Eine Fehlgeburt ist oft ein sehr schmerzhaftes Thema in der Partnerschaft und in der Familie. Paar- und Familientherapeut Raimondo Lettieri erklärt im Interview, wie Paare eine Fehlgeburt verarbeiten und wie Eltern ihren Kindern den Verlust des ungeborenen Geschwisterchens vermitteln können.
Je nach psychischer Stabilität und aktueller familiärer Situation kann es von einer leichteren Erschütterung bis hin zu einer schweren Krise alles auslösen. Da spielen verschiedene Faktoren mit. Es ist zum Beispiel nicht dasselbe, ob ein Paar mit zwei Kindern eine Fehlgeburt erlebt oder ob ein kinderloses Paar bereits einen dritten Abort verarbeiten muss. Auch muss man wissen, dass Gefühle wie Trauer, Verzweiflung, Schuld, manchmal auch Angst und Wut ganz normal sind und Wochen oder Monate andauern können.
In der Praxis erlebe ich tatsächlich einen Unterschied. Das ungeborene Kind ist für den Vater naturgemäss weiter weg. Er hat eine «distanziertere» Beziehung, allein schon durch die Tatsache, dass das Kind im Körper der Mutter heranwächst. Etwas zugespitzt gesagt: Wenn ein Paar ein ungeborenes Kind verliert, dann ist der Vater selten schon «Vater». Die Frau hingegen ist vom ersten Moment an eine Mutter. Neben der Trauer, die eine Mutter nach einer Fehlgeburt durchlebt, kämpfen viele Frauen wie erwähnt oft auch mit Schuld- und Versagensgefühlen: «Mit mir stimmt etwas nicht». Oder: «Wieso klappt es bei mir nicht?». Der Vater hingegen ist viel schneller wieder im «Courant normal» des Alltags und richtet den Blick nach vorne.
«Gefühle wie Trauer, Verzweiflung, Schuld, manchmal auch Angst und Wut sind ganz normal.»
Ja, das ist so. Gerade wenn es sich um das erste Kind handelt oder das Paar sich schon lange mit einem Kinderwunsch auseinandersetzt, kann dies zu einer grossen Belastung führen. Nicht selten kann dieser emotionale Strudel bei der Mutter eine depressive Episode zur Folge haben, die psychotherapeutische Hilfe notwendig macht. Auch der paardynamische Teil der Krise sollte nicht unterschätzt werden. Im Extremfall kann das Paar an den Folgen einer solchen Situation zerbrechen. Falls sich ein Krisenzustand nach ein paar Monaten nicht langsam zu beruhigen beginnt, ist es daher sinnvoll, sich als Paar Hilfe zu holen.
Sind Gefühle wie Wut, Trauer oder Scham da, dürfen sie nicht bagatellisiert oder ignoriert werden. Sie brauchen Raum und Zeit und zeigen sich manchmal schub- oder phasenweise. Hinzu kommt, dass Männer den Verlust wie erwähnt meist abstrakter erleben: Sie empfinden eher den Zustand ihrer Frauen als Problem, weniger direkt den Verlust des Kindes. Sie haben dann oft die Haltung, nicht zu lange in den Problemen verweilen zu wollen, um sie aus ihrer Sicht nicht noch schlimmer zu machen. Das ist einfach eine männliche Art und Weise, mit dem Thema umzugehen, und ist im Grunde völlig in Ordnung.
... da beide jeweils erwarten, dass der andere so umgehen müsste, wie man es selber braucht. «Sie» erlebt ihn in so einer Situation oftmals kalt und distanziert und fühlt sich alleine gelassen. «Er» hingegen findet, dass sie übertreibe und mit ihren «unkontrollierten Gefühlen» alles nur noch schlimmer mache.
Wichtig ist, dass beide lernen, wahrzunehmen, was jeder für sich in dieser Situation braucht, und dass sie dies dem Partner mitteilen. Damit übernimmt jeder zunächst einmal Verantwortung für sich selbst. In einem zweiten Schritt geht es darum, zu schauen, was jeder für den anderen tun kann. Für den Mann bedeutet dies, auf die Weise da zu sein, wie es seiner Partnerin gerade guttut. Auch wenn er das Problem aus seiner Sicht anders angehen würde. Und für die Frau: Dass sie konkret ausdrückt, was sie braucht, seine Nähe und Zuwendung zulässt, ohne die Erwartung zu haben, dass er das Gleiche fühlen muss wie sie. Was ich Männern gerne mitgebe in meiner Praxis: Der Mann muss weder Wunder bewirken noch «muss» er gross etwas «tun». Oft geht es darum, einfach da zu sein, zuzuhören, ein Gegenüber zu sein. Das ist für die Frau, und letztendlich für beide, sehr heilsam.