Lockdown-Bilanz und eine Prise Optimismus - Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Merken
Drucken

Lockdown-Bilanz und eine Prise Optimismus

Lesedauer: 2 Minuten

In ihrem Lockdown-Mamablog berichtet Michèle Binswanger von verspäteten Frühlingsgefühlen und einer Art schüchternen Vorfreude auf das Nach-Corona.

Text: Michèle Binswanger
Illustration: Petra Dufkova / Die Illustratoren

Seit Ostern spürt man es – eine Art freudige Erwartung, eine vorsichtige Spannung oder je nachdem ängstliche Unruhe. Die Aussichten, dass der Hausarrest bald gelockert werden könnte, wecken bei mir so etwas wie verspätete Frühlingsgefühle. Obschon es keine Rückkehr zur Normalität geben wird, wie wir sie vorher kannten. Dennoch wird es einfacher sein, sich ans neue Normal heranzutasten, als weiter im Lockdown zu verharren.

Noch ist es allerdings nicht so weit, noch geht es darum, auf den letzten Metern durchzuhalten. Deshalb wage ich einen kleinen Rückblick auf die letzten Wochen und was ich getan habe: Wie Sie wissen, habe ich die Freiheiten ausgenutzt, die uns der Bundesrat im Lockdown gelassen hat.

Ich habe Freunde getroffen – aber nur im kleinen Rahmen, wie es erlaubt ist. Ich habe meine Mutter zu ihrem achtzigsten Geburtstag vor einer Woche besucht – mit dem gebotenen Abstand von zwei Metern. Ich habe die Naherholungszone spazier-strapaziert und bin an einem Samstag Nachmittag mit einem postapokalyptischen Gefühl durch die leere Bahnhofstrasse gelaufen.

Ich habe im stundenlangen Telefonieren ein mir bislang verborgenes Talent entdeckt, den Leuten Mut zu machen und sie aufzumuntern. Ich habe Gratisarbeit geleistet, um den Leuten zu helfen, und die ungläubige Freude für diese simple Geste war besser als Geld. Ich habe aus meinen alten Mamablogs ein eigenes Buch gemacht und meinen Angehörigen geschenkt.

Ich habe mich zu täglichen Hangout-Sitzungen mit meinen Arbeitskollegen getroffen und mich dabei erwischt, wie ich den am Bildschirm erscheinenden Köpfen zum Ende der Sitzung zurufen wollte: Nein, geht noch nicht, ich mag euch besser, als ich es je für möglich gehalten hätte. Vor allem konnte ich es vermeiden, mich täglich mit Alkohol gegen den Stress dieser Ausnahmesituation zu sedieren. Na also, geht doch.

Andere Dinge sind mir jedoch nicht gelungen. Mein kleiner Lesezirkel, den ich für meine Familie geplant hatte, ist nicht zustande gekommen. Auch den Frühlingsputz habe ich noch nicht erledigt oder nur in Teilen. Es ist mir nicht gelungen, das Französisch des Sohnes aufzubessern.

Und auch mein vor dem Lockdown schon ziemlich weit gediehenes Buchprojekt habe ich keinen Zentimeter weiter gebracht. Dabei hatte ich davon fantasiert, mit dem fixfertigen Manuskript in den Händen aus dem Lockdown zu stürmen, letztlich aber tigerte ich allzu oft rastlos durch die Wohnung, anstatt mich an den Schreibtisch zu setzen und das Ding in die Mangel zu nehmen.

Als unverbesserliche Optimistin glaube ich daran, dass auch nicht alles schlecht sein wird, bloss anders.

Das ist meine Bilanz, aber sie erzählt nicht die ganze Wahrheit. Die Wahrheit ist, dass viel mehr sich verändert hat, subtil und unterschwellig – doch noch sind wir zu nahe und deshalb nicht in der Lage, diese Veränderungen konkret wahrzunehmen und zu benennen.

Irgendwann werden wir aus der Zukunft und vom neuen Alltag aus zurückblicken und sagen: Dort, mit dem Coronavirus hat das begonnen, wer hätte das damals gedacht? Natürlich wird nicht alles erfreulich sein, denn wann ist es das schon? Aber als unverbesserliche Optimistin glaube ich daran, dass auch nicht alles schlecht sein wird, bloss anders. Und auch wenn ich weiss, dass Optimismus dieser Tage schlecht ankommt, halte ich mich daran fest.

Michèle Binswanger
Die studierte Philosophin ist Journalistin und Buchautorin. Sie schreibt zu Gesellschaftsthemen, ist Mutter zweier Kinder und lebt in Basel.

Alle Artikel von Michèle Binswanger

Michèle Binswangers Tagebuch in der Übersicht: 


Michèle Binswangers berichtet in ihrem neuen Lockdown-Mamagblog über ihre Erlebnisse im Home Office. Ab sofort bloggt die zweifache Mutter zweimal pro Woche – jeweils Sonntag und Mittwoch. Ihr Blog erscheint auf www.tagesanzeiger.ch und www.fritzundfraenzi.ch.