Helikopter-Eltern: Zu viel des Guten? - Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
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Helikopter-Eltern: Zu viel des Guten?

Lesedauer: 11 Minuten

Sie tun alles für ihre Kinder, beschützen und umsorgen sie. Helikopter-Eltern werden sie genannt, weil sie wie Hubschrauber über den Köpfen ihrer Kinder kreisen. Helikopter-Eltern haben einen schlechten Ruf. Warum eigentlich? Was ist dagegen einzuwenden, wenn Väter und Mütter versuchen, perfekte Eltern zu sein?

Text: Andres Eberhard
Bilder: Stephan Rappo / 13 Photo

Eine Mutter, die mit ihrem erwachsenen Sohn die Vorlesungen an der Uni besucht. Ein Vater, der vor Gericht zieht, um beim Klassenausflug seines Kindes dabei sein zu können. Eltern, die mit ihrer Tochter zum Arzt gehen, weil diese nie krank ist. Wir wundern uns über Geschichten, in denen sich Eltern ihren Kindern gegenüber benehmen wie Angestellte – dienstleistungsorientiert und stets einsatzbereit.

«Helikopter-Eltern» nennen wir sie und meinen damit immer nur die anderen. Möchte nicht jeder von uns das Beste für das eigene Kind und sorgt sich gerade deswegen von Zeit zu Zeit um dessen Entwicklung? Steckt das Helikopter-Gen nicht in jedem von uns, zumindest zu einem kleinen Teil?

Evi Gwerder hofft, dass sie keine der Mütter sein wird, die nachts warten, bis die Teenager-Söhne nach Hause kommen. 
Evi Gwerder hofft, dass sie keine der Mütter sein wird, die nachts warten, bis die Teenager-Söhne nach Hause kommen. 

Durchforstet man wissenschaftliche Quellen und spricht mit Erziehungsexperten, so kommt man jedenfalls zum Schluss: Statt über andere zu lachen, würden wir wohl besser unser eigenes Verhalten hinter­fragen.

Schon zur Zeit unserer Grosseltern gab es zweifelnde oder ängstliche Eltern. Jedoch hat sich etwas Grundlegendes verändert, wie der Soziologe Frank Furedi feststellte. Er verglich Leserbriefe, die Eltern früher an Fachzeitschriften schrieben, mit jenen von heute. Und stellte fest, dass sich der Ton geändert hat. «Liest man die Leserbriefe aus den 20er-Jahren, erhält man den Eindruck, dass das Familienleben ganz in Ordnung war.»

Drei Phänomene prägen die  Helikopter-Eltern-Generation:  Materieller Wohlstand,  gesellschaftlicher Druck auf die Eltern und eine Angstkultur.

Nur den Rat zu einzelnen Erziehungsfragen hätten Eltern verlangt – Daumenlutschen, Eifersucht unter Geschwistern oder Nägelbeissen. Heute hingegen würden Eltern Winzigkeiten zu grossen Problemen machen. Schuld daran sei ein weitverbreiteter Mangel an elterlicher Gelassenheit. Frank Furedi: «Viele Mütter und Väter wirken regelrecht überfordert von der Riesenmenge an problematischen Fragestellungen, mit denen sie konfrontiert werden.» Entsprechend klingen die Leser­briefe wie Hilfeschreie.

Gesellschaftlicher Wandel

Befragt nach den Ursachen dieses Wandels, nennen Experten drei gesellschaftliche Veränderungen.

  1. Erstens ist materielle Verwöhnung erst durch unseren Wohlstand sowie den Trend zur Kleinfamilie möglich geworden, wie der Psychologe Jürg Frick sagt. Dadurch haben Eltern mehr Zeit mit ihren Kindern als früher.
  2. Zweitens steigt der gesellschaftliche Druck auf Eltern, wie unter anderem eine deutsche Untersuchung im Auftrag der Konrad-Adenauer-Stiftung zeigt. «Heute gilt die Leitvorstellung, dass man Kinder nur dann in die Welt setzt, wenn man sich ‹gut› um sie kümmern kann», schreiben die Autoren. Bildungsdruck und Frühförderung seien so populär, weil sich die familiären Werte jenen der wettbewerbsorientierten Wirtschaft anpassen würden.
  3. Drittens schliesslich sprechen viele Experten wie Frick oder die emeritierte Erziehungsprofes­sorin Margrit Stamm von der Universität Freiburg vom Zeitgeist einer «Angstkultur», in der Eltern die Sicherheit ihrer Kinder über alles stellen. Erstmals erwähnt wurde der Begriff «Helikopter-Eltern» 1969 vom israelisch-amerikanischen Psychologen Haim Ginott. Populär wurde er jedoch erst vor rund 15 Jahren.

Professorin Margrit Stamm mag den Begriff nicht; sie spricht lieber von «Eltern, die perfekt sein möchten». Sie würden alles tun, um ja keine Fehler zu machen. Drei Kriterien kennzeichneten diese: 

  • Sie fördern ihre Kinder überdurchschnittlich. 
  • Sie verwöhnen sie, erfüllen ihnen jeden Wunsch, nehmen ihnen alles ab. 
  • Sie sind permanent besorgt um ihre Sicherheit. 

Wer typische Helikopter-Eltern sind und wie viele es von ihnen gibt, ist relativ schlecht erforscht. Gemäss Stamm ist hauptsächlich die gut gebildete Mittelschicht betroffen. «Rund die Hälfte der gut situierten Eltern gehören zur Gruppe der Helikopter-Eltern», schätzt sie. Fachleute, die täglich mit Vätern und Müttern zu tun haben, wie Ruth Fritschi vom Dachverband Lehrerinnen und Lehrer Schweiz, beobachten zudem, dass Helikopter-Eltern häufiger in Städten zu finden sind als auf dem Land.

Was ist so schlimm an Helikopter-Eltern?

Insgesamt würden hierzulande rund 10 bis 15 Prozent der Mütter und Väter als Helikopter-Eltern bezeichnet werden können. Damit sind sie etwa gleich häufig vertreten wie die sogenannten «Null-Bock-Eltern», die ihre Kinder vernachlässigen. Das schätzt Josef Kraus, ehemaliger Präsident des deutschen Lehrerverbandes und Buchautor zum Thema. Die restlichen 70 bis 80 Prozent würden einen unproblematischen Erziehungsstil pflegen.

Angie Nock, ehemalige Flight Attendant, sagt: «Für mich war immer klar, dass ich zu Hause bleibe, wenn ich Kinder habe.» 

Eine noch genauere Zahl präsentierten Ökonomen der Universität Zürich vor zwei Jahren. In der Schweiz würden 19 Prozent aller Eltern den Helikopter-Erziehungsstil pflegen. Allerdings basiert dieser Wert nicht auf tatsächlichen Umfragewerten, sondern auf ökonomischen Analysen. Interessant ist auch der internationale Vergleich, den die Ökonomen anstellten: So konnten sie zeigen, dass Helikopter-Eltern in Ländern mit höherer Lohnungleichheit wie etwa den USA deutlich häufiger sind als in der Schweiz. Die Erklärung dafür: Eltern drängen ihre Kinder eher zu höheren Leistungen, wenn gering Qualifizierte im jeweiligen Land einen schweren Stand haben.

Ein Erziehungsstil mit Folgen

Helikopter-Eltern scheinen also tatsächlich ein neueres und immer weiter verbreitetes Phänomen zu sein. Nun kann man sich fragen, was so schlimm daran ist, das eigene Kind besonders fürsorglich und behutsam zu erziehen.

10 bis 20 Prozent der Eltern in der Schweiz sind Helikopter-Eltern. Sie erziehen ihre Kinder zur Unfähigkeit.

Experten zufolge hat dieser Erziehungsstil viele negative Folgen. Mit «Helikoptern» als Eltern würden unselbstständige, unangepasste, psychisch sowie motorisch schwer geschädigte Kinder herangezogen, so das Fazit. «Verwahrlosung, Ignoranz und Desinteresse richten gar weniger Schäden in Kinderseelen an als jener Narzissmus, der den Nachwuchs glücklich und erfolgreich sehen will, um sich selbst als kompetent zu erleben», sagt der angesehene dänische Familientherapeut Jesper Juul in einem Beitrag des deutschen Nachrichtenmagazins «Der Spiegel». Kurz: Helikopter-Eltern erziehen ihre Kinder zur Unfähigkeit.

Fakt ist, dass viele Kinder und Jugendliche heute vermehrt unter psychischen und sozialen Problemen leiden. Gemäss einer Studie der Stiftung Juvenir aus dem Jahr 2015 empfindet rund die Hälfte aller Kinder und Jugendlichen in der Schweiz häufig oder sehr häufig Stress oder Überforderung im Alltag. Dies und die Tatsache, dass immer mehr Kinder wegen schwerwiegender psychischer Probleme bei der Notfallnummer 147 anriefen, veranlasste Pro Juventute kürzlich dazu, eine nationale Kampagne zum Thema «Weniger Druck, mehr Kind» zu lancieren. Angesprochen werden soll das Umfeld der Kinder – allen voran die Eltern.

Zu fokussiert, um die Bedürfnisse der Kinder zu erkennen 

Sichtbar werden die Probleme häufig in der Schule, wo erstmals neben dem Elternhaus klare Erwartungen an die Kinder formuliert werden. Lehrpersonen erleben Tag für Tag, wie immer mehr Buben und Mädchen Mühe haben, sich in den Schulalltag zu integrieren. So zeigen viele von ihnen ein auffälliges Verhalten oder leiden unter komplexen Lernproblemen. Solche Schüler gelangen dann zur Abklärung an den Schulpsychologischen Dienst. Gemäss Sara Fischer, Schulpsychologin aus Meilen, hätten diese Kinder oft wenig Ausdauer und eine geringe Frustrationstoleranz. «Obwohl sie intelligent sind, versagen sie in der Schule», sagt sie.

Der Zusammenhang zwischen dieser Entwicklung und der Erziehung durch die Eltern ist relativ schlecht erforscht. Doch es gibt einige Untersuchungen. So präsentierte die finnische Psychologin Pirkko Niemelä in den 80er-Jahren eine wegweisende Studie. Sie zeigte auf, dass der Anspruch, alles perfekt zu wollen, keine gute Voraussetzung für eine positive kindliche Entwicklung ist.

Perfekte Eltern – unselbständige Kinder?

Niemelä untersuchte Mütter und ihre Kinder im Alter von einem bis vier Jahren. Und entdeckte, dass Kinder von Frauen, welche sich als perfekte Mütter sahen, zwar kooperativer und angepasster waren als andere Kinder. Allerdings hatten sie mehr Mühe, sich zu konzentrieren, waren unsicherer und verhielten sich aggressiver. Vermutlich hätten sich die Frauen so sehr auf ihre ­Mutterrolle fokussiert, dass sie die Bedürfnisse ihrer Kinder nur mangelhaft erkannten, so die Interpretation der Wissenschaftlerin.

«Wir möchten selb­ständige Kinder grossziehen, die irgendwann ihre eigenen  Entscheidungen treffen», sagt Andreas Abegg.
«Wir möchten selb­ständige Kinder grossziehen, die irgendwann ihre eigenen Entscheidungen treffen», sagt Andreas Abegg.

Weitere Untersuchungen zeigten in der Folge detaillierter die Auswirkungen von übermässiger Kontrolle und Behütung. Erst kürzlich sorgte die Publikation einer Studie aus den USA für Aufsehen. Forscherinnen hatten mehr als 420 Kinder acht Jahre lang begleitet. Sie analysierten, wie Eltern mit ihren zweijährigen Kindern spielten. Drei respektive fünf Jahre später besuchten sie dieselben Kinder noch einmal.

Das Resultat: Im Alter von fünf Jahren zeigten die Kinder kontrollsüchtiger Eltern eine deutlich verminderte Fähigkeit, ihre Emotionen und Impulse zu kontrollieren. Als sie zehn waren, zeigten sie in der Schule ein eher auffälliges Verhalten, gaben den Klassenclown oder hatten Mühe, sich zu konzentrieren. Diese Ergebnisse legen zwar nahe, dass das Erziehungsverhalten zu den späteren Problemen führte. Beweisen tun sie es aber nicht, denn es handelt sich um eine Korrelation und nicht um eine Kausalität.

Kinder «perfekter» Mütter sind angepasster, aggressiver, unsicherer und haben mehr Mühe, sich zu konzentrieren.

Wie Kontrolle und Behütung gilt auch Frühförderung als typisches Merkmal von Helikopter-Eltern. Aus einer Untersuchung von Margrit Stamm geht hervor, dass Erstklässler in der Schweiz zusätzlich zur Schule im Schnitt bereits drei Fördermassnahmen pro Woche erhalten – vom Nachhilfe­unterricht über Musikstunden bis zum Sporttraining.

Dabei zeigen Studien, dass zu viel Förderung schädlich sein kann. So erzielen Kinder, die instruierte Programme durchlaufen und früher als üblich das Schreiben, Lesen und Rechnen lernen, im Vergleich zu Kindern, die mehr spielen, zwar kurzfristig bessere Ergebnisse. Längerfristig jedoch schneiden sie in der Schule schlechter ab und müssen im Schnitt fünfmal häufiger die Klasse wiederholen. Ausserdem sind Kinder, die häufig frei spielen sozial kompetenter, empathischer und kreativer. Es gibt also einige deutliche Hinweise darauf, dass zu starke Kontrolle, Behütung und Förderung tatsächlich negative Effekte auf die Entwicklung des Kindes haben. Mit Studien ist jedoch den betroffenen Eltern noch nicht geholfen.

Was man von Experten immer wieder hört, ist der Ratschlag, dem Kind genügend Freiräume zu lassen. So sagt etwa Psychologin und Familientherapeutin Christine Harzheim: «Nur mit genügend Freiräumen kann ein Kind auf Dauer ein gesundes Selbstwertgefühl aufbauen.» Sie ermuntert Eltern, gelassener zu werden. Indem sie ständig über ihren Kindern kreisen und ihnen zum Beispiel zeigen, wie man Lego spielt, würden Kinder passiv; sie warten, bis man ihnen etwas vorsetzt. «Kinder finden so keinen direkten Zugang zu sich und ihren Gefühlen, sondern bleiben abhängig von Impulsen und der Bewertung von aussen», sagt Christine Harzheim. 

Dass viele ihre Kinder so stark behüten und sie damit in ihrer Entwicklung hemmen, sieht Harzheim darin begründet, dass viele Eltern in der prägenden Anfangszeit hängen bleiben, in der die Kinder tatsächlich ein übergrosses Mass an Fürsorge brauchen. Doch schon nach ein paar Monaten ändere sich das: «Um eigene Erfahrungen zu machen und einen eigenen Willen zu entwicklen, brauchen Kinder Freiräume», sagt Harzheim. Viele Eltern würden es nicht schaffen, sich an die neue Situation anzupassen.

Wenn man Kindern immer vorzeigt, wie man Lego spielt, werden sie passiv.

Harzheim nennt ein Beispiel aus ihrer Praxis: Einem Elternpaar sei es sehr wichtig gewesen, dass ihr Kind beim Essen von allem probiert, doch das Kind habe sich standhaft geweigert. Der Konflikt steigerte sich, bis das Kind irgendwann erbrach, nachdem es gegen seinen Willen eine Erbse essen musste. Daraufhin hätten die Eltern aufgegeben und gesagt: «Ab sofort darfst du entscheiden, was du probierst und was nicht.» Es sei keine Woche vergangen, da habe das Kind gefragt: «Darf ich von allem probieren?»

In ihren Beratungen arbeitet die Familientherapeutin unter anderem darauf hin, dass Eltern den Zugang zu sich selbst überprüfen und verbessern. Wichtig sei zu erkennen, was der Auslöser für das eigene Handeln ist. Sie sagt: «Häufig sind die eigene Angst, Unsicherheit oder das Gespräch mit der Nachbarin Gründe, warum sich Eltern Sorgen machen und dem Kind keine Freiräume lassen. Wenn etwa Eltern ihr Kind nicht alleine nach draussen lassen, sollten sie sich fragen: Will ich wirklich das Kind schützen oder ist es die Angst, dass ich als Mutter schlecht dastehe, weil mein Kind allein unterwegs ist und ich mich scheinbar nicht kümmere?» 

Haben die Eltern einmal erkannt, dass es um sie geht, können sie ihr Verhalten ändern. Allerdings ist das für viele eine grosse Herausforderung. Wie für jene Mutter, die ihre vierjährige Tochter ausserhalb der eigenen Wohnung, gelegen in einer familienfreundlichen, autofreien Siedlung, nicht allein spielen lässt. Doch sie muss und kann lernen, diesen Stress auszuhalten – etwa, indem sie die Kinderbetreuung öfter dem entspannteren Vater überlässt.

Selbsttest
Bin ich eine Helikopter-Mutter? Bin ich ein Helikopter-Vater?

Übertreiben Sie es manchmal mit der Fürsorge und Behütung Ihres Sprösslings? Oder sind Sie einfach nur besonders liebvoll zu ihm? Machen Sie den Test!

Gelassener werden – aber wie?

Mehr Gelassenheit, mehr Freiräume: Bekommen Eltern in Beratungen diesen Tipp, hört sich das gut an. Doch spätestens wenn sie wieder zu Hause sind und der fünfjährige Sohn auf einen selbst errichteten Turm aus Kartonschachteln steigt, stellt sich die Frage: Wann bin ich behutsam und wann übertreibe ich damit? Wo liegt die Grenze zwischen Fürsorge und Überfürsorge? Und wo die Grenze zwischen Förderung und Überforderung? 

Beispiel Überängstlichkeit: Angst um seine Kinder zu haben, ist in gewissen Situationen durchaus berechtigt – etwa im Strassen­verkehr. Doch bei überschaubaren Risiken wie im Beispiel mit den Kartonschachteln sollten sich die Eltern zurückhalten. Denn Kinder müssen lernen, Gefahren selbst einzuschätzen. Tun sie dies nicht, kommt der Schmerz einfach später – und heftiger. So berichten Zahnärzte von vermehrt auftretenden Frontzahn­frakturen, weil Kinder heute öfter auf das Gesicht fallen statt auf die Hände – weil sie in der Kindheit nie gelernt haben, richtig zu fallen.

Weil sie nicht gelernt haben,  richtig zu fallen, landen Kinder heute bei Stürzen häufiger auf dem Gesicht als auf den Händen.

Ruth Fritschi vom Dachverband Lehrerinnen und Lehrer Schweiz erzählt von Zwölfjährigen, die keinen Trampelpfad hinuntergehen können, weil sie Angst haben, und von solchen, die in der Schule zum ersten Mal eine Schere in der Hand halten, weil die Eltern diese für zu gefährlich hielten. «Kinder leiden unter solchen Situationen», sagt Fritschi, «und sie können nichts dafür, weil sie solche Dinge nie gelernt haben.»

Kindern Belastungen zumuten

Auch für überambitionierte Eltern, die ihr Kind (zu) stark fördern, bietet sich das Konzept von mehr Gelassenheit an: Wenn der Nachwuchs absolut keine Lust auf einen Schwimmkurs hat, dann sollten die Eltern von ihrem Vorschlag ablassen – auch wenn die Freundin das Seepferdchen schon in der Tasche hat und deren Eltern von der Technik des Schwimmtrainers schwärmen. Stattdessen sollten sie darauf vertrauen, dass ihr Kind schon schwimmen lernen wird – beispielsweise in den nächsten Ferien, zusammen mit Mama und Papa.

Und wie entgehen Eltern ihrer vielleicht stärksten Verlockung, der Verwöhnung? Schulpsychologin Sara Fischer sagt: Wenn ihr Kind von der Schule nach Hause komme und über Stress oder Überforderung klage, würden es viele Eltern komplett vom Haushalt entlasten. Dabei sei mit dem, was Kinder gemeinhin als Stress bezeichnen, nicht gemeint, dass ihnen die Zeit zur Erledigung der Hausaufgaben fehle. 

Meistens sind damit vielmehr die Ängste gemeint, die Leistung nicht zu erbringen – am nächsten Schultag, bei der anstehenden Prüfung, beim kommenden Bewerbungs­gespräch. Fischer sagt: «In diesem Moment brauchen Kinder von ihren Eltern nicht Extra-Support, sondern Mitgefühl und Zuversicht.»

Um Kinder weder zu überfordern noch zu unterfordern, müssen Eltern wissen, was sie von ihnen erwarten können. Fischer sagt: Kindergartenkinder könnten das Frühstück für die Familie vorbereiten, beim Putzen und Einkaufen helfen. Primarschüler seien in der Lage, alleine Bus oder Tram zu fahren, zu kochen oder bei der Wäsche zu helfen. Einen grossen Teil der Hausaufgaben sollten sie selbst erledigen können. Ab Ende der Mittelstufe sei es gar möglich, dass Kinder einmal pro Woche selbständig für die ganze Familie einkaufen und kochen. «Bis es so weit ist, braucht es natürlich viel Geduld und sorgfältige Anleitung», sagt Fischer. «Aber wenn es das Kind schliesslich schafft, macht das stolz und steigert das Selbstwertgefühl.»

Helikopter-Eltern sind höchst engagierte Eltern – die Chancen stehen also gut, dass sie bereit sind, ihr Verhalten zum Wohl des Kindes zu ändern.

Es gibt also gute Gründe, warum Mütter und Väter den Helikopter am Boden lassen sollten. Die gute Nachricht ist: Die Chancen stehen gut, dass sie es schaffen werden. Denn bei den Betroffenen – das bestätigten alle Gesprächs­partnerinnen und Gesprächspartner – handelt es sich um höchst engagierte Mütter und Väter, die dazu bereit sind, alles zu tun, damit es ihrem Kind gut geht. Psychologin Christine Harzheim sagt: «Ich mag Helikopter-Eltern, weil sie sehr sorgfältig sind, die ­Dinge richtig machen wollen und entsprechend bereit sind, an sich selbst zu arbeiten.»

Kontakte, Anlaufstellen, Beratungen

Viele kantonale und / oder städtische Behörden bieten Familienberatungen an. Eine nicht abschliessende Übersicht über Kontaktstellen in der Deutschschweiz:
www.familienleben.ch

Fachleute von Pro Juventute geben am Telefon kostenlos Tipps zu Erziehung und helfen auch bei Notsituationen. Telefon 058 261 61 61 (normale Telefongebühren). Mehr Infos unter: www.projuventute.ch

Kampagne von Pro Juventute: «Weniger Druck. Mehr Kind.» Tipps für Eltern sowie viele wissenschaftlich fundierte Hintergrundinfos zum Thema.
www.stress.projuventute.ch

Das Familylab organisiert Elternkurse, Vorträge und bietet Beratungen an (auch kostenpflichtige Telefonberatung bei kleineren Problemen).
www.familylab.ch

Sind die Probleme grösser bzw. dauerhaft, ist eine Familientherapie bei spezialisierten Psychologen zu empfehlen. Beispielsweise bei Jürg Frick in Uerikon ZH (www.juergfrick.ch) oder bei Christine Harzheim in Bern.
www.christine-harzheim.ch

Andres Eberhard
ist freischaffender Journalist und lebt mit seiner Familie in Zürich.

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