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Was kommt zuerst, Motivation oder Erfolg?

Lesedauer: 6 min

Was kommt zuerst, Motivation oder Erfolg?

Was wie die Frage nach Huhn oder Ei für Kinder beim Lernen klingt, ist eigentlich eine Feedbackschleife. Denn betrachtet man die Art und Weise, wie Kinder lernen und Fortschritte machen, etwas genauer, löst sich das Rätsel. Ein Interview mit den beiden Lernexperten Martijn Meeter und TuongVan Vu über den sich entwickelnden Forschungsbereich der Motivationstheorie.
Interview: Juanita Bawagan

Bild: Adobe Stock

Wie würden Sie Motivation definieren? 

TuongVan Vu: Das ist schwieriger, als viele denken. Bereits in den 1980er-Jahren gab es mehr als 100 Definitionen für Motivation. Während die Definition je nach Theorie variiert, definieren wir Motivation als den Zustand, der unser Verhalten antreibt. Unsere Forschung fokussiert dabei insbesondere auf das Lernverhalten. 

Motivation oder Erfolg? TuongVan Vu
TuongVan Vu ist Postdoc im Lernlabor am Department für klinische, neurologische und Entwicklungspsychologie an der Vrije Universiteit Amsterdam. Ihre Forschung fokussiert auf die Themen Selbstkonzept, sozial-emotionale Kognition, Prosozialität und Lernen. TuongVan Vu hat 2019 in Psychologie und kognitiven Neurowissenschaften promoviert.

Ändert sich die Motivation beim Übergang vom Lernen als Kind zum Lernen als Erwachsene?

Martijn Meeter: In den meisten Ländern sind kleine Kinder hochmotiviert, wenn sie in die Schule kommen. Über die Jahre sinkt dann die Motivation stetig. Mit jeder Veränderung – zum Beispiel dem Übertritt von der Primar- in die Sekundarschule – entsteht ein kleiner Motivationsschub. Die Illusion entsteht, dass «jetzt alles besser wird und die Schule aufhört, langweilig zu sein». Doch stattdessen geht es weiter abwärts.

Motivation oder Erfolg? Martijn Meeter
Martijn Meeter ist Professor für Pädagogik an der Vrije Universiteit Amsterdam. Von 2015 bis 2019 war er Direktor des Forschungsinstitutes LEARN, des Ausbildungsprogramms für Lehrpersonen der Universität. Seine Forschung fokussiert auf das Lernen, wobei er sowohl traditionelle Methoden der Pädagogikforschung als auch Techniken der kognitiven Neurowissenschaften wie computergestützte Modellierung und Elektroenzephalogramme (EEG) anwendet.

Ausserdem wird der Effekt der bisherigen Leistung mit dem Alter viel grösser. Kleine Kinder kümmern sich nicht um ihre Einstufung und wissen meist auch nicht, wo sie im Vergleich zu den anderen Schülern stehen. Sie wissen nur, dass sie mehr können als vorher, was ihnen das Gefühl gibt, ziemlich gut zu sein.

Etwa in der Mitte der Primarschule fangen sie an, sich mit ihren Mitschülerinnen zu messen. Wenn sie dabei gut abschneiden, fühlen sie sich grossartig und das motiviert sie. Wenn sie schlechter abschneiden, kann sich das anfühlen, als ob sie sich zwingen müssten, etwas zu tun, worin sie nicht gut sind. Je älter die Schüler sind, umso stärker ist der Zusammenhang zwischen der bisherigen Leistung und der Motivation.

Je mehr man sich selbst als gut im Lernen einschätzt, umso besser lernt man.

TuongVan Vu

Erhöht die Motivation die Leistung oder ist es andersherum?

Vu: Die Motivation beeinflusst die Leistung, aber die Leistung beeinflusst auch die Motivation. Mit der Zeit entsteht eine Feedbackschleife. Die Frage ist: Wo fängt sie an? Aus unserer Sicht treiben externe Einflüsse wie die Qualität des Unterrichts, Druck von aussen sowie kulturelle und soziale Einflüsse diese Schleife an. 

Ich halte die Idee, dass das akademische Selbstkonzept die akademische Leistung beeinflusst, für sehr interessant. Es bedeutet, dass je mehr man sich selbst als gut im Lernen einschätzt, umso besser lernt man. Es ist fast wie Magie – weil Sie sich als gute Studentin betrachten, werden Sie tatsächlich besser. 

Es gibt zwei Wege von der Motivation zur Leistung, die sich grundsätzlich unterscheiden. Der Erste basiert auf Selbstwertgefühl und Selbstwirksamkeit. Wie Sie über sich selbst denken, bestimmt, was Sie tun. Wenn Sie glauben, Sie seien gut im Lernen, geben Sie sich mehr Mühe, weil das Ihren Erwartungen an sich selbst entspricht.

Der zweite Weg führt über den Wert als Motivationskonstrukt. Da Sie den Wert des Lernens anerkennen, wird das Lernen angenehmer und Sie geben sich mehr Mühe. 

Wenn das Schulsystem hauptsächlich entscheidet, wie viel Zeit man mit Lernen verbringt, spielt die Motivation eine weniger signifikante Rolle.

Martijn Meeter

Welche Rolle spielt die Kultur? 

Meeter: Das Lernen hat vermutlich eine riesige kulturelle Komponente, aber wir kennen diese nicht wirklich, weil praktisch alle Motivationsstudien in sogenannten WEIRD-Ländern durchgeführt wurden. WEIRD steht für westlich, gebildet, industrialisiert, wohlhabend und demokratisch.

In einigen Kulturen und auf gewissen Stufen können Kinder sehr frei entscheiden, wie viele Stunden sie mit Schularbeiten verbringen. Hier ist die Motivation wichtig. Wenn das Schulsystem hauptsächlich entscheidet, wie viel Zeit man mit Lernen verbringt, spielt die Motivation eine weniger signifikante Rolle.

Wir haben herausgefunden, dass die Motivation kein grosser Erfolgsfaktor dabei ist, wie man in der formalen Schulausbildung abschneidet. Andere Faktoren, wie der Hintergrund, die Gene, die Qualität der Schule oder der Druck der Eltern beeinflussen wahrscheinlich das Lernen mehr als die Motivation. 

Wie untersuchen Forschende die Motivation? 

Vu: Motivation wird seit 30 Jahren erforscht. Am Anfang verwendeten Forschende meist Querschnittsdaten. Die Methode war fehleranfällig, weil Kinder so verschieden sind. Heute sehen wir eine Verlagerung zu Längsschnittstudien, bei denen eine Gruppe von Schülern über mehrere Jahre beobachtet wird. 

Forschende haben nach kreativeren Wegen gesucht, um die Motivation zu untersuchen. Dazu gehören eine Mobile-App für das Sammeln von Erfahrungen oder eine virtuelle Umgebung wie Maths Garden, welche die Beobachtung der Motivation in Echtzeit ermöglichen, ohne die Lernaktivität zu unterbrechen. 

Wir glauben, dass die Motivation ein wesentlicher Teil einer Person ist, erkennen aber auch, dass die Schulstruktur und das Umfeld ebenfalls wichtige Motivationsfaktoren darstellen.

TuongVan Vu

Eine weitere Änderung ist, dass physiologische Messungen heute mehr Aufmerksamkeit erhalten. Forschende können die elektrische Hirnaktivität oder die Variabilität der Herzfrequenz messen, um herauszufinden, wie stark sich eine Person auf eine bestimmte Lernaufgabe konzentriert oder wie viel Aufwand sie betreibt. Dieser Ansatz birgt viel Potenzial für zukünftige Forschung. Allerdings erfordert die Validierung dieses Ansatzes noch viel Arbeit, um nachzuweisen, dass die Resultate tatsächlich neue Erkenntnisse über die Motivation darstellen.

Wie sieht die Zukunft dieser Forschung aus? 

Vu: Forschende haben die Motivation auf individueller Ebene betrachtet, beginnen nun aber, die Ebene des Umfeldes miteinzubeziehen. Wir glauben, dass die Motivation ein wesentlicher Teil einer Person ist, erkennen aber auch, dass die Schulstruktur und das Umfeld ebenfalls wichtige Motivationsfaktoren darstellen. Künftige Forschung sollte dieses Gebiet unbedingt untersuchen. 

BOLD

Die Plattform Bold, eine Initiative der Jacobs ­Foundation, hat sich zum Ziel gesetzt, einer weltweiten und breiten Leserschaft näherzubringen, wie Kinder und Jugendliche lernen. ­

Spitzenforscherinnen wie auch ­Nachwuchswissenschaftler teilen ihr Expertenwissen und diskutieren mit einer wissbegierigen Leserschaft, wie sich Kinder und Jugendliche im 21. Jahrhundert entwickeln und ­entfalten, womit sie zu kämpfen haben, wie sie spielen und wie sie Technologien nutzen.