Vollzeitmutter: «Viel Freude und viel Kummer»

Beryll war ein Teenager, als sie erfuhr, dass sie und Gian Eltern werden. Nach Jahren als Vollzeitmutter von vier Kindern wagte sie die Kehrtwende.
Beryll, 33, Fotografin, und Gian, 37, Lehrer, haben gemeinsam die drei Söhne Jimmy, 15, Nanook, 12, Darwin, 10, und Tochter Meadow, 5.
Ich war 17 und in der Lehre zur Kauffrau, als ich schwanger wurde. Mit 18 gab es keine Partys mehr, aber viel zu tun: von zu Hause ausziehen, selbständig leben, ein Baby versorgen. Und doch, bald fühlte sich das Familienleben normal an. Im Folgejahr ging ich wieder arbeiten, mein Mann blieb zu Hause. Als er sein Studium aufnahm, engagierten wir eine Tagesmutter. Es fiel mir schwer, Jimmy bei ihr zu lassen. Es gab keine Eingewöhnung, der Kleine weinte bei jedem Abschied. Ich litt.
Als Vollzeitmutter wurde mein Gehirn zu Brei. Ich vergass Wörter, verhaspelte mich, führte kaum Erwachsenengespräche.
Nach meiner Abschlussprüfung wollte ich ganz für ihn da sein. Für uns war klar: Unsere Familie sollte wachsen. Ich habe vier Geschwister, wollte immer eine Grossfamilie haben. Ich war zum zweiten Mal schwanger, als ich die Lehre abschloss, und freute mich darauf, Vollzeitmutter zu sein.
Zweifel weggeschoben
Kinder gehören zur Mutter, das hatte man mir so vorgelebt. Unsere Mutter hielt Vater, der Unternehmer war, den Rücken frei und widmete sich uns – das macht eine Frau glücklich. Schon beim ersten Kind hatten mich da Zweifel beschlichen: Einerseits fand ich den Alltag mit Baby langweilig, andererseits überfordernd: Warum gelang es mir nicht, etwas so Banales wie den Haushalt im Griff zu haben?
Meine Mutter versuchte, mich aufzumuntern – ‹Ein Baby macht alle Zweifel wett› –, meine Freundinnen hatten andere Themen. Da war niemand, der sagte, was mir geholfen hätte: dass diese Gefühle normal sind. Warum ich trotzdem und bewusst zum dritten Mal Mutter wurde? Einerseits blieb der Wunsch nach einer Grossfamilie ungebrochen, andererseits glaubte ich, dass mein Leben mit drei Kindern einfacher würde; weil ich dann so auf Trab wäre, dass keine Zeit zum Grübeln bleibt.
Der Trubel – es kamen zwei Hunde dazu – half tatsächlich. Kinder bescheren dir viel Freude, Vollzeitmutter zu sein aber auch viel Kummer. Zum Beispiel wurde mein Gehirn zu Brei. Ich vergass Wörter, verhaspelte mich, führte ja kaum Erwachsenengespräche. Acht Jahre war ich zu Hause, beschulte die Kinder mehrere Jahre selbst. Ihr Lernen zu begleiten, machte Spass. Und doch: Ich wollte raus.
Autonomie zurückgewinnen
Als Darwin drei war, bewarb ich mich für einen Aushilfsjob als Kellnerin – aus Angst, dass es mir ergehen könnte wie meiner Mutter. Sie hatte zugunsten der Familie auf eigene Interessen verzichtet, und als wir auszogen und mein Vater sich von ihr trennte, verlor sie ihren Lebensinhalt. Mit dem Kellnern gewann ich ein Stück Autonomie zurück.
Jahrtausendelang war Kindererziehung Aufgabe einer ganzen Sippe, nie zuvor waren Einzelpersonen dafür zuständig.
Ich fotografierte wieder, organisierte Shootings, lernte dazu. Als ich dann ungeplant noch mal schwanger wurde, war da die bange Frage, ob nun alles von vorne begänne – aber da war auch ein Plan: Ich wollte die Fotografie zum Beruf machen. In der Schwangerschaft bereitete ich alles vor, sagte zu Gian: Ich muss es schaffen, da sind nicht viele andere Perspektiven. Heute bin ich als Schwangerschafts-, Familien- und Babyfotografin gut gebucht.
Mein Leben durchlief eine Kehrtwende. Mein Mann und ich geben uns oft die Klinke in die Hand, müssen darauf achten, dass Paar- und Familienzeit übrigbleibt. Vollzeitmutter will ich nicht mehr sein. Das Modell ist, wie die Mikrofamilie, nicht artgerecht: Jahrtausendelang war Kindererziehung Aufgabe einer ganzen Sippe, nie zuvor waren Einzelpersonen dafür zuständig. Dieses Wissen hilft mir, mit mir als Mutter nachsichtiger zu sein.