Müde Teenager – faule Teenager?
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Teenager, die in der Schule fast einschlafen – das kommt Ihnen bekannt vor? Kein Wunder, denn vielen Heranwachsenden geht es so. Sie können die Augen im Unterricht kaum noch offenhalten und gelten als faul und übermüdet. Doch was steckt dahinter? In der Pubertät ändert sich der Schlaf-Wach-Rhythmus. Dafür können die Jugendlichen nichts. Das hat zur Folge, dass sie immer später einschlafen. Doch nicht nur biologische Erklärungen lassen sich finden: Auch der Konsum von elektronischen Geräten kurz vor dem Einschlafen ist hinderlich für einen gesunden Schlaf. Kurz: Jugendliche, die vor dem Schlafen noch auf das Handydisplay oder in den PC-Bildschirm schauen, schlafen schlechter ein.
Erfahren Sie im vollständigen Artikel, wie viel Stunden Schlaf Teenager benötigen und welche Folgen ein chronischer Schlafmangel haben kann.
Der 15-jährige Leon hängt apathisch im Stuhl. Die Lider sind schwer, nur mühsam kann er die Augen offen halten. Die Stimme des Lehrers dringt wie durch Nebel an seine Ohren. «Leon! Aufwachen! Schlafen kannst du zu Hause!» Doch Leon ist einfach noch hundemüde, kann sich kaum konzentrieren und fühlt sich schlapp.
So wie Leon geht es vielen Jugendlichen – Eltern und Lehrer können ein Liedchen davon singen. Denn mit Einsetzen der Pubertät werden aus den ehemals frühmorgens schon putzmunteren Primarschulkindern plötzlich schläfrige, mies gelaunte Teenager, die vor 10 Uhr vormittags nicht freiwillig das Bett verlassen. Dafür aber allein die veränderten Freizeitaktivitäten oder gar wachsende Faulheit als Usrache zu sehen, wäre den Jugendlichen gegenüber ungerecht. Denn tatsächlich sind es nachweislich vor allem biologische Faktoren, welche die Teenager später einschlafen lassen. Mitunter können sogar Krankheiten, die genau in diesem Alter ihren Anfang nehmen, hinter der Tagesschläfrigkeit stecken.
Die innere Uhr tickt anders
Als Hauptursache für die vermehrte Tagesschläfrigkeit bei Jugendlichen gilt ein veränderter Schlaf-Wach-Rhythmus. Der Schlaf-Wach-Rhythmus, auch innere Uhr genannt, bestimmt, wann wir wach sind und wann wir schlafen. Die Steuerung erfolgt – neben äusseren Faktoren wie Tageslicht, Dunkelheit, körperliche Aktivität und Ruhe – vor allem über die körpereigene Ausschüttung des Schlafhormons Melatonin. Erst wenn der Melatoninspiegel im Blut eine bestimmte Konzentration erreicht hat, steigt der sogenannte Schlafdruck auf ein Niveau, das uns problemlos einschlafen lässt.
«In der Pubertät verschiebt sich die Melatoninausschüttung aber aus bisher nicht geklärten Gründen kontinuierlich und zeitlich signifikant nach hinten», erklärt Prof. Johannes Mathis, Neurologe und leitender Schlafmediziner des universitären Schlaf-Wach-Zentrums am Inselspital in Bern. Das führt dazu, dass Heranwachsende von etwa zehn Jahren bis zum Erwachsenenalter jedes Jahr um etwa eine Viertelstunde später einschlafen. «In einer amerikanischen Studie wurde bei Kindern von der fünften bis zur elften Klasse eine Verschiebung der Bettgehzeit um fast eine Stunde von 23.00 Uhr auf 23.54 Uhr gemessen», erklärt der Schlafmediziner. «Bis zum 18. Lebensjahr kann die Einschlafzeit sogar um bis zu zwei Stunden weiter hinten liegen.»

Das Handy als Schlafräuber?
Verstärkt wird dieser Mechanismus noch durch eine Reihe von sozialen Faktoren, die in dieser Zeit eine wichtige Rolle spielen, wie vermehte Freizeitaktivitäten am Abend und in der Nacht, Genuss von Kaffee, Energy-Drinks und Alkohol sowie das allgemein schlechte Image des frühen Schlafengehens in dieser Phase.
«Aber auch die vermehrte Nutzung von elektronischen Medien wie PC, Handy und Tablet, die mit hellem Licht im blauen Spektrum zusätzlich wachhalten, kann für späte Einschlafzeiten sorgen», ergänzt Mathis.
Problematisch wird das spätere Einschlafen vor allem deshalb, weil die Aufstehzeiten mit einem konstanten Schulbeginn von 8 Uhr oder gar 7.30 Uhr morgens weiterhin gleich bleiben, sodass es zwangsläufig zu einem chronischen Schlafmangel kommt.
Ausschlafzeiten am Wochenende bringen den Schlaf-Wach-Rhythmus zusätzlich durcheinander.
Prof. Johannes Mathis, Neurologe und leitender Schlafmediziner des universitären Schlaf-Wach-Zentrums am Inselspital in Bern.
«Jugendliche brauchen etwa neun Stunden Schlaf, um sich frisch und ausgeruht zu fühlen», erklärt Mathis. Im Schnitt schlafen sie unter der Woche aber weniger als sieben Stunden, wie Wissenschaftler der Universität Marburg und des Dilleburger Instituts für Gesundheitsförderung und -forschung 2012 in einer gross angelegten Studie mit über 8000 Jugendlichen herausfanden.
«Zwar neigen Jugendliche dazu, den unter der Woche versäumten Schlaf am Wochenende mit langen Ausschlafzeiten bis in den Nachmittag hinein auszugleichen», sagt der Berner Schlafmediziner. «Allerdings bringen diese ungewohnten Schlafzeiten den Schlaf-Wach-Rhythmus zusätzlich durcheinander, sodass es am Sonntagabend noch schwerer wird, frühzeitig ins Bett zu finden.»

Optimal wäre deshalb, den Schulbeginn ab der Mittelstufe um eine Stunde nach hinten zu verlegen. Bislang wird diese Lösung in der Schweiz aber noch nicht praktiziert. Dabei zeigt der chronische Schlafmangel von Jugendlichen weitreichende Folgen. «Viele Jugendliche klagen über Konzentrations- und Gedächtnisstörungen, Schlappheit, Kopfschmerzen sowie ungenügende Schulleistungen», erklärt Mathis. «Bei vorpubertären Kindern kann es auch zu Hyperaktivität und Anzeichen von ADHS kommen.»
Zudem steigt bei Tagesmüdigkeit die Unfallgefahr, insbesondere im Strassenverkehr. Auch können vermehrt psychische Störungen bis hin zu Depressionen auftreten oder sich verschlimmern. «Ein andauerndes Schlafmanko wirkt sich ausserdem negativ auf den Stoffwechsel aus, sodass es als indirekte Folge zu Gewichtszunahme mit vermehrtem Auftreten von Übergewicht kommen kann», erklärt der Schlafexperte.
Wie kommen Teenager zu mehr Schlaf?
Gegen die innere Uhr kann man nicht ankämpfen. Es macht also keinen Sinn, den Sohn oder die Tochter einfach früher ins Bett zu schicken. Aber es ist in einem gewissen Rahmen möglich, über äussere Faktoren Einfluss auf die innere Uhr zu nehmen, damit die Jugendlichen abends etwas früher einschlafen können und sich damit tagsüber ausgeruhter und fitter fühlen.
Als Hauptursache für die vermehrte Tagesschläfrigkeit bei Jugendlichen gilt ein veränderter Schlaf-Wach-Rhythmus.
«Günstig wirken sich vor allem Regelmässigkeit und Rituale rund um die Einschlaf und die Aufstehzeit aus», erklärt Mathis. «Ideal sind möglichst konstante Zubettgehzeiten und ein ruhiger, gleichbleibender Verlauf der letzten ein bis zwei Stunden vor dem Einschlafen.» Zugegeben: Es ist etwas schwierig, Teenager davon zu überzeugen – aber versuchen Sie trotzdem, Ihren Sohn oder ihre Tochter dazu anzuhalten, aufregende Filme, Video spiele, Hausaufgaben oder intensive Unterhaltungen kurz vor dem Einschlafen zu meiden und Handy, Tablet & Co. spät abends aus dem Schlafzimmer zu legen oder zumindest abzuschalten.
«Auch starke körperliche Anstrengungen wie spätabendlicher Sport putschen eher auf, als dass sie müde machen», betont der Schlafmediziner. «Günstig sind dagegen ruhige Tätigkeiten wie Lesen oder Meditieren.» Wenn Ihr Teenager morgens nicht aus dem Bett kommt, hilft helles Tageslicht, um die innere Uhr besser einzustellen. «Im Winter, wenn es frühmorgens noch dunkel ist, können dazu spezielle Tageslichtlampen eingesetzt werden», rät Mathis.
Essen am Morgen und körperliche Bewegung an der frischen Luft helfen, die innere Uhr anzugleichen.
Prof. Johannes Mathis, Neurologe und Schlafmediziner.
«Auch Essen am Morgen und körperliche Bewegung an der frischen Luft wirken der Tagesschläfrigkeit entgegen und helfen, die innere Uhr anzugleichen.» Jugendliche sollten nach dem Morgenessen deshalb möglichst nicht mit dem Auto zur Schule gebracht werden, sondern den Schulweg selbständig mit dem Velo oder zu Fuss zurücklegen.
Zu guter Letzt sollten Sie ihren Teenager am Wochenende ausschlafen lassen – auch wenn dessen Schlaf-Wach-Rhythmus darunter leidet. So kann zumindest ein Teil der unter der Woche versäumten Schlafstunden nachgeholt werden.
Haben Sie keine Angst, dass der jugendliche Langschläferstatus damit für immer eingeimpft wäre: Er kehrt sich ganz von alleine allmählich wieder um. Bis zum Ende der Pubertät, mit etwa 19 bis 20 Jahren, ist der Spuk in aller Regel wieder vorbei.

Praxistest: So viel Schlaf braucht Ihr Kind
Weil es beim Thema Schlafbedarf zwischen Eltern und Jugendlichen fast immer zu Meinungsverschiedenheiten kommt, rät Schlafmediziner Johannes Mathis zur Durchführung eines einfachen Praxistests: Dazu sollten Jugendliche in den Ferien mindestens drei Nächte hinter einander ausschlafen und die Anzahl der geschlafenen Stunden vom Einschlafen
bis zum ersten mindestens 15-minütigen Erwachen notieren. Die durchschnittliche Stundenzahl aus diesen drei Nächten ist der tatsächliche Schlafbedarf. Ausserdem wird ersichtlich, zu welcher Uhrzeit der Schlafdruck hoch genug ist, um problemlos einschlafen zu können.
Tagesschläfrigkeit als Krankheitssymptom
Wenn die Tagesschläfrigkeit trotz ausreichendem Nachtschlaf weiter bestehen bleibt, kann auch eine echte Schlaf-Wach-Störung dahinterstecken. «Bei der Schlafapnoe zum Beispiel kann es im Schlaf bis zu einmal pro Minute zu Atemaussetzern kommen, was zu kurzfristigem Sauerstoffmangel und wiederholten Weckreaktionen führt», erklärt Schlafexperte Johannes Mathis.
«Auch langandauernder Schlaf ist dann nicht mehr erholsam.» Tagesschläfrigkeit ist ausserdem ein typisches Symptom der Narkolepsie, die häufig bereits im Jugendalter beginnt: «Die Narkolepsie ist eine Erkrankung des Gehirns, wodurch es tagsüber – trotz ungestörtem Nachtschlaf – zu regelrechten Schlafattacken kommt, bei denen Betroffene teilweise in den unmöglichsten Momenten plötzlich einschlafen», betont Mathis. «Unerkannt besteht oft ein grosser Leidensdruck, weil Betroffene oft verspottet werden und als faul gelten.» Bei ungeklärter Tagesschläfrigkeit sollten Eltern mit ihrem Jugendlichen deshalb möglichst rasch den Haus- oder Kinderarzt aufsuchen, der dann zur weiteren Abklärung an ein Schlaf-Wach-Zentrum überweist. Schlafstörungen wie die Schlafapnoe oder die Narkolepsie können dort gut behandelt werden.