Liebe Eltern: Ihre To-do-Liste kommt auch ohne Sie klar! - Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
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Liebe Eltern: Ihre To-do-Liste kommt auch ohne Sie klar!

Lesedauer: 4 Minuten

Es gibt nichts Spannenderes, als mit einem Kind an der Hand die Welt zu entdecken. Unser Kolumnist weiss, wie es auch vielbeschäftigten Eltern gelingt, Dinge bewusster zu erleben und zu geniessen.

Als Eltern fragen wir uns, was wir unseren Kindern für ihr Leben mitgeben möchten. Dazu gehören Liebe, ein gesundes Selbstwertgefühl und vielleicht eine gute Ausbildung.
Wir können uns aber auch fragen, was unsere Kinder sich möglichst lange bewahren sollen und was wir von ihnen lernen möchten. Dazu gehört für mich die Fähigkeit, zu geniessen und zu staunen. Denn darin sind kleine Kinder wahre Meister.

Wie nimmt man sich Zeit für den Genuss?

Um etwas geniessen zu können, müssen wir uns darauf einlassen können. Und wir müssen es uns gönnen. Als vielbeschäftigte Eltern ist das nicht so einfach. Vor allem dann nicht, wenn man die Redewendung «Zuerst die Arbeit, dann das Vergnügen!» verinnerlicht hat.

In Zeiten von Internet und E-Mail ist es schwierig geworden, die Arbeit nach Feierabend ganz hinter sich zu lassen – und zu Hause erwartet die meisten von uns wieder eine prall gefüllte To-do-Liste. Viele von uns hätten rund um die Uhr etwas zu tun. Wenn wir erst Pause machen, wenn wir zu erschöpft sind, um weiterzumachen, schaffen wir keine guten Voraussetzungen für den Genuss. 


Online-Dossier Achtsamkeit und Entschleunigung

Wie entschleunigt man das hektische Familienleben? Was bringen Achtsamkeitsübungen? Nehmen Sie sich die Zeit und lesen Sie unser grosses
Wie entschleunigt man das hektische Familienleben? Was bringen Achtsamkeitsübungen? Nehmen Sie sich die Zeit und lesen Sie unser grosses Online-Dossier zum Thema Achtsamkeit und Entschleunigung.


Vielleicht wäre es sinnvoll, wenn wir diese Philosophie hinterfragen und da und dort Momente des Genusses in unseren Alltag einstreuen, ohne dass wir uns diese zuerst durch das Abarbeiten aller Aufgaben verdienen müssen. Es wäre wahrscheinlich auch für unsere Kinder hilfreich, wenn sie lernen, dass Arbeit und Vergnügen sich abwechseln dürfen – oder dass Arbeit und Vergnügen gar keine Gegensätze sind, sondern Arbeit auch ein Vergnügen sein kann.

Sogar bei Arbeiten, die wir nur un­­gern machen, können wir uns fragen, wie wir sie vergnüglicher gestalten könnten. Machen diese vielleicht zu zweit mehr Spass? Oder an einem schönen Ort?
 
Warten Sie nicht darauf, bis Sie Zeit finden, das Leben zu geniessen. Gönnen Sie sich solche Phasen gleich jetzt und lassen Sie die To-do-Liste mal warten. Das Schöne an der Arbeit ist, dass sie uns nicht davonläuft und sie uns meist auch niemand wegnimmt, wenn wir uns zeitweise nicht darum kümmern. Nach einem schönen Erlebnis kann man den Elan gleich mitnehmen und in guter Stimmung wieder loslegen.

Wie findet man Genuss im Alltag?

Genuss hat viel mit einer bestimmten Haltung und Hingabe zu tun. Wenn wir es uns vornehmen, können wir fast alles geniessen: eine Auto- oder Zugfahrt, einen Tee oder Kaffee, eine kleine Runde Extraschlaf am Morgen, wenn wir den Wecker etwas früher stellen, damit wir noch ein wenig dösen dürfen, die Sonne oder den Regen. Wenn wir uns und anderen Zeit schenken, können wir andere Menschen geniessen: den Partner, die Kinder, Freunde. 

Dazu müssen wir nichts weiter tun, als uns zu überlegen, was wir in den nächsten Stunden mit Genuss angehen möchten. Diese Frage hilft dabei, den Moment bewusster zu erleben und da und dort eine kleine Portion Extragenuss einzustreuen: Die Autofahrt wird schöner, wenn wir uns entweder ganz auf das Fahr­erlebnis konzentrieren oder es mit unserer Lieblingsmusik oder einem mitreissenden Hörspiel anreichern. Der Spaziergang mit dem Kind wird interessanter, wenn wir unseren Blick für die Natur öffnen und gemeinsam Pflanzen, Tiere und schöne Steine entdecken.

«Kindisch ist ein Wort, das langweilige Menschen verwenden, um lustige Menschen zu beschreiben.»

Will Ferell

Mehr Mut zum Blödsinn machen!

Viele von uns Erwachsenen sind durchdrungen vom Gedanken, sich stets nützlich zu machen. «Mach etwas Sinnvolles!», rufen wir unseren Kindern zu. Sich und sein Leben ständig zu optimieren und dauernd irgendwelchen Zielen oder Pflichten nachzujagen, kann uns jedoch ermüden.
 
Ab und zu sollten wir den Mut haben, unsere Zeit zu verschwenden und in irgendwelchem Blödsinn zu schwelgen. 

Denn der Genuss liegt oft in den Dingen, die weder gesund noch sinnvoll sind: ein gutes Glas Wein, Süssigkeiten, fettiges Essen. Wenn wir uns diese Sachen gönnen, ohne ein schlechtes Gewissen zu haben, essen und trinken wir nicht mehr davon – aber wir geniessen sie stärker.
Das Gleiche gilt für die etwas bescheuerten Hobbys, die wir gerne vor anderen geheim halten.
Wenn ich morgens müde bin, dann liegt das oft daran, dass meine Kinder mich in der Nacht mehrmals ge­­weckt haben. Manchmal trägt je­doch Geralt die Schuld – mein Hexer, mit dem ich durch die wunderschön gestaltete Welt von «The Witcher 3» streife, mit Silber- und Stahlschwert gegen Monster und Banditen kämpfe und dabei das eine oder andere Herz schöner Zauberinnen erobere. So ein Abenteuer kann auch mal bis 2 Uhr morgens dauern. Peinlich? Ja. Aber spannend! Und die prachtvoll animierten Landschaften dieses Spiels «tun meinen Augen so gut». 

Viele von uns geniessen von Zeit zu Zeit etwas, das sie als peinlich empfinden. Die Amerikaner kennen dafür den Begriff «guilty pleasures» und umschreiben damit die Dinge, die wir gerne mögen – und von denen wir gleichzeitig das Gefühl haben, sie nicht mögen zu sollen. Die Playstation habe ich so platziert, dass meine Eltern sie nicht sehen, wenn sie zu Besuch kommen. Den Satz «ich hatte gehofft, diese Phase hättest du durch!» will ich nicht unbedingt hören. Dafür weiss ich, warum meine Mutter beim Telefonieren unruhig wird: Im Hintergrund läuft «Rosamunde Pilcher», und sie mag es nicht so recht zugeben. Meine Frau liebt Vampirromane und meine Kollegin schaut in der Freizeit den Bachelor und «Zwischen Tüll und Tränen». 

Wenn wir diese Hobbys und Vorlieben schon vor anderen verheimlichen: Zumindest uns selbst könnten wir sie zugestehen und uns ihnen mit ganzer Wonne und roten Ohren hingeben. Und vielleicht gönnen wir diese Momente in gesundem Mass unseren Kindern und Jugendlichen, ohne ihnen mit dem Satz «Mach etwas Sinnvolles!» in den Ohren zu liegen. 

Zeit zu zweit hilft, die Eltern-Kind-Bindung zu stärken. Der Biber zeigt wie. Wenn Ihnen das Video gefällt, schauen Sie auch hier die ganze Serie an.

4 Tipps für mehr Genuss im Familienleben

  • Starten Sie den Tag mit der Frage: Was habe ich heute Schönes vor?
  • Fragen Sie Ihre Kinder, wenn sie von der Schule nach Hause kommen: «Was möchtest du heute gerne noch machen?» 
  • Gönnen Sie sich entspannende Momente – auch wenn noch nicht alles erledigt ist. Ihre To-do-Liste kommt auch mal ohne Sie klar.
  • Planen Sie den Genuss. Suchen Sie sich bereits am Mittag den Film aus, den Sie gerne sehen möchten – anstatt am Abend einfach reinzuzappen. Fragen Sie sich, wie Sie sich die Zug- oder Autofahrt zur Arbeit und zurück versüssen könnten.
  • Vermiesen Sie sich selbst und Ihren Kindern lustvolle Momente nicht, indem sie scheinbar sinnlose Vergnügen als kindisch, nutzlos oder peinlich abwerten. Halten Sie sich stattdessen an das Zitat von Will Ferrell: «Kindisch ist ein Wort, das langweilige Menschen verwenden, um lustige Menschen zu beschreiben.»

Zum Autor:

Fabian Grolimund ist Psychologe und Autor («Mit Kindern lernen»). In der Rubrik«Elterncoaching» beantwortet er Fragen aus dem Familienalltag. Der 37-Jährige ist verheiratet und Vater eines Sohnes, 4, und einer Tochter, 1. Er lebt mit seiner Familie in Freiburg.
www.mit-kindern-lernen.ch, www.biber-blog.com 

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