Von wegen verstaubt ...
Wenn es um die digitale Medienbildung von Kindern und Jugendlichen geht, fühlt sich selten jemand zuständig. Oft winkt die Schule ab. Da viele Lehrkräfte schon mit der Vermittlung des übrigen Schulstoffs ausgelastet seien, verweisen sie bei diesem Thema gerne auf das Eltern haus. Die Eltern wiederum sehen vor allem die Schule in der Pflicht, wenn es um die Einführung ihrer Kinder in die digitale Welt geht.
Recht haben beide Seiten, nur wird in dieser Diskussion stets eine wichtige Bildungsinstanz über sehen: die öffentlichen Bibliotheken. Keine andere Bildungsinstitution in Europa wächst so schnell und organisch mit den medialen Herausforderungen der Moderne wie diese.
Warum Eltern und Schule Bibliotheken als Bildungseinrichtung stärker miteinbeziehen sollten, liegt auf der Hand: Sie haben den Raum, die digitalen Geräte und die Mitarbeiter, die sich damit auskennen.
«Die Schweiz verfügt über eine breite und aktive Bibliothekenlandschaft», sagt Heike Ehrlicher, stellvertretende Geschäftsführerin des Verbandes Bibliosuisse. Auch in überdurchschnittlich vielen kleineren und kleinen Gemeinden seien Bibliotheken angesiedelt. Und diese stellen nicht nur einen umfangreichen und qualitativ hochwertigen Medienbestand zur Verfügung, sondern bieten auch zusätzliche Angebote in Form von Beratung oder zielgruppenorientierten Veranstaltungen. Aus diesen sieben Gründen, sind Bibliotheken unverzichtbar:
1. Bibliotheken sind für jeden zugänglich
Jeder Mensch kann das Angebot öffentlicher Bibliotheken nutzen. Unabhängig von Bildungsstand, Nationalität, Religion oder Lebensstandard. Genau darum sind Bibliotheken so wertvoll: Kinder und Jugendliche, die zum Beispiel aus bildungsfernen Schichten stammen und zu Hause weder auf einen Computer noch ein Tablet zugreifen können, profitieren besonders von der technischen Ausstattung.
Durch viele spezielle Freizeitangebote im Internet, in Fächern aus den Bereichen Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik, kurz MINT, oder mit Games wird diese Gruppe gezielt begleitet und gefördert.
2. Bibliotheken sind Orte der Begegnung
Heute wird von Bibliotheken oft als «drittem Ort» neben Schule, Arbeit und dem Zuhause gesprochen. Kinder und Jugendliche halten sich gerne in Bibliotheken auf, um gemeinsam an ihren Hausaufgaben oder Referaten zu arbeiten. Die Mitarbeiter der Bibliotheken stehen ihnen dabei unterstützend zur Seite.
Doch selbst wenn nicht gelernt wird, ist die Bibliothek ein beliebter Aufenthaltsort, um zu lesen, in Magazinen zu blättern, zu spielen oder einfach nur den Gedanken nachzuhängen. Nicht selten wird hier auch Sozialarbeit geleistet, wenn Kinder und Jugendliche mit den Bibliotheksmitarbeitern ins Gespräch kommen.
3. Bibliotheksmitarbeiter leisten Hilfestellung bei der Recherche
Für Hausaufgaben und Referate ist eine fundierte Recherche unerlässlich. Die meisten Schüler nutzen dazu Google und Wikipedia. Meist ergeht es ihnen wie den Erwachsenen: Die hohe Zahl der Fundstellen überfordert sie und das Filtern fällt schwer. In der Bibliothek lernen Schüler, wie sie an gesicherte Fakten herankommen und diese von Falschmeldungen unterscheiden. Dafür steht ihnen – anders als im Netz – ein realer Ansprechpartner zur Seite. Somit ist die Bibliothek als Partner der verbrieften Informationsbeschaffung in Zeiten von Fake News wichtiger denn je.
4. Mit Hilfe von Bibliotheken Geld sparen
Nicht alles muss gekauft werden. Medien kosten Geld, und nicht selten erweist sich privat Erworbenes als Fehlkauf. Gerade bei teuren Anschaffungen wie PC oder Konsolenspielen bieten Bibliotheken einen wunderbaren Service: Wer sich ein Spiel ausleiht, kann in Ruhe prüfen, ob das Spiel auf den heimischen Geräten läuft, ob es dem Kind gefällt und ob es nicht schnell langweilig wird. Das ist guter Konsumentenschutz. Ähnliches gilt natürlich auch für andere Medien.
5. Bibliotheken haben fast rund um die Uhr geöffnet
Rücknahmeautomaten erlauben die Abgabe von Büchern und DVDs usw. auch ausserhalb der Öffnungszeiten. Viele Bibliotheken testen aktuell auch die Sonntagsöffnung, wie beispielsweise die Stadtbibliothek Luzern. Andere Bibliotheken erproben das Format der «Open Library». Hier nutzen die Bürger die Medien selbständig, während die Mitarbeiter längst zu Hause sind. In der Stadtbibliothek Chur beispielsweise können Bibliotheksbesucher ab 16 Jahren die Räumlichkeiten mit dem Bibliotheksausweis auch nach den offiziellen Öffnungszeiten betreten und Medien ausleihen.
6. Bibliotheken sind digitale Welten
WLAN und Internetarbeitsplätze in Bibliotheken sind weit verbreitet. Um die Angebote der Bibliotheken zu nutzen, müssen diese noch nicht einmal betreten werden. Online leihen sich Nutzer bequem E-Books und E-Paper aus. Im Angebot sind auch Filmstreamingdienste oder musikalische Angebote zu Pop, Jazz und Klassik. In der Schweiz bieten fast 300 Bibliotheken von Aarau bis Zuoz diesen Service an. Das Angebot ist unter www.bibnetz.onleihe.ch zu finden.
7. Bibliotheken sind innovativ
In Bibliotheken gibt es keine Berührungsängste mit technischen Neuheiten. Oft existieren dort auch sogenannte Maker Spaces, Werkstattprogramme mit Experimenten und explorativem Ansatz. Ebenso finden Besucher dort Angebote zu 3D-Druckern, Robotik und VR-Brillen oder über das Erstellen von StopMotionFilmen.
Fazit:
Kaum eine andere Institution setzt sich so aktiv und umfassend für die unterschiedlichen Formen der Lesefähigkeit ein wie öffentliche Bibliotheken. Würden Bibliotheken stärker in unsere Medienerziehung mit ein geplant werden, würde dies Familien und Schulen deutlich entlasten.
Das sollten Eltern über Bibliotheken wissen:
- Jedes Kind, jeder Jugendliche braucht einen eigenen Bibliotheksausweis.
- Konsolenspiele sind ein guter Anreiz. Manche Kinder gehen nur in Bibliotheken, um sich Konsolenspiele auszuleihen. Dabei stossen sie aber auch auf eine Reihe anderer Medien.
- Bibliotheken bieten Kindergärten und allen Schulstufen Einführungen an.
- Nehmen Sie die Lese- und Digitalangebote für Kinder und Schüler unter die Lupe. Auch in den Ferien wird viel angeboten.
- Vermissen Sie in Ihrer Bibliothek etwaige digitale Angebote, dann fordern Sie sie ein. Bibliotheken sind für die Bürger da.
- In Bibliotheken finden auch viele Veranstaltungen für Kinder und Erwachsene statt.
Zum Autor:
Thomas Feibel, 58, ist einer der führenden Journalisten zum Thema «Kinder und neue Medien» im deutschsprachigen Raum. Der Medienexperte leitet das Büro für Kindermedien in Berlin, hält Lesungen und Vorträge, veranstaltet Workshops und Seminare.
Zuletzt erschien sein Elternratgeber «Jetzt pack doch mal das Handy weg» im Ullstein-Verlag. Feibel ist verheiratet und Vater von vier Kindern.
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