Das Thermometer bestätigt, was die Eltern mit routiniertem Blick auf gerötete Wangen und glasige Augen sowie Handtest auf der Stirn bereits geahnt haben: Das Kind hat Fieber. Eigentlich eine gute Sache, denn eine höhere Körpertemperatur bedeutet, dass der Körper die Abwehr hochfährt, er macht also seinen Job.
Doch genau das verunsichert viele Eltern. Fieber ist hierzulande der häufigste Grund, weshalb Eltern mit ihren Kindern bei Kinder- und Hausärztinnen oder Notdiensten in Spitälern vorstellig werden.
Bitte nicht permanent Fieber messen. Dass die Körpertemperatur schwankt, ist völlig normal.
Ulrich Heininger, Kinderarzt
«Grundsätzlich ist festzuhalten, dass Fieber keine Krankheit ist, sondern ein Symptom, hinter dem sich etwas verbirgt», sagt Ulrich Heininger. Er ist Präsident der Pädiatrischen Infektiologie-Gruppe Schweiz und Professor für Pädiatrische Infektiologie und Vakzinologie am Universitätskinderspital beider Basel. Fieber an sich ist nicht gefährlich, eventuell aber die dahinterliegende Krankheit, die es auslöst.
Dieses «eventuell» ist entscheidend, denn es ist sehr klein: «In 99 von 100 Fällen ist das Fieber Ausdruck einer Infektionskrankheit», sagt Heininger. «In den wenigsten Fällen wird es von Dingen wie einem Hitzschlag, einem Tumor oder einer Störung des Immunsystems ausgelöst.»
Ruhe bewahren
Die Sorge, dass eine gefährliche Krankheit hinter dem Fieber steckt, kann Heininger durchaus nachvollziehen. Doch die Erfahrung lehrt, dass sie in den allermeisten Fällen unbegründet ist. Es gibt aber Warnzeichen, bei denen Eltern keine Zeit verlieren und das Kind unverzüglich einem Arzt oder einer Ärztin vorstellen sollten (siehe blaue Box).
Ansonsten heisst es: Ruhe bewahren. Und vor allem auch nicht permanent Fieber messen. Dass die Körpertemperatur schwankt, ist völlig normal. «Wer auf Verdacht regelmässig misst, darf sich nicht wundern, wenn das Kind an 10 von 20 Tagen eine erhöhte Körpertemperatur hat», sagt Heininger.
Zum Fieberthermometer greifen sollte man nur, wenn das Kind sich heiss anfühlt oder man den Eindruck hat, es sei krank. Zeigt das Display dann mindestens 38,0 Grad Celsius an – egal wo gemessen wird –, sprechen Ärzte von Fieber.
Zunächst sollte man das Kind beobachten: Trinkt es? Verhält es sich normal, wenn auch vielleicht weniger aktiv als sonst? Fehlen die Warnzeichen? Dann besteht kein Grund zur Sorge. Drei Tage lang kann der Körper sich durchaus mal mit Fieber gegen Bakterien und Viren zur Wehr setzen. Wenn das Fieber länger dauert, rät Heininger, es beim Kinder- oder Hausarzt abklären zu lassen.
Die Körpertemperatur
Gegen zwei Uhr nachts liegt sie bei den meisten Menschen am tiefsten. Sie steigt dann vor dem Erwachen wieder leicht an, ist aber auch am Morgen noch recht niedrig. Den höchsten Wert erreichen die meisten Menschen nachmittags.
Körperlich anstrengende Aktivitäten wirken sich ebenfalls aus und können die Körperkerntemperatur um bis zu 2 Grad Celsius erhöhen. Liegt unsere Körpertemperatur vorübergehend unter dem Soll, sprechen Fachleute von einer Hyperthermie, liegt sie darüber, hat der Betroffene Fieber.
Die Aufgabe des Fiebers
Was genau passiert eigentlich im Körper, wenn man Fieber hat? Sobald Krankheitserreger in den Körper eindringen, wird das Immunsystem aktiv. Es schickt spezielle Botenstoffe in den Hypothalamus, einen Teil unseres Gehirns, und gibt so die Anweisung, die Körpertemperatur zu erhöhen. Dafür wird der Stoffwechsel angekurbelt und die Muskeln werden aktiviert, damit sie mehr Wärme produzieren. Gleichzeitig wird die Wärmeabgabe über die Haut reduziert, weshalb man bei Fieber oft kalte Hände und Füsse hat.
Auch ein erhöhter Puls und eine schnellere Atmung sind Folgen der verstärkten Aktivitäten im Körper. Durch die entstehende Wärme werden zusätzliche Abwehrzellen aktiviert, die die Erreger bekämpfen. «Wenn man sich die Abwehr von Infektionserregern wie ein Konzert vorstellt, dann ist Fieber ein wichtiger Mitspieler», sagt Heininger.

Die Immunabwehr also einfach mal machen lassen bedeutet auch, nicht sofort zu überlegen, wie man die Temperatur wieder herunterbekommt. Man senke das Fieber nie um des Fiebersenkens willen, sagt Heininger, im Vordergrund stehe immer das Befinden des Kindes. Das bedeutet: Auch bei 39,8 Grad Celsius muss man das Fieber nicht behandeln, selbst wenn das Kind ein wenig ruhiger, erschöpfter ist als sonst.
Sobald Vater oder Mutter aber sehen, dass das Kind leidet, sei eine Fiebersenkung sinnvoll. «Und dann ist es egal, ob das Thermometer 38,5 oder 39,5 Grad Celsius zeigt», sagt Heininger. Gegeben werden können dann Ibuprofen oder Paracetamol in der für das Alter erlaubten Maximaldosis. Beide Wirkstoffe haben eine gute fiebersenkende Kapazität.
Jedes Kind reagiert anders
Dass ein fieberndes Kind grosse Ängste auslösen kann, erlebt auch Eva Berger immer wieder. Die Leitende Ärztin Notfall am Universitätskinderspital Zürich trifft in der Notfallpraxis häufig auf Eltern, die erzählen, sie kennten jemanden, der ein Kind wegen Fieber verloren habe. Auch sie versucht dann zu beruhigen und verweist darauf, dass das entscheidende Kriterium der Allgemeinzustand des Kindes sei.
Trinkt es noch? Spielt es noch? Lässt es sich beruhigen? «Da tun sich Eltern durchaus schwer, wenn ich bei einem Kind, das hier rumläuft und spielt, empfehle, nichts zu tun und zuzuwarten, wie es ihm in den nächsten Stunden geht – und dies, obschon es 40 Grad Fieber hat.»
Von Essigwickeln rate ich ab. Der konzentrierte Essig auf der Haut kann schlimme Ekzeme auslösen.
Eva Berger, Notfallärztin
In den wenigen Ausnahmefällen, in denen die Medizinerin die Kinder lieber einmal zu viel als zu wenig sieht, sind die Eltern schon gut informiert: weil das Kind beispielsweise eine Grunderkrankung am Herzen hat oder immunsupprimiert ist nach einer Transplantation oder Chemotherapie. Auch Säuglinge unter drei Monaten mit einer Temperatur über 38 Grad Celsius sollten klinisch beurteilt werden.
Ein Vorurteil, das bei vielen Eltern vorherrscht: Je höher das Fieber ist, desto schlimmer krank muss das Kind sein. «Die Höhe des Fiebers hat nichts mit der Schwere des Infekts zu tun», sagt Berger. Wie stark sich ein Körper erwärmt, hängt zwar durchaus auch von der Art des Erregers ab, ist allerdings individuell verschieden, schliesslich hat jeder sein eigenes Abwehrsystem. So kommt es, dass ein Kind häufig und schnell, aber nur kurz fiebert, während ein anderes nur selten Fieber bekommt, dafür mehrere Tage lang beeinträchtigt ist.
Was tun bei einem Fieberkrampf?
Dass gerade Eltern jüngerer Kinder ein hohes Fieber schnell senken wollen, hängt auch mit dem sogenannten Fieberkrampf zusammen. Fieberkrämpfe sind Anfälle, die durch Fieber ausgelöst werden. Eine familiäre Häufung ist bekannt.
Betroffen sind Kinder zwischen dem 6. Lebensmonat und dem 6. Lebensjahr. Der Fieberkrampf tritt plötzlich und oft beim ersten Fieberanstieg auf. Dabei werden die Kinder bewusstlos, steif und zeigen rhythmische Zuckungen am ganzen Körper. Die Augen sind dabei offen und oft nach oben verdreht.
Wer so etwas einmal erlebt oder von Freunden erzählt bekommen hat, der möchte das gern verhindern. Doch das geht leider nicht. Es gibt keine Massnahmen, die Fieberkrämpfe sicher verhindern. «Die vorbeugende Wirkung fiebersenkender Massnahmen ist nicht bewiesen, daher empfehlen wir Eltern dies auch nicht», sagt Berger.
Wann muss man reagieren?
- Das Bewusstsein ist gestört, das Kind agiert auffällig langsam, der Blick wirkt eingetrübt.
- Punktförmige Einblutungen auf der Haut, die nicht verblassen, wenn man mit einem Trinkglas draufdrückt.
- Das Kind ist berührungsempfindlich und schreit auf, wenn man es anfasst oder in den Arm nimmt.
- Das Kind verweigert das Trinken.
- Das Bauchgefühl der Eltern sagt, dass mit dem Kind etwas nicht in Ordnung ist.
Viel trinken
Der beschleunigte Stoffwechsel bei hohem Fieber kann zu Flüssigkeitsverlust führen, deshalb sollte man dem Kind viel zu trinken anbieten. «Weil der Gesamtanteil Flüssigkeit bei ihnen noch deutlich höher liegt als bei Erwachsenen, verlieren sie bei Fieber auch mehr davon», sagt Berger. Wadenwickel sind nur dann sinnvoll, wenn die Waden des Kindes wirklich deutlich erwärmt sind. Das Wasser dafür sollte keinesfalls kalt, sondern lauwarm sein. Sonst erreicht man den gegenteiligen Effekt. Je jünger das Kind, desto schneller unterkühlt es.
Von in einschlägigen Ratgebern gern empfohlenen Essigwickeln hält Eva Berger eher nichts: «Da habe ich schon relativ schlimme Ekzeme gesehen, die durch den konzentrierten Essig auf der Haut entstehen.»
Auch wenn Fieber in den allermeisten Fällen ein harmloses Symptom ist: Viele Eltern sind im Fall der Fälle unsicher. Sollte man dem Kind etwas Fiebersenkendes geben oder zuwarten? Wann genau ist es eine Notsituation? Ist es eine Überreaktion, wenn man dann in den Notfall fährt?
«Niemand sollte sich scheuen, in einer solchen Situation das Telefon in die Hand zu nehmen und um Rat zu fragen», sagt Eva Berger. Eine gute Instanz sei beispielsweise der Kinderarzt oder auch die Kids Line, ein medizinisches Beratungstelefon für Kinder- und Jugendnotfälle in Zusammenarbeit mehrerer Kinderspitäler und Medgate, das von Fachpersonal betreut wird.







