Wie Reflexion den Musikunterricht bereichert
Passionata – Musikunterricht macht den Unterschied
Vor ein paar Jahren war die Klassenlehrerin einer meiner zweiten Klassen in der Babypause und ich schlug den Kindern vor, dass wir für den neugeborenen Santiago ein Lied schreiben. Die Kinder waren begeistert. Da ich in Halbklassen unterrichte, komponierten wir zwei Lieder.
Die Gruppe «Zebra» einigte sich sofort darauf, dass es ein Schlaflied werden soll. In Zweier- und Dreiergruppen suchten sie nach Ideen. Die einen notierten Reime, andere probierten am Xylophon Melodien aus oder erfanden einen Tanz.
Die Kinder hatten Vorerfahrung. Sie waren seit eineinhalb Jahren in der Musikalischen Grundausbildung und wussten, dass das kreative Arbeiten manchmal in Sackgassen oder Meinungsverschiedenheiten führt. An diesem Morgen wurde viel ausprobiert und wenig gestritten. Wahrscheinlich war die Motivation, der geliebten und vermissten Lehrerin eine Freude zu bereiten so gross, dass Aufgeben keine Option war.
Der Musikunterricht bietet ideale Voraussetzungen, um das Gemeinschaftsgefühl zu stärken und gleichzeitig den Kindern Raum für ihre persönliche Entfaltung zu geben. Dabei erfahren sie Selbstwirksamkeit – das Vertrauen in die eigene Fähigkeit, Herausforderungen zu bewältigen. Damit dies gelingt, muss der traditionelle, stark auf Reproduktion ausgerichtete Unterricht verändert werden. Lernen geschieht nicht allein durch Vormachen und Nachahmen. Vielmehr braucht es im Unterricht kreative Freiräume, in denen Kinder eigene Ideen entwickeln, erproben und reflektieren können.
Das musikalische Schaffen analysieren
Professor Christian Berger von der Zürcher Hochschule der Künste hat hierfür ein didaktisches Modell entworfen, das ich seit Langem anwende. In jeder Lektion der Musikalischen Grundschule soll die kreative Gestaltung der Kinder Platz haben – sei es durch eine Improvisation am Xylophon, das gemeinsame Erfinden einer Stimmbildungsgeschichte oder das Komponieren eines eigenen Liedes.
Ein zentraler Bestandteil dabei ist die Reflexion: das bewusste Nachdenken über Musik, Tanz oder Gesang. Die Kinder lernen, auch ihre eigenen musikalischen Schöpfungen zu analysieren. Denn damit sind ihre Einfälle nicht nur Momentaufnahmen, sondern werden Teil ihres Repertoires, das sie immer wieder abrufen können.
In der Elementaren Musikpädagogik geht es darum, dass die kleinen und grossen Ideen Platz bekommen.
Als die Gruppen einander ihre Produkte vorzeigten, war die Reflexionsphase wie ein weiteres Feuerwerk. Ein Dreierteam sang: «Oh Baby, oh Baby, gute Nacht» und sofort stimmten die zuschauenden Kinder mit ein. Der Anfang des Liedes war somit gesetzt. Danach brachten wir die einzelnen Ideen in eine stimmige Reihenfolge und so kamen wir in ein gemeinsames Arbeiten an Melodie, Klang und der Form des Liedes.
Die Kinder waren froh, wenn ich beim Notieren half oder etwas Ordnung hineinbrachte, wenn alle gleichzeitig redeten. Aber sie bestimmten den Inhalt, denn in der Elementaren Musikpädagogik geht es darum, das Können der Kinder zu vertiefen und zu schauen, dass die kleinen und grossen Ideen Platz bekommen. An diesem Morgen waren diejenigen Kinder, die Ideen vorschlugen, gleich wichtig wie diejenigen, die zuhörten, reflektierten und zum Teil auch kritisierten.
Die Formulierung des Schlusssatzes wurde besonders kontrovers diskutiert. Er lautete: «Schlaf, Baby, schlaf, denn morgen ist ein neuer Tag, vielleicht hast du viel Spass.» Der Verbesserungsvorschlag von Kristian* war: «Bestimmt hast du viel Spass.» Er war der Meinung, dass der Kleine besser schlafen kann, wenn man ihm einen freudigen nächsten Tag verspricht.
Alexandra war dagegen: « Wir müssen ehrlich sein. Es gibt auch Tage ohne viel Spass. Wenn das Baby Zähne kriegt zum Beispiel.» Den philosophischen Schlusspunkt setzte Lejla: «Niemand hat jeden Tag viel Spass. Sonst hast du gar keinen besonderen Tag mehr, an den du dich erinnerst.» Es blieb also beim Text: «Morgen ist ein neuer Tag, vielleicht hast du viel Spass».
Passionata –Musikunterricht macht den Unterschied
Ab der dritten Klasse haben sie die Möglichkeit, dem Schulhauschor beizutreten. Regelmässig singen und tanzen Kinder und Lehrpersonen zusammen auf dem Pausenplatz.
Musizieren ist das pure Leben und ein pädagogisch fundierter Musikunterricht wichtig für die Entwicklung jedes Kindes.
In den darauffolgenden Wochen nahmen wir das Lied auf meinem Handy auf. Die Kinder lernten die passenden Ukulelengriffe, legten Gesangssoli fest und entschieden gemeinsam über den Einsatz von Instrumenten wie Shaker, Triangel und Xylophon. Mit jedem Schritt wuchs nicht nur das Lied, sondern auch die Präzision und Konzentration, mit der die Achtjährigen musizierten.
Hören Sie sich das Lied hier an und lesen Sie hier den Text und die Noten dazu.
*Die Namen der Kinder wurden von der Redaktion geändert.