich des Belohnungssystems, stärker als beim Betrachten von Menschen, die sie nicht mögen oder die ihnen gleichgültig sind.

Freunde als Puffer gegen Stress

Anders gesagt fühlt es sich für Jugendliche wie eine Belohnung an, wenn sie ihre Freundinnen und Freunde ­sehen. Enge Bindungen mit und starke soziale Unterstützung von Gleichaltrigen können während der Jugendjahre als Puffer gegen Stress wirken.

Zusammengefasst sind starke und gesunde soziale Bindungen zur Familie und zu Freunden sowie ein Gefühl der Verbundenheit und Unterstützung für unser Wohlbefinden wichtig. Um solche Bindungen aufzubauen, brauchen wir unsere sozio-emotionalen Fähigkeiten, die sich bereits früh im Leben entwickeln. Sozio-emotionale Fähigkeiten werden von den Erfahrungen der Kinder und Jugendlichen geprägt und biologisch im Gehirn verankert.

BOLD

Die Plattform Bold, eine Initiative der Jacobs ­Foundation, hat sich zum Ziel gesetzt, einer weltweiten und breiten Leserschaft näherzubringen, wie Kinder und Jugendliche lernen. ­

Spitzenforscherinnen wie auch ­Nachwuchswissenschaftler teilen ihr Expertenwissen und diskutieren mit einer wissbegierigen Leserschaft, wie sich Kinder und Jugendliche im 21. Jahrhundert entwickeln und ­entfalten, womit sie zu kämpfen haben, wie sie spielen und wie sie Technologien nutzen.