Wenn Kinder ständig jammern - Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
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Wenn Kinder ständig jammern

Lesedauer: 3 Minuten

«Die Frau Weber ist so ungerecht! Weisst du, was die heute gemacht hat?» Frau Klein weiss es nicht – und sie würde es eigentlich gerne dabei belassen. Stattdessen setzt sie sich hin und sagt: «Nein, was war denn?»

Text: Fabian Grolimund
Illustration: Petra Dufkova/Die Illustratoren

Manche Kinder sind richtige kleine Pessimisten. Sie sehen jedes Problem, jede Ungerechtigkeit, alles, was falsch läuft. Und sie reden darüber – fast pausenlos. Die Eltern können sich teilweise gar nicht vorstellen, woher das kommt, und helfen, so gut sie können: durch Zuhören, mit Verständnis, Beschwichtigen, Tipps und Vorschlägen.

Jammern hat oft verdeckte Gründe

Bei Kindern, die sehr oft jammern, hat man als Eltern das Gefühl, gegen Windmühlen zu kämpfen. Kaum ist ein Problem gelöst, taucht schon ein neues auf. Es scheint den Kindern eher darum zu gehen, ein Problem zu haben, als es zu lösen. Dieser Gedanke führt auf die richtige Spur. Oft erfüllt das Jammern einen Zweck, der Kind und Eltern verborgen bleibt: Es befriedigt wichtige Bedürfnisse. Die Frage ist dann nur: welche?

Für Kinder ist das Jammern eine Möglichkeit, fast sofort das Interesse und die Aufmerksamkeit der Eltern zu erlangen. Fast nie hören Eltern so intensiv zu, wie wenn ihr Kind von einem Problem erzählt. Sofort sind wir hellwach und ganz Ohr.

Manche Kinder registrieren diesen Zusammenhang zwischen einer intensiven Beziehungserfahrung und dem Jammern unbewusst. Sie haben gelernt: Auf diese Weise kann ich Nähe und Intimität herstellen und bekomme das Gefühl, dass sich jemand um mich kümmert.

Erzählt ein Kind von einem Problem, hat es sofort die ungeteilte Aufmerksamkeit der Eltern.

Auch für Eltern ist diese Situation zunächst oft mit positiven Gefühlen verbunden. Sie hören zu, zeigen Verständnis, helfen und dürfen erleben, wie sich die Miene des Kindes aufhellt, da sie ihm haben helfen können, ein Problem zu lösen oder eine Situation anders zu sehen.

Auch für die Eltern stellt dies eine schöne Beziehungserfahrung dar. Zudem fühlen sie sich kompetent und anerkannt. Sie machen die Erfahrung: Ich bin wichtig für mein Kind!

Dies zeigt sich manchmal darin, dass ein Elternteil stolz darauf ist, dass das Kind mit Problemen zu ihm kommt – dem verständnisvollen Elternteil, der sich auf das Kind einlässt. Manchmal entwickelt sich aus diesen Prozessen heraus ein Teufelskreis. Das Kind jammert immer öfter, die Eltern werden müde. Nun reagieren die Eltern ungeduldiger, hören etwas weniger zu.

Das Kind reagiert darauf, indem es mit noch dramatischeren Problemen aufwartet, um die ersehnte Aufmerksamkeit und Zuwendung zurückzugewinnen. Gleichzeitig reagieren die Eltern immer weniger auf positive Meldungen des Kindes, da sie froh sind, wenn endlich einmal alles in Ordnung ist und das Kind sie nicht braucht.

Heraus aus dem Teufelskreis!

Kritik am Kind, Zurechtweisungen oder Apelle, die Welt positiver zu sehen, nützen wenig. Erlebt das Kind diese Reaktionen als Zurückweisung, verstärkt das seinen Wunsch, Nähe herzustellen, und es wird noch eindringlicher über seine Sorgen sprechen.

Falls hinter dem Jammern das Bedürfnis nach Nähe, Zuwendung und Intimität steckt, lässt sich der Teufelskreis am leichtesten durchbrechen, indem man das Kind die Erfahrung machen lässt: Meine Eltern sind voll und ganz da für mich, wenn es mir gut geht und wenn ich über schöne Erlebnisse spreche.

Anti-Nörgel-Tipps
  • Regen Sie Ihr Kind dazu an, über positive Aspekte seines Lebens zu sprechen – zum Beispiel mit der «Was ist gut gelaufen»-Übung.
  • Hören Sie gut zu, wenn Ihr Kind über schöne Erlebnisse spricht.
  • Vertiefen Sie gute Erfahrungen, indem Sie neugierig nachfragen.
  • Vermitteln Sie dem Kind, wie viel Spass es macht, sich über Positives auszutauschen, indem Sie dabei zusammen lachen, Schönes gemeinsam in Gedanken nochmals durchspielen und Pläne aushecken, um noch mehr Tolles auf die Beine zu stellen.

Hören Sie weiterhin zu, wenn das Kind jammert – aber achten Sie darauf, dass Sie noch einen Tick präsenter sind, wenn es über seine Stärken, schöne Momente mit anderen Kindern oder die Sonnenseiten seiner Lehrerin oder seines Lehrers spricht.

Vielleicht merken Sie, dass es Ihnen viel schwerer fällt, zuzuhören, wenn Ihr Kind über positive Aspekte spricht. Wir sind es gewohnt, Probleme genau zu sezieren. Das machen wir jedoch viel zu wenig bei schönen Erlebnissen. Wenn ein Kind erzählt, dass die Lehrerin gemein war, dann fragen wir sofort: «Was ist passiert? Warum hat sie das gesagt? Wie ging es dir dabei?» Erzählt ein Kind hingegen davon, dass die Lehrerin ihm ein Kompliment gemacht hat, lassen wir es oft bei einem «Aha – schön!» bewenden.

Indem Sie den schönen Dingen auf den Grund gehen, werden diese erlebbar und zu einem verbindenden Element in der Beziehung zu Ihrem Kind.

Falls Ihr Kind ein kleiner Pessimist ist, können Sie beginnen, bei guten Erlebnissen genauer nachzufragen: «Was ist genau passiert? Wie lief das ab? Was hast du da gemacht? Was meinst du, warum ist das passiert?»

Das mag sich am Anfang seltsam anfühlen. Vielleicht hilft Ihnen in diesem Fall die «Was ist gut gelaufen»-Übung aus der positiven Psychologie: Bei dieser Übung nehmen Sie sich am Abend einen Moment Zeit, um am Bett mit Ihrem Kind über drei Momente zu sprechen, die am Tag «gut gelaufen» sind.

Sie können lediglich das Kind erzählen lassen oder selbst drei Momente beisteuern. Damit lenken Sie einerseits den Fokus des Kindes auf die schönen Aspekte seines Lebens – auf der anderen Seite vermitteln Sie ihm indirekt: Ich bin auch dann für dich da und höre dir zu, wenn du über Positives sprichst!

Vertiefen Sie das Gespräch, indem Sie Fragen zu den positiven Erlebnissen stellen wie «Was meinst du, warum ist das passiert?», «Was hast du dazu beigetragen?», «Wie könntest du dafür sorgen, dass das öfter passiert?». Indem Sie den schönen Dingen auf den Grund gehen, werden diese erlebbar, wiederholbar und zu einem verbindenden Element in der Beziehung zu Ihrem Kind.

Fabian Grolimund
ist Psychologe und Buchautor. Gemeinsam mit ­Stefanie Rietzler leitet er die Akademie für Lerncoaching in Zürich. Er ist verheiratet, Vater eines Sohnes und einer Tochter und lebt mit seiner Familie in Fribourg.

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