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«Ich sag mir: Trau dich und überleg nicht so viel!»

Aus Ausgabe
07+08 / Juli + August 2025
Lesedauer: 4 min

«Ich sag mir: Trau dich und überleg nicht so viel!»

Vor wenigen Jahren wäre ein Gespräch wie dieses unmöglich gewesen, sagt Nino, 17, aus Lauperswil BE, der das Asperger-Syndrom hat. Mittlerweile habe er gelernt: Mit Fremden reden ist gar nicht so schlimm.
Aufgezeichnet von Virginia Nolan

Bild: Silas Zindel / 13 Photo

Vielleicht hilft es denen, die ähnlich sind wie ich, wenn einer an dieser Stelle seine Erfahrungen teilt. Also einer mit Asperger-Syndrom, der auch seine Mühen hat. Ich bin zum Beispiel nicht gerne unter vielen Leuten. Früher waren mir schon Geburtstagsfeste zu viel. Das Chaos, der Lärm – das gab meinem Kopf dermassen zu tun, dass ich es kaum aushielt.

Dann noch fremde Leute, die mit dir reden. Das kann ich nicht leiden. Wobei, mittlerweile geht es eigentlich: Ich kann mit meiner Freundin auch mal auf eine Party mitgehen und habe kein Problem damit, wenn mich jemand anspricht. Früher wäre das nicht gegangen, ein Gespräch wie das hier unmöglich gewesen.

Wenn ich im Wald allein bin, die Säge ausschalte und da nur Stille ist – dann bin ich zufrieden.

Meine Schulzeit war turbulent. Wenn die anderen auf den Gängen herumrannten und im Klassenzimmer schwatzten, machte mich das nervös. Mit der Anspannung kam die Wut. Manchmal war sie so stark, dass ich einen Stuhl zerschlug. Oder jemanden am Pulli packte und umwarf, wenn er mir blöd kam. Im besten Fall reagierte ich mich mit Seichmachen ab.

So oder so musste die Mutter mich oft abholen. Irgendwann war ich bei Problemen automatisch der Verdächtige. Das schmerzte und machte mich wütend – ein Teufelskreis. Im Unterricht ging es mir zu schnell vorwärts, ich konnte oft nicht folgen und wusste nicht, wie ich Dinge angehen sollte.

ADHS zuerst entdeckt

Dass ich ADHS habe, fanden sie zuerst heraus, in der dritten Klasse kam die Sache mit der Lernstörung und dem Asperger-Syndrom hinzu. Man muss mir vieles ausführlicher erklären. Am besten geht es, wenn jemand die Dinge aufzeichnet.

Es darf aber nicht zu lange dauern, weil die Konzentration sonst wieder abreisst – nicht gerade einfach für Lehrer. Ab der Fünften besuchte ich eine Sonderschule. Die Buben dort hatten grobe Probleme, waren in Strassenschlägereien verwickelt und kifften. Da harrte ich zwei Jahre aus, bis in meiner jetzigen Schule ein Platz frei wurde.

Inzwischen besuche ich die neunte Klasse, aber nur einen Tag die Woche. Den Rest werke ich auf Bauernhöfen. Im August beginne ich die Lehre zum Landwirt. Mit Tieren konnte ich schon immer gut umgehen. Als Kind ging ich oft zu meinen Grosseltern, wenn es zu Hause zu viel wurde; ich habe fünf Geschwister. Der Grossvater war Milchbauer, er nahm mich überallhin mit, liess mich seine Maschinen fahren.

Wenn es Knatsch gegeben hatte, wusste er, was zu tun war, damit ich nicht weiter darüber nachdachte. Dann gingen wir heuen, redeten über die Kühe oder werkten. Wenn Tiere spinnen – Geissen Futtersäcke aufreissen oder eine Kuh ausbüxt –, nehme ich das gelassen. Sie wissen es nicht besser. Auf Tiere werde ich nie sauer.

Feste Routinen

Auch der Wald gibt mir Kraft. Ich holzte schon als kleiner Bub. Wenn ich da draussen allein bin, die Säge ausschalte und da nur Stille ist – dann bin ich zufrieden. Auch meine Freundin ist mir wichtig. Sie hat nicht dasselbe wie ich, wurde zumindest nicht getestet, und doch versteht sie mich auf eine Art und Weise, wie es kein anderer tut.

Autismus als Superkraft? Ein fertiger Seich, so was.

Was ich am Bauernberuf auch schätze: die festen Routinen mit Füttern, Melken, Misten und so weiter. Wenn es zu Abweichungen kommt, weil eine Kuh sich verletzt hat oder das Wetter umschlägt, habe ich damit kein Problem. Es ist mir einfach wichtig, dass Abläufe grundsätzlich geregelt und jeden Tag etwa gleich sind. Mit dem Bauern, bei dem ich arbeite, verstehe ich mich gut. Er hat selbst zwei Kinder, von denen eines Mühe hatte – so jemand kann sich besser hineinversetzen in einen wie mich.

Mit der Diagnose gehe ich zurückhaltend um. Wenn die Leute erfahren, dass ich das Asperger-Syndrom habe, denken sie oft, sie müssten sich nun anders verhalten. Ob Autismus eine Superkraft ist? Ein fertiger Seich, so was. Gleichzeitig sind wir nicht alle völlig eingeschränkt. Am Ende sind wir Menschen mit Stärken und Schwächen.

Ich hatte Mühe in der Schule, lange auch im Sozialen. Dafür kann ich gut werken, habe etwa meinen Hühnerstall selbst gebaut. Und im Umgang mit Menschen habe ich dazugelernt. Zum Beispiel machte ich die Erfahrung, dass es gar nicht so schlimm ist, andere anzusprechen, dass es jedenfalls nicht perfekt vorbereitet sein muss. Heute sage ich mir: Trau dich und überleg nicht so viel!