«Hilfe, muss ich meine Tochter für gute Noten belohnen?»
Lesedauer: 3 min
«Hilfe, muss ich meine Tochter für gute Noten belohnen?»
Eine Frage – drei Meinungen
Unsere Tochter, 10, besucht die 4. Klasse. Am letzten Elternabend erklärte uns ihre Lehrerin, dass sie uns empfehle, die Kinder für gute Noten zu belohnen – mit Geld. Ich bin alleinerziehend, muss jeden Franken umdrehen und sehe das kritisch. Was meinen Sie?
Das sagt unser Expertenteam dazu:
Stefanie Rietzler
Immer wieder erlebe ich, dass Eltern ihre Kinder mit Geld für gute Noten belohnen – von einer Lehrperson habe ich eine solche Empfehlung noch nie gehört. Sie wäre auch unsinnig: Wer Schülerinnen und Schüler für gute Zensuren bezahlt, läuft Gefahr, dass sich die Kinder nur noch für die Belohnungen anstrengen und an Interesse und Lernfreude einbüssen. Für leistungsschwache Kinder ist dieses Vorgehen zusätzlich deprimierend, weil sie oft trotz grossem Einsatz keine guten Noten erzielen – und somit doppelt bestraft werden.
Nicole Althaus
Ganz ehrlich? Ich finde das eine Schnapsidee. Geld für gute Noten – das ist nicht nur die falsche Währung, es ist auch der falsche Anreiz. Kinder sollten für ihr Bemühen belohnt werden, nicht für das Resultat. Ein schlechter Mathe-Schüler schreibt nicht bessere Noten, wenn Geld lockt. Wohl aber kann man einen schlechten Mathe-Schüler zu regelmässigem Üben motivieren, wenn er sieht, dass Mathe – wie fast alles im Leben – lernbar ist. Setzen Sie sich zusammen mit Ihrer Tochter ein Ziel, etwa: Wir schaffen es, dass du weniger Flüchtigkeitsfehler machst, und belohnen Sie sie, wenn das Ziel erreicht ist. Zum Beispiel mit einem gemeinsamen Nachmittag, den Sie selber gestalten darf. Oder einem Dessert, das nur ganz selten auf den Tisch kommt.
Peter Schneider
Ich sehe das ebenso kritisch. Nicht deshalb, weil ich grundsätzlich etwas gegen diese Form der Belohnung habe, sondern weil ich es gedankenlos finde, wie gedankenlos man sich über die finanzielle Situation anderer Menschen hinwegsetzen kann. Was ich allerdings tatsächlich blöd finde, sind ausgeklügelte Belohnungssysteme. Warum nicht statt diesem Manager-Bonus-Unfug einfach mal zusammen am Abend vor dem Schlafengehen einen Film anschauen, wenn man es gut miteinander hatte. Einfach so, ohne Kalkül.
Unser Expertenteam:
Stefanie Rietzler ist Psychologin, Autorin («Geborgen, mutig, frei», «Clever lernen») und leitet die Akademie für Lerncoaching in Zürich. www.mit-kindern-lernen.ch
Nicole Althaus, 51, ist Chefredaktorin Magazine und Mitglied der Chefredaktion der «NZZ am Sonntag», Kolumnistin und Autorin. Sie hat den Mamablog auf tagesanzeiger.ch initiiert und geleitet und war Chefredaktorin von «wir eltern». Nicole Althaus ist Mutter von zwei Kindern im Alter von 20 und 16 Jahren.
Peter Schneider, 62, ist Kolumnist, Satiriker, Psychoanalytiker, Privatdozent für klinische Psychologie an der Uni Zürich und Gastprofessor für Geschichte und Wissenschaftstheorie der Psychoanalyse in Berlin.
Haben auch Sie eine Frage?
In dieser Rubrik beantworten Expertinnen und Experten IHRE Fragen zu Erziehung und Alltag mit Kindern. Schreiben Sie eine E-Mail an: redaktion(at)fritzundfraenzi.ch