Herr Martin, warum ist es so schwierig, junge Menschen für eine technische Berufslehre zu gewinnen?
Die Jugendlichen haben immer weniger Möglichkeiten, sich für Technik zu begeistern. Wer tüftelt heute noch an defekten Geräten oder am Mofa rum? Auch am E-Bike einen Reifen zu wechseln, wird immer komplexer. Die Nerds, die sich auch privat für ein technisches Thema begeistern, werden immer weniger.
Ihrem Arbeitgeber Endress+Hauser gelingt es trotzdem ziemlich gut. Was müssen Sie dafür leisten?
Wir investieren viel ins Berufsmarketing, das ist eigentlich meine Hauptaufgabe. Wir veranstalten Infotage bei uns, da haben wir 300 Jugendliche an drei Tagen im Haus. Zudem besuche ich mit Lernenden pro Monat mehrere Schulklassen, wo wir berichten, was wir machen und welche Chancen wir bieten. Zusätzlich sind wir auf Berufsmessen, an der «tunBasel» und machen beim Zukunftstag mit.

Nur so können wir unsere knapp 30 Lehrstellen pro Lehrjahr mit guten Leuten besetzen – trotz nicht immer grosser Auswahl. Und natürlich bieten auch wir besondere Benefits: sechs Wochen Ferien, Abos für den ÖV, Computerausrüstung und mehr. Aber das Wichtigste sind mit Sicherheit eine qualitativ hochwertige Ausbildung, ein engagiertes Berufsbildnerteam und hervorragende Zukunftsaussichten.
Noch schwieriger ist es, junge Frauen für einen technischen Beruf zu motivieren. Wie und wie oft gelingt Ihnen das?
Da investieren wir besonders viel, aber es gelingt uns nicht so gut, wie wir uns das wünschten. Die Frauenquote in den technischen Berufen ist immer noch tief. Viele junge Frauen sind jedoch positiv überrascht, wenn sie an Infotage kommen, und sagen, sie hätten sich das ganz anders vorgestellt. Unsere modernen Arbeitswelten und unsere besondere Kultur als Unternehmen im Familienbesitz helfen, uns als attraktiven Arbeitgeber zu präsentieren.
Wie holen Sie Jugendliche in eine technische Lehre, für die auch das Gymi infrage käme?
Ich sehe es mittlerweile so: Weiter zur Schule zu gehen, ist die Alternative. Die Berufslehre mit Matur und anschliessendem Studium an einer Hochschule ist der Königsweg. Für uns sind diese Menschen besonders wertvoll. Sie haben einen hohen Praxisbezug, kennen unsere Produkte und Prozesse und sind im Unternehmen bereits vernetzt. Deshalb ermöglichen wir ihnen, nach der Lehre Teilzeit zu arbeiten und zu studieren oder Weiterbildungen zu machen.
Trotzdem hat die weltweit erfolgreiche Schweizer Hightech-Branche ein Nachwuchsproblem. Gehen die Unternehmen dieses gemeinsam an?
Nicht nur wir haben Nachwuchsprobleme, es fehlen in vielen Bereichen gut ausgebildete Menschen. Ein Teil kann mit Automatisierung und KI ersetzt werden. In unserem wirtschaftlichen Umfeld haben wir ein starkes Netzwerk, das sich für die Berufsbildung einsetzt. Auch seitens Politik spüre ich mehr Interesse und Engagement beim Thema Berufsbildung.
Ohne lebenslanges Lernen geht es in keinem Bereich mehr.
Was tut Ihr Betrieb, wenn Lehrstellen unbesetzt bleiben?
Bisher konnten wir, bis auf wenige Ausnahmen, unsere Lehrstellen immer besetzen. Das liegt aber auch daran, dass wir nicht die Besten suchen, sondern Talente mit Motivation, Potenzial und Persönlichkeit. Zudem bilden wir Quereinsteiger aus und ermöglichen Nachholbildung. An anderen Standorten, wie in China, Indien oder den USA, bauen wir eine duale Berufsausbildung nach Schweizer Vorbild auf.
Wenige Kandidaten für Berufe, die hohe technische und damit auch geistige Anforderungen mit sich bringen – wie gut geht das?
Wir tun alles, um ein attraktiver Ausbildungsbetrieb zu sein, damit sich leistungsstarke Schülerinnen und Schüler für uns entscheiden. Wichtig für uns ist, dass Lehrpersonen auch den besten Schülerinnen und Schülern technische Berufslehren vorschlagen.
Gibt es auch niederschwellige Berufe, mit denen weniger starke Schüler in die Welt der Technik eintreten können?
Bei den 14 Berufen, in denen wir ausbilden, ist für jedes Schulniveau etwas dabei. Von niederschwellig würde ich nicht reden, das wäre eine Geringschätzung gegenüber der Ausbildung. Die Arbeitswelt ist modern und komplex, wichtig sind jedoch auch gute Sozial- und Selbstkompetenzen.
Welche Möglichkeiten haben junge Berufsleute, die keine Berufsmatur machen wollen?
Wir brauchen natürlich nicht nur Akademiker, sondern ebenso Fachspezialisten im Schweissen oder in der Montage. Ohne lebenslanges Lernen geht es jedoch in keinem Bereich mehr.

Sind Sie auch mit einer Lehre ins Berufsleben eingestiegen?
Ja. Ich habe eine Lehre als Mechaniker und danach die Meisterprüfung gemacht. Anschliessend absolvierte ich ein Studium zum Betriebswirt und bildete mich weiter im Bereich Berufsbildung. Nun habe ich hier meine Erfüllung gefunden und darf die Ausbildung in Reinach leiten.
Können Sie weitere Beispiele für Karrieren aus Ihrem Unternehmen nennen, die mit einer technischen Lehre angefangen haben?
Unser Verwaltungsratspräsident und früherer CEO hat eine Lehre als Industriemechaniker gemacht. Jetzt ist er der Chef von 17'000 Mitarbeitenden weltweit. Der Director Supply Chain ist ursprünglich gelernter Polymechaniker. Es gibt über alle Hierachiestufen viele tolle Beispiele.